Ja, ich gebe es zu. Auch ich bin seit 2014 Preisträger des St.-Georg-Ordens. Ich habe ihn damals nicht persönlich entgegengenommen. Helma Orosz hat das für mich getan. Schon damals hatte ich gemischte Gefühle und wusste nicht, ob ich den Preis annehmen sollte. Gleichzeitig mit mir wurden ja höchst zweifelhafte Potentaten wie Thomas Gottschalk ausgezeichnet. Aber ich habe – wie alle anderen auch – die endlosen Reden über mich ergehen lassen. Und habe geschwiegen. Ich war feige.
Zwei Jahre später wäre die Rückgabe sogar live im Fernsehen möglich gewesen. Ich, der Ordenspreisträger, saß zum Ball auf der Nebenbühne am Tisch des neuen Oberbürgermeisters und schaute während endloser Reden, schaler Gesangsdarbietungen und peinlicher Moderationen leise lächelnd in mein Dessert. Neben mir die charmanteste Ballbegleitung, die ich mir hätte wünschen können, auch sie natürlich Preisträgerin des St-Georg-Ordens, siehe oben. Dass wir hier auf Kosten des Steuerzahlers saßen – meine vielleicht halbherzige Bitte an die Stadt, die Kosten für unsere beiden Karten selbst tragen zu dürfen, war höflich abgelehnt worden –, trug zu meinem flauen Gefühl bei. Ein Blick in die Gesichter unserer Tischnachbarn zeigte, dass ich damit nicht allein war. Allein, ich als Anstandswauwau wollte ihr, die für ihr beispielloses Engagement in Dresden durch die offizielle Einladung ausgezeichnet worden war, nicht den Abend vergällen. Wir bezogen also die bereitgestellte Suite im Taschenberg-Palais, nahmen an einem feinen Dinner im Schloss teil und tanzten zu Mitternacht ausgelassen, als man endlich selbst tanzen durfte (das nämlich nebenbei: der SemperOpernball ist kein Ball. Er ist eine pompöse Warteveranstaltung). Wieder hatte ich nichts gesagt, mich nur freundlich für die Einladung bedankt! Feige, feige, feige.
Dass aber auch die Öffentlichkeit dieses Spielchen jedes Jahr wieder klaglos mitmacht? Dass sich ältere Paare vom Lande in Schale schmeißen, sich Kleinstädterinnen und Kleinstädter schick aufbrezeln, einen Abend lang in die Kälte auf den Theaterplatz stellen und auf Kommando schunkeln und jubeln? Und dass auch die Medien das Schauspiel jahrelang mehrheitlich kritiklos begleitet haben? Haben wir denn nicht längst andere, stilvollere Bälle in Dresden?
Dass dieses Jahr allein der mitteldeutsche Rundfunk über eine halbe Million Euro aus den Rundfunkgebühren für die Berichterstattung bereitstellt? Dass die Klatschjournalisten jedes Jahr in Frack und Fliege bzw. tief ausgeschnittenem Kleid stundenlang im stickigen Chorprobensaal bei einer Livebildübertragung vorm Fernseher ausharren, bis sie sich nach Mitternacht endlich mit den Gästen aufs Parkett stürzen dürfen? Es ist eigentlich unerklärlich, dass sie, dass wir das jahrelang mitgemacht haben. Dass der mdr sich nicht längst aus der Übertragung zurückgezogen hat! Eine Schande.
Denn es müsste doch inzwischen jedem klar sein, was dieser Ball eigentlich ist: eine riesige PR-Maschine für Möchtegern-Chichis, für sächsische Adabeis. Und nicht zuletzt für den Vorsitzenden des ausrichtenden Vereins, Hans-Joachim Frey. Jeder Ball, jede Ordensverleihung – für die einige zugkräftige Preisträger unter der Hand bezahlt werden – sucht der Netzwerker zu seinem persönlichen Vorteil zu nutzen. Mit dem Dresdner Ball darf er selbst kein Geld verdienen. Umso angestrengter versucht er, das Ballkonzept an Geldgeber in aller Welt zu exportieren und endlich, endlich richtig Kohle als Kulturmanager zu machen. Der omanische Außenminister war doch nicht umsonst Gast des SemperOpernballs. Nein, seit 2011 hat Muscat ein prachtvolles Opernhaus. Da gehört doch ein Ball hin! Und Kairo? Ja, richtig, auch Kairo!
Für eine deutsche Musikzeitschrift berichtete ich 2011 von der Eröffnung des omanischen Opernhauses, die im Beisein seiner Majestät Sultan Qabus stattfand, von einem plüschigen Parkettplatz aus. In einer der Logen neben der Sultansloge saß: Hans-Joachim Frey. Oder „Herr Prof. Frey“, wie ihn die Presseabteilung des Semperopernballes jahrelang titulierte. Auf Wikipedia ist ohne Quellenangabe zu lesen, Hans-Joachim Frey habe 2011 eine Honorarprofessur an einem südkoreanischen Privatcollege verliehen bekommen. Das geschah, nachdem er eine Professorin des Colleges in die Jury des inzwischen verblichenen Dresdner Anton-G.-Rubinstein-Klavierwettbewerbs (der sein Renommee mit großer Wahrscheinlichkeit einer Namensverwechslung verdankte) berufen hatte, ein weiteres schillerndes Projekt Freys. Meine Bitte, einmal den Kontakt zu ihr herzustellen, beantwortete Frey damals abschlägig. Frau Chang sei eine sehr vorsichtige Frau alter Generation, sie sei über 70 Jahre geprägt vom Konflikt Süd-Korea-Nord Korea, sie gebe grundsätzlich keine Interviews. Ach so. Na dann. Der eigentliche Zweck der Honorarprofessur war ja bereits erfüllt: auch wenn die Führung eines solchen Titels eigentlich an die Dauer der Lehrtätigkeit gebunden ist, übernehmen Medien und Öffentlichkeit diesen Titel weiterhin weitgehend unhinterfragt. Sogar eine Promotion wird „Herrn Dr. Hans-Joachim Frey“ inzwischen unterstellt. Ziel erreicht!
Und Putin? Ach, kommen Sie mir jetzt nicht mit der Auszeichnung an Putin. Der war doch damals noch nicht unser Feind. Nein, ein Jahr später, bei der Dankesrede für den posthum an Michael Jackson verliehenen St.-Georgs-Orden hätte jeder merken müssen: hier lief etwas gewaltig schief mit dieser Veranstaltung. Sie war eine Provinzposse, die sich weltmännisch aufplusterte und das kleine Dresden damit erst recht dem Gespött preisgab. Und alle, die eine der teuren Karten bezahlt hatten, taten so, als wäre das alles wichtig und richtig. Das tun sie bis heute.
Es gibt keinen passenden Zeitpunkt für so etwas. Aber immerhin: Sehr geehrter Herr Frey, hiermit gebe ich meinen St.-Georgs-Orden zurück.