Jedes Jahr träumen Künstlerinnen und Künstler von einem Arbeitsstipendium an der Villa Massimo in Rom, bewerben sich und hoffen auf eine Zusage. Wer die dann bekommt, darf sich über alle Maßen glücklich schätzen. Schließlich sind damit zehn Monate künstlerisches Arbeiten verbunden, dazu la dolce vita in der italienischen Hauptstadt, obendrein ein relativ komfortabler Aufenthalt, auf Wunsch auch ganz in Familie. Für mitreisende Kinder steht die renommierte (freilich nicht ganz billige) Schweizer Schule in Rom zur Verfügung.
Neben dem einstigen Dresdner Stadtschreiber Peter Wawerzinek und der Leipziger Künstlergruppe FAMED ist in diesem Jahr auch der in Dresden geborene Komponist Torsten Rasch mit seiner Familie in Rom zu Gast. Er arbeitet seit September in der Villa Massimo, wo es nun aber ganz anders aussieht als zuvor erwartet. Kein idealer Zustand angesichts von Corona …
„Der Zustand ist immer noch sehr gut“, meint der Künstler, „trotz all der Restriktionen, die wir in ganz Europa haben und die bekanntlich zuerst in Italien vollzogen wurden.“ Er sei aber nach wie vor, „gerade in dieser Zeit, wo alle mehr oder weniger leiden und ihnen die Bewegungsfreiheit genommen ist“, absolut dankbar, jetzt in Rom sein zu dürfen. „Gerade diese Zeit jetzt hier verbringen zu können und nicht irgendwo anders sein zu müssen, das macht mich sehr froh.“
Torsten Rasch ist mit sehr konkreten Vorhaben an den Ort seines Stipendiums gereist: „Meine erste Aufgabe war hier meine Oper »Die andere Frau«.“ Unabhängig davon, wo er gewesen wäre, ob in Rom oder an seiner derzeitigen Heimstatt, wollte er diese Auftragsarbeit für Dresden vollenden. „Damit habe ich mehr oder weniger die ersten sechs Monate in Rom verbracht.“
Allerdings ist es Torsten Rasch dabei vor allem um technische Dinge gegangen, denn die eigentliche Komposition ist bereits vorher fertig gewesen. „Das war mehr oder weniger eine mechanische Arbeit mit dem Fertigstellen der Partitur und der Stimmen, das hatte mich den ganzen Tag hier beschäftigt. Ich war wirklich nicht so sehr mit kreativen Dingen beschäftigt, sondern wollte einfach die Partitur in Ordnung bekommen, denn ich schreibe ja alles mit der Hand.“
Die Uraufführung dieser Oper steht noch in dieser Spielzeit an Dresdens Semperoper bevor. Also in einer Zeit geschlossener Häuser und abgesagter Festspiele. Ob da »Die andere Frau« stattfinden wird? Wir wissen es nicht.
Dieses Werk von Torsten Rasch dürfte weit in die Geschichte hineinführen. Das Libretto des Schriftstellers Helmut Krausser basiert auf der Legende von Abraham, Sarah und Hagar aus dem Alten Testament. „Eine Dreiecksgeschichte“, so Torsten Rasch, „in der es darum geht, dass Sarah nicht mehr in der Lage ist, ein Kind zu bekommen und sie deshalb Abraham vorschlägt, ihre Magd als Gebärerin ihres ersten Nachkommens zu benutzen. Eine sehr diffizile Familiengeschichte, wenn man weiß, dass der Sohn, den Hagar dann schließlich zur Welt bringt, Ismail, als der Begründer des Islams verehrt wird, während Isaak, der zweite Sohn, den Sarah zur Welt bringt, als einer der Urväter des Christentums gilt.“
Es sei für ihn einzigartig inspirierend gewesen, so Komponist Torsten Rasch, „diese Wörter in Musik umzusetzen.“ Er habe diese Geschichte mit Texten von der Zerstörung der Stadt Ur kommentier wollen. Nun ist die Oper fertig, der Komponist steht in engem Kontakt mit dem Inszenierungsteam, doch niemand weiß, ob und wann die Proben dazu beginnen können. „Ich bin sicher auch nicht der Einzige, der sehr skeptisch ist, was den Termin der Uraufführung betrifft“, so Torsten Rasch. Seine Kreativität wurde durch diese Skepsis allerdings nicht eingebremst: „Nachdem ich die technischen Arbeiten abgeschlossen hatte, habe ich eine Art Suite aus der Oper herausgezogen und sie für das Sächsische Landesjugendorchester und Milko Kersten bearbeitet.“
Auch in der ihm noch an der Villa Massimo verbleibenden Zeit will Torsten Rasch komponieren, nämlich mit direktem Bezug zur auch ihn bedrückenden Situation. „Ich werde jetzt noch ein Stück schreiben, das sich mit diesen furchtbaren Zuständen besonders im Norden von Italien beschäftigt und an die Opfer erinnert. Das berührt uns alle sehr und ich möchte diese Betroffenheit mit meinen Mitteln einfach irgendwie festhalten.“ Ein Memento mori, das voraussichtlich im Herbst in Großbritannien uraufgeführt werden soll. Bereits in den nächsten Tagen beteiligt sich Torsten Rasch an einem Nachbarschaftsprogramm der Massimo-Stipendiaten und widmet den Anwohnern in einem großen Wohnhaus gegenüber kurze Ausschnitte aus dem Liederzyklus »Mein Herz brennt«.