Die Corona-Krise ist für freiberufliche Musiker und Künstler (und natürlich auch für Musikkritiker) eine Zäsur im selbstgewählten Lebensentwurf. Man hinterfragt vieles, finanziell geht es manchmal an die Grenzen der Belastbarkeit. In der beruflichen Zwangspause hat Björn Kühnicke mit dem Dresdner Sänger Cornelius Uhle gesprochen.
Cornelius Uhle, wie gehts, was haben Sie heute schon gemacht?
Sehr gut geht es! Bei dem Wetter ist das gar keine Frage. Ich bin seelenruhig aufgestanden, ohne getrieben zu sein. Dann habe ich das Übliche gemacht. Mich nach dem Frühstück an den PC gesetzt und E-Mails beantwortet. Das ist gerade etwas weniger, was ich eigentlich auch ganz schön finde, für den Moment. Vor den E-Mails habe ich, wie jeden Morgen, ein Beethovenstück am Klavier geübt, weil ich es für eine Produktion lernen will. Nachher werde ich üben und mir einen entspannten Abend machen.
War das ein normaler Tag oder wurde Ihr Leben durch Corona stark umgekrempelt?
Es unterscheidet sich nicht so sehr von normalen Tagen. Als freier Musiker teile ich mir meinen Tag selber ein. Allerdings wäre ich jetzt gerade in Warschau und hätte dort Konzerte gegeben. Die vorösterliche Zeit ist immer eine sehr konzertreiche Zeit. Neben der Weihnachtszeit sicherlich für alle Musiker die wichtigste Zeit.
Es fallen also gerade viele Konzerte und damit auch Einnahmen weg?
Ja. Es wurde angeraten von Portalen und im Netzwerk freier Künstler eine Ausfallliste zu führen. Ich wollte es aber auch erstmal für mich wissen. Da sind jetzt bis Ende April elf Projekte abgesagt, manche von denen auch mit mehreren Vorstellungen. Da ist viel Johannespassion und Matthäuspassion, aber auch eine Produktion mit der Serkowitzer Volksoper, bei der ich jetzt zum ersten Mal Regie geführt habe. »Die Beethovenlüge« hieß es. Wir haben lange gewartet, aber kamen dann doch an den Punkt, an dem wir es nicht mehr verantworten konnten, weiter zu proben. Wir waren kurz vor der Hauptprobe. Die Stadt und das Land haben zugesagt, dass die Fördergelder bleiben. Das hilft, aber es tut weh, etwas abzusagen. Wenn man zum ersten Mal im Leben etwas inszeniert, dann brennt man doch ganz anders dafür.
Wie lief das genau bei der Absage Ihrer eigenen Produktion? Welche Konsequenzen hat das für Sie und die Produktion?
Wir haben die Ausstattung noch fertig gebaut, und haben jetzt alles im Container. Und wenn wir wieder dürfen, dann könnten wir es mit einer Woche Proben doch noch zeigen. Es wäre sehr schade, wenn das Stück nicht rauskäme. Eine Sängerin steht allerdings nur bis Anfang Juli zur Verfügung. Wenn wir es bis dahin nicht spielen, könnten wir es zumindest dieses Jahr nicht mehr zur Premiere bringen.
Wir wissen alle nicht wie lange das geht. Selbst wenn der Buchladen wieder öffnet und Gottesdienste stattfinden können. Wir haben die Pläne soweit gemacht wie wir eben können.
Wie sieht es rechtlich bei abgesagten Konzerten aus?
Das fällt unter die Kategorie höhere Gewalt. Ich habe als Vertragspartner keinerlei Anspruch. Ich bekomme kein Ausfallhonorar. Ich habe gelesen, dass das Land Berlin empfiehlt, dass 60 Prozent als Ausfallhonorar gezahlt werden sollen. Das würde natürlich sehr helfen.
Manche Konzerte werden einfach verschoben. Das Festival Aequinox hat das ganze Programm auf 2022 verschoben.
Wie geht’s Ihnen damit?
Ich bin da etwas gespalten. Die eine Sache ist, dass ich jemand bin der sich schon lange gewünscht hat, dass wir mal alle aus diesem Hamsterrad herauskommen, Dass wir alle mal merken, ich fühl mich viel freier, wenn ich nicht gehetzt bin. Für die Natur ist es wundervoll, wenn da keine Flugzeuge fliegen und die Tiere im Wald merken, hey der blöde Mensch ist nicht da.
Ich habe mal Zeit, ich muss nicht erfüllen. Ich kann mal Klavier üben, ein Buch lesen. Wir haben jetzt unsern Flur gestrichen und Türen abgebeizt. Diese Ruhe mag ich als Mensch ganz gern. Letztes Jahr war ich etwa 30% der Zeit zu Hause und sonst unterwegs für Konzerte und Proben. Allerdings vermisse ich es auch, singen zu dürfen. Musik kann tröstend wirken, aufheiternd. Das kann einwirken bei Menschen. Keine Johannespassion zu singen, das fühlt sich ganz komisch an. Das gibt mir so viel, dass ich das geben darf. Das fehlt mir wirklich!
Und finanziell?
Ich war am Anfang sicherlich etwas naiv. Ich habe letztes Jahr gut gewirtschaftet und mir etwas Puffer erarbeitet, mit dem ich es so ein zwei Monate irgendwie überstehe. Aber als ich meine Ausfallliste gesehen habe, wurde es mir doch ein bisschen anders. Bisher fällt da einfach ein Viertel bis ein Drittel meines Jahreseinkommens weg. Das ist Geld, was ich nicht habe. Du zehrst von deinem Puffer. Was ist, wenn du mal krank wirst oder die Waschmaschine kaputtgeht? Dafür ist ja der Puffer eigentlich da. Ich nehme die Situation also inzwischen etwas ernster.
