Hans-Joachim Frey mag den Osten. Anders lässt es sich nicht erklären, das der frühere Operndirektor der Semperoper Dresden einst am Thüringischen Landestheater Eisenach tätig war, später eine Operngala in Sankt Petersburg ausgerichtet hat, in Sotschi ein Festivalzentrum entwickelt und Opernproduktionen in Moskau, Minsk, Ulan-Ude sowie – ganz weit im Osten – in Wladiwostok stemmt. Ach ja, den Dresdner SemperOpernball hat er dieses Jahr auch noch verantwortet. Mitsamt allen Peinlichkeiten. Wir haben darüber berichtet.
Der nun erst einmal letzte Ball wurde am 7. Februar ausgerichtet. Neben der selbstverschuldeten Schadensbegrenzung hat er sicher viel Arbeit gemacht. Keine 24 Stunden später startete in Erfurt die Premiere von Wagners »Lohengrin«, ebenfalls in der Regie von Hans-Joachim Frey. Ein Doppeltalent?
»Lohengrin« ist immerhin eine Vier-Stunden-Oper – die muss man parallel zu solch einem Ball erst mal stemmen. Während beim Tanzabend zum Sehen-und-gesehen-werden-Motto jeder selbst schuld ist, der dafür Zeit und Geld zu opfern bereit ist, darf bei der Wagner-Oper schon ein gewisses Interesse an der Kunst vorausgesetzt werden. Das kann auch gewisse Enttäuschungen nach sich ziehen. Wenn einem jedoch der gesamte Theaterabend so ganz und gar nichts gegeben, sondern im Gegenteil nur peinlich berührt hat, dann ist es wirklich schade um die Zeit. Eine derart unglückliche Produktion, die ein solches Urteil nach sich zieht, muss man erst mal hinbekommen.
Wagners Romantische Oper als Rampentheater, das kann passieren. Auf Figurenbezüge und Personenführung zu verzichten, das ist nicht gut, kommt aber vor. Den Sinn einer Inszenierung aber entweder völlig zu tilgen oder aber so zu verschleiern, dass des Pudels Kern unauffindbar bleibt, das ist schon höhere Kunst. Der Regisseur verrät im Programmheft: „Mich interessiert die Frage, wie es mit den Figuren weitergeht, nachdem sich der Vorhang geschlossen hat.“ Also, ich persönlich hätte ja gern erleben wollen, wie es um die Figuren bei geöffnetem Vorhang bestellt ist. Haben die etwas miteinander zu tun? Entwickeln sich womöglich? Bedeuten sie etwas?
Eine so unglückliche Produktion muss man erst mal hinbekommen
Damit solcherlei Fragen möglichst gar nicht erst aufkommen, wurde die Erfurter Bühne mit reichlich viel Aufwand künstlich verkleinert. Vielleicht ist es ja ein ungeschriebenes Theatergesetz: Wo keine Spielfläche ist, da wird nicht gespielt. Oder umgekehrt? – Jedenfalls stehen sich da zwei ineinander verschränkte Schrägen gegenüber, vor und auf denen alles stattfindet. Oder eben auch nicht. Dahinter flimmert wie ein riesiger Bildschirmschoner das Gewühl einer Megacity mit Anleihen bei Fritz Langs »Metropolis« und jeder Menge anderer Utopia-Filme. Videoschleifen mit Hochhäusern, dazwischen auf mehreren Ebenen Schnellstraßen voller Verkehr. Und überall irgendwelche Fluggeräte – zwischen den Häusern, über und unter den Straßen, so wie man sich in den 60er, 70er Jahren vielleicht mal die Zukunft vorgestellt hat. Daran hätte heute allenfalls der amtierende Bundesverkehrsminister noch seine Freude.
