Susanne, vor siebzehn Jahren gründetest du die Dresdner Filiale von „Opus 61“. Was machte die Stadt als Standort damals reizvoll?
Nachdem unser Geschäft in Leipzig überraschend gut angelaufen war, wurden wir branchenweit bald zu einer Art Vorzeigegeschäft für ganz Deutschland. Unsere Lieferanten witterten Morgenluft, die sagten: Leipzig, super, aber wißt ihr was, in Dresden gibts ja gar nix! Früher hatte es den Kunstsalon am Altmarkt gegeben, der hatte dichtgemacht. In der Grünen Straße gab es einen kleinen, verrauchten Notenladen… Sonst eigentlich nichts Nennenswertes.
Der Markt brauchte dich!
So kann man das sagen. Der Start in Dresden war fast zu schön, wir wurden sofort sehr gut angenommen. Wobei das Ladenlokal an der Wallstraße natürlich irre groß und die Miete ziemlich hoch war. Der Umsatzdruck war enorm, das habe ich von Anfang an so empfunden.
Einige Jahre später ging die Leipziger Opus-Filiale, die zwischenzeitlich umgezogen war, in Insolvenz. Das müsste 2011 gewesen sein? Damals warst du in Dresden jedoch vergleichsweise fest etabliert.
Wann merktest du, dass der Markt für Musikfachgeschäfte sich veränderte?
Um 2008 herum war es nicht mehr zu übersehen. Amazon und jpc machten es richtig, die steckten Millionen in ihre Online-Shops. Der normale Käufer begreift das nicht: so eine Investition ist für ein Geschäft wie unseres nicht zu leisten. Keiner der kleineren Läden in ganz Deutschland wagte das. Ich dachte mir: wir müssen das mit anderen Angeboten auffangen. Damals kamen auch die ersten Downloads auf, die es gar nicht mehr auf CD gab. Das sind so die Nadelstiche, wenn ein Kunde danach fragt. Oder: wir brauchten dringend eine Warenwirtschaft-Software. Da habe ich mich einfach für die falsche entschieden, die konnte nur CDs, keine Noten. Ein Chaos. Steigende Kosten bei sinkenden Umsätzen: da fängt es an zu knirschen. Ab da ging es voll bergab. Die Abläufe klappten nicht mehr, die Software funktionierte nicht, der Umsatz blieb weg. Es war ein stetiger Weg nach unten. 2015 ging es auch bei mir auf die Insolvenz zu. Die Schere war zu weit aufgegangen zwischen Kosten, Kredittilgung und Umsatzrückgängen. Wir hatten keinen Spielraum mehr und mussten uns den Umständen stellen.
Die Insolvenz war also absehbar – da stand eines Tages die Partnerin des jetzigen Eigentümers im Wallstraße-Laden.
Ja, und irgendwann kam dann auch Markwart Faußner zu mir. Das sei doch schade – man könne den Laden doch bestimmt retten? Was ja auch prinzipiell geklappt hat. Herr Faußner hat noch einmal viel Geld in das Geschäft gesteckt, wir öffneten dann hier am Edward-Snowden-Platz. Ganz ehrlich: ich habe erst ein paar Tage gebraucht, um zu überlegen, ob ich das überhaupt will. Aber ich habe auch an meine Mitarbeiter gedacht, darunter ein Azubi. Ich dachte, das kann ich doch nicht bringen, den auf die Straße zu setzen.
Wie ließ sich das Geschäft hier in der Neustadt an?
Hatte die Filiale des Heinrich-Schütz- Konservatoriums auf der Glacisstraße Einfluss auf den Umsatz?
Es wäre falsch zu sagen, dass das HSKD keinen Einfluss hatte. Es kamen viele nette Lehrer vorbei und versprachen, ihre Schüler auf den Laden hinzuweisen. Die Schüler bestellten dann ihre Noten eher online. Vielen war es zu blöd, zweimal herzukommen. Klar: es ist einfach praktischer, sich Noten nach Hause schicken zu lassen.