Woher bekommen Sie Rat in dieser Zeit?
Es gibt Netzwerke, in denen man sich informieren kann. Es gibt viel Unterstützung von Kreatives Sachsen und der Kulturstiftung. Die Stadt Dresden und das Land haben viele Informationen online bereitgestellt. Im Vergleich zu vielen Kollegen geht es mir noch ganz gut. Als Sänger bekommt man höhere Gagen als viele freie Orchestermusiker, und wenn man dann noch Kinder hat, kann das sehr schnell sehr eng werden. Insofern hoffe ich, dass freie Künstler Unterstützung bekommen in dieser Situation, in der sich wirtschaftliche Schwierigkeiten für viele nicht vermeiden lassen.
Wie wird man eigentlich freier Künstler? War das Schicksal oder auch eine bewusste Entscheidung Ihrerseits?
Den Entschluss, Sänger zu werden, habe ich bewusst in der zehnten Klasse gefasst. Das war der Punkt an dem ich wusste: das will ich! Nach dem Studium habe ich als Aushilfe in einem Rundfunkchor gesungen. Da habe ich tolle Kollegen erlebt. Es gab aber auch Kollegen, denen der Elan abhandengekommen war. Die sahen das als Arbeit, wie andere Fliesenleger sind. Und das wollte ich auf gar keinen Fall. Vielleicht bin ich auch nicht geeignet für hierarchische Strukturen. Es ist mein Anspruch ehrliche Musik zu machen. Und in einem festen Ensemble müsste ich mich da sicherlich sehr einschränken.
Hat diese Freiheit auch Schattenseiten?
Zugegeben – es ist ein bisschen ein romantisches Bild. Es gab mal eine Weihnachtszeit, da hing ich hinterher ziemlich in den Seilen. Und habe mich gefragt:: wie lange willst du das noch machen? Immer von A nach B fahren? Da habe ich gemerkt, ich muss auch auf meinen Körper hören. Und dann bin ich mein eigenes Steuerbüro, meine eigene PR-Agentur, mein eigener Reisemanager, mein eigener Fahrer. Das ist viel Arbeit, aber das gefällt mir ehrlich gesagt, das möchte ich nicht missen.
Sie arbeiten international mit renommierten Ensembles wie dem Helsinki Baroque, aber man hört Sie auch oft in kleinen sächsischen Landkantoreien. Wieso machen Sie das eigentlich?
Wenn Kantoreien singen, habe ich es oft erlebt, dass das ehrlicher war, als wenn ein professionelles Ensemble singt. Die Profis singen das vielleicht super perfekt, und alles ganz klar und richtig, und artikuliert, durchsichtig, aber ohne Seele. Da ist es mir lieber, Unsauberkeiten zu haben, aber ich sehe nur energetische Gesichter, und sehe wie die dafür brennen, und jetzt endlich nach einem halben Jahr Probe können sie das raussingen. Sie sind voller Energie und mit Liebe dabei. Nach meinem Dafürhalten ist das manchmal ehrlicher als der Elfenbeinturm. Natürlich entstehen auch bei hoch angebundenen Konzerten immer wieder tolle Musikerlebnisse, und ich nehme viel von dieser Arbeit für meine eigene mit. Aber auch beim Gottesdienst mit einer kleinen Kantorei lerne ich immer wieder dazu. Manche Kantoren wollen eine Arie unbedingt in einem ganz ungewöhnlichen Tempo, dann habe ich die Möglichkeit auszuprobieren, ob ich das nicht auch kann mit meinem sängerischen Werkzeugasten. Da lernt man einfach viel.
Und jetzt, wo die Passionskonzerte alle ausfallen müssen, haben Sie vielleicht ein paar Hörempfehlungen für die Quarantänezeit?
Für die Jahreszeit empfiehlt sich immer Bachs Matthäuspassion und Johannespassion. Das ist schon sehr komisch, die Bachpassionen dieses Jahr nicht in der Kirche hören oder singen zu können. Wenn es etwas Ungewöhnlicheres sein darf, vielleicht die Markuspassion des Coburger Hofkapellmeisters Johann Georg Künstel. Oder auch die Sopranarie »Brecht, ihr müden Augenlider« aus Telemanns Trauerkantate »Du aber Daniel, gehe dahin«. Das müsste man mal mit einer Band machen, ein super Popsong! Oder die Sonatina aus Bachs Actus Tragicus oder der Beginn der Johannespassion – bis der Chor einsetzt. Oder Beethoven. Generell Musik ohne Text. Man kann mit drei Leuten nebeneinandersitzen und jeder hat eine andere Assoziation. Mal ein gutes Jazzalbum, oder Hiphop. Ich habe gerade eine Band aus Miami entdeckt: ¡MAYDAY!– großartig. Einfach das Spektrum offenhalten! Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich so gerne zeitgenössische Musik mache. Danach macht dann Bach gleich nochmal viel mehr Spaß. Was wäre die Quarantäne ohne Kunst, ohne Filme, ohne Theater, ohne Konzerte, die jemand mal gemacht hat? Ohne Künstler wäre die Quarantäne ziemlich langweilig.
Vielen Dank für das Gespräch.