Beckmesser könnte jetzt fragen, was all das mit »Lohengrin« zu tun hat? Aber Beckmesser ist eine andere Oper – »Lohengrin« in Erfurt allerdings auch. Ganz großes Kino vielleicht? Nein, selbst Ironie bringt uns hier nicht weiter, das alles soll absolut ernst gemeint worden sein. Ein Pärchen in Weiß, das sind die Guten, die Gegenparts dazu gibt’s ganz in Schwarz. Ausstatter Hartmut Schörghofer hat mit reich applizierten Kostümen fast jeglichen Körperkontakt zu verhindern gewusst. Lohengrin wirkt wie ein weiß-silbriges Riesenbaby, Elsa erscheint erst ganz adrett, wird just zur Hochzeit dann als goldener Weihnachtsengel verkleidet und liegt rührungslos am Boden.
Nein, da gibt es keinen Bezug zu Lohengrin, dem Schwanenritter, außer dem, dass er aus einer anderen Welt kommt, um mit einem sogenannten Gottesurteil die Unschuld von Elsa zu beweisen, der vorgeworfen wird, ihren kleinen Bruder ermordet zu haben.
Diese Vorgeschichte der Oper bebildert aber schon das Vorspiel und übertüncht so dessen „narkotische Wirkung“, die einst Friedrich Nietzsche erkannt haben will. Narkotisiert wurde aber womöglich die Darsteller, denn freiwillig und im Vollbesitz geschmacklicher Grenzen steigt kaum wer in solch alberne Kostüme. Der Titelheld schreitet damit eine Art Gangway herab – hier kommt nicht per Schwan, sondern mit einem riesigen Ufo, das fortwährend über der Bühne kreist, als wolle man von vornherein zeigen, dass der Schwanenritter nicht lange zu bleiben gedenkt.
Doch bis zu seiner Rückreise werden noch viele Stunden erlitten. Stunden mit guter bis feiner Musik – Generalmusikdirektor Myron Michailidis hat sich jedenfalls sehr ins Zeug gelegt. Orchester und Chor haben kraftvoll aufgetrumpft, wenngleich das Premierenfieber für einige Unstimmigkeit sorgte. In den Hauptpartien überzeugte Margrethe Fredheim als Elsa mit ihrer ungemein starken und strahlenden Stimme, mit Abstrichen auch Uwe Stickert als ein Lohengrin mit fast knabenhaft hellem Tenor. In seiner albernen Maskerade schien wirklich wie von einem anderen Stern. Gewollt dunkel tönten Máté Sólyom-Nagy als Telramund und sowie Anne Derouard als finstere, kraftstrotzende Ortrud. Kakhaber Shavidze als König Heinrich war ein ungerührter Machthaber mit vollem, runden Ton. Heerrufer Siyabulela Ntlale agierte mit Powerstimme und ließ es hie und da an Feinschliff fehlen.
Neben seinem Gesang wurde der Chor vor allem zur Staffage missbraucht, gekleidet in Einheitsgrau, versehen mit aschfarbenen Frisuren von Playmobil-Figuren. Zwei Regie-Einfälle aber gab es dann doch: Als Elsa die verbotene Frage stellt, wer Lohengrin sei und woher er denn komme, erstirbt der Verkehrsstrom auf dem Videohintergrund. Lohengrin aber, vielleicht ein Zeichen von Hoffnung?, nimmt Elsa trotz ihrer Neugier zum Schluss mit auf die Gangway zu seinem Raumschiff. Ob sie hinter dem geschlossenen Vorhang glücklich werden, weiß Hans-Joachim Frey ganz allein.
Überraschend geriet auch die Erfurter Pausengestaltung. Da wurden große Texttafeln auf die Leinwand projiziert, erst ein Brief von Adolf Hitler aus dem Jahr 1930, daneben entlarvender Sud von Björn Höcke, der „die Schutthalden der Moderne“ beseitigen will. In der zweiten Pause dann ein schlüssiges Zitat aus Heinrich Manns »Untertan«, in dem Diederich Heßling bei einem »Lohengrin«-Besuch ganz angetan ist von den Bannern und der deutschen Eiche, „man hätte mitspielen mögen“, sagt er da.
Nur das nicht, möchte man ihm entgegenrufen. Doch das wäre im Schlussapplaus wohl untergegangen, in dem es für die Musik viele Bravo-Rufe gab, gefolgt von kräftigen Buhs für Regie und Ausstattung. Immerhin ein tapferes „Bravo, Hajo“ wurde dagegengehalten.