Womit wir eigentlich bei einer prinzipiellen Frage sind: dem Mehrwert eines Klassikgeschäfts in Zeiten von Amazon & Co.
Ich kann eines nicht leiden. Schon jetzt jammern Leute, dass es den schönen Laden bald nicht mehr gibt. Aber sie nehmen ihre Eigenverantwortung als Kunde nicht wahr. Es hat nichts damit zu tun, dass ich ein Raffzahn bin, aber: man kann die Existenz der Läden nicht mit sentimentalen Worten retten, sondern nur, wenn man tatsächlich etwas kauft. Das haben viele nicht kapiert. Diejenigen, die es verstanden habe, die ich mal „Ultras“ nennen möchte, das sind Menschen, über die ich mich täglich im Laden gefreut habe. Deren Anzahl reicht aber leider nicht aus…
Die Corona-Krise war also nicht die eigentliche Ursache für die Schließung des Ladens?
Während des Shutdowns kauften unsere „Ultras“ ja weiter bei uns ein, aber die absoluten Zahlen waren verheerend. Herr Faußner hatte die ersten Infektionszahlen aus Italien gesehen und war sofort sehr vorsichtig. Er wollte den Laden eigentlich schon damals schließen. Da habe ich dann gesagt, machen wir es doch mit ein bisschen Würde. Denn: Corona ist tatsächlich nicht der Grund, nur der Anlass für unsere Schließung. Es ist einfach so: alle Parameter des Geschäfts haben sich innerhalb der letzten vier Jahre so schnell verändert; das hätte ich nicht vermutet. Vor allem die Entwicklung von Amazon. Diese Webseite ist einfach etwas ganz, ganz Schlimmes. Ich sage das nicht, weil ein Laden wie unserer daran zugrundegeht. Das muss man mittlerweile umfassender sehen. Wer bei Amazon kauft, sollte dreimal überlegen, ob die gesparte Energie nicht doch für ein freudvolleres Lebensumfeld eingesetzt werden sollte. Das klingt so esoterisch, aber ich meine es ganz pragmatisch.
Ein positiver Aspekt der Coronakrise übrigens die Kurzarbeit. Der Shutdown hatte zur Folge, dass ich mich mit einem meiner Mitarbeiter in das Ladengeschäft geteilt habe. Endlich konnte ich mal in Ruhe nachdenken und die generelle Situation des Ladens einschätzen.
Welche Parameter spielten bei der Schließung noch eine Rolle?
Uns fehlt von der Nachfrage her einfach der Mainstream, der Umsatz bringt. Mittlerweile gibt es viele Veröffentlichungen ganz ohne Tonträger. Und Streaming ist ein ganz großer Sargnagel. Mit Sicherheit denken viele Käufer, bei denen sich an den Wänden die riesigen Plattensammlungen stapeln: vielleicht wäre das doch eine gute Idee, der immerwährende Zugriff ohne ein physisches Produkt, was mir beim nächsten Umzug den Rücken bricht? Mittlerweile gibt es ja Streaming-Anbieter, die einen sehr hohen Standard bei der Klangtechnik setzen. Da kommt sogar ein Hifi-Freak auf seine Kosten.
Was du jetzt beschreibst, klingt mir nicht nach einer Situation, die nur Opus 61 betrifft. Welche Entwicklungsmöglichkeiten haben Klassikläden insgesamt aus deiner Sicht? Welche Strategien sind in diesem Marktumfeld überhaupt noch sinnvoll?
Denn eine Leidenschaft ist es wirklich. Allerdings eine, an der auch Mitarbeiter hängen. Und da kommt einfach irgendwann der Punkt, dass man sagt: ich habe nicht nur kein Geld mehr, meine Mitarbeiter zu bezahlen. Und ich selbst kann ein so kleinteilig funktionierendes Geschäft nicht alleine führen; mir fehlt die Kraft, es alleine zu bewerkstelligen. Und dieser Punkt ist jetzt bei mir da.
Ein weiterer Aspekt ist: wie kommen denn die CDs überhaupt in den Laden? Bei manchen Lieferanten ist das so frustrierend! Als Laden habe ich einen Mindesbestellwert von 150 EUR. Für eine kleine Bude ist das richtig viel. Ein Kunde versteht nicht, warum die Lieferung seiner Bestellung zwei Wochen dauern sollte. Aber wenn du nur drei CDs bestellst, damit es schneller geht, hast du Zusatzkosten; dann kann man es auch gleich lassen, denn man verdient am Verkauf nichts mehr. Man verkauft also manches zum Einkaufspreis und liegt trotzdem noch über dem Preis von Amazon. Man hofft dann einfach, dass der Kunde den Service schätzt und wiederkommt – um dann vielleicht wieder dasselbe Minusgeschäft zu machen. Buchhalterisch ist das absurd.
Hast du selbst schon Pläne für die Zeit nach Opus61?
Ich brauche erst mal Zeit, um durchzupusten. Ich möchte den Beruf wieder zum Hobby machen, das heißt: ich freue mich riesig drauf, wieder als Klassikliebhaberin in die Philharmonie gehen zu können, als Privatperson, und nicht an irgendeinem Stand stehen zu müssen.
Apropos, wäre es eine Möglichkeit gewesen, diese Präsenz von Opus 61 bei Konzerten beizubehalten? Die Signierstunden, den „Bauchladen“ bei Philharmonie oder Musikfestspielen?
Ach was. Ich will aus der Branche raus. Du weißt doch nicht mal: Gibt es in drei Jahren überhaupt noch Tonträger? Dann wäre ich noch mal drei Jahre älter…
Opus 61 war und ist für viele Dresdner Künstler und Musikliebhaber eine Institution. Das merkte man an den Reaktionen auf die Ankündigung, den Laden zu schließen.
Da komme ich wieder auf den Anfang unseres Gesprächs zurück: ich war neulich in einem Eine-Welt-Laden und habe Kaffee gekauft. Ich liebe das, man muss Zeit mitbringen… Jedenfalls kam ein Kunde herein und ließ sich lang und breit zu Kaffee beraten. Dann ging er, ohne etwas gekauft zu haben, und wünschte der Besitzerin an der Tür alles Gute. Verzweifelt-belustigt rief sie ihm hinterher: „Alles Gute wünschen hilft nicht!“ So sehe ich auch die Situation von Opus 61. Sympathiebekundungen sind nett. Aber die Realität ist die Realität.
Jetzt sitzen wir hier in der Maisonne und müssen das Kapitel Opus 61 offenbar mit einem düsteren Zukunftsblick auf die Branche insgesamt abschließen.
Ach was. Lass uns auf den Spirit des Shutdowns verweisen, der hoffentlich bei vielen positiv nachwirkt. Ich habe während der Schließzeit einen Spaziergang durch die Altstadt gemacht. Am hellichten Tag war damals der Neumarkt komplett leer, es herrschte eine rätselhafte Atmosphäre und völlige Stille. In mir war das Gefühl, dass das auch der Anfang von etwas Neuem sein könnte. Ich habe zum Beispiel bei meinen Spaziergängen ganz neue Läden entdeckt, habe mein persönliches Einkaufsverhalten geändert. Man nimmt seine Umgebung anders wahr und achtet auch anders aufeinander. Wäre es nicht schön, wenn wir das in die Zeit danach mitnehmen könnten?
Opus 61 öffnet am 20. Juni 2020 zum letzten Mal. Bis dahin ist das Geschäft Mo-Fr 10-19 Uhr sowie an Samstagen 10-16 Uhr geöffnet. Seit gestern gibt es auf alle Waren 10% Rabatt. Ab 8.6. gibt es 25% Rabatt; ab 15.6. gibt es 50% Rabatt auf alles, ausgenommen Bestellungen außerhalb des Warenbestandes.