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Traumkonzerte ohne Maskenpflicht

Diese Schlange kommt ohne Maskenpflicht aus: »Dreamstage«-Screenshot

Lang war ich nicht mehr im Konzert. In Berlin spielt man Wagner auf dem Parkplatz. In Moritzburg Kammermusik hinterm Schloss. Die öffentliche Erregung über Ausschnitt oder Schwitzfleck der Kanzlerin in Bayreuth fiel dieses Jahr mitsamt der Festspiele aus. Wenig Hoffnung besteht auf eine baldige Normalisierung; auch die kommende Spielzeit wird so bald keine gewohnten Konzert- und Opernabende bieten. 

Ein Triumvirat hat sich gefunden und will Abhilfe schaffen. Der Cellist Jan Vogler, Thomas Hesse, der zuvor bei Sony fürs Digitale Management zuständig war, und der Computeringenieur Scott Chasin. Gemeinsam haben sie sich den digitalen Konzertsaal »Dreamstage« ausgedacht, den Jan Vogler nun in Kooperation mit den Dresdner Musikfestspielen gemeinsam mit der Pianistin Hélène Grimaud einweihte. 

Man registriert sich also auf der Seite, kauft sich ein Konzertticket für den stolzen Preis von 25 Dollar – wie jedes gute Medien-Start-Up sitzt Dreamstage in Amerika, genauer gesagt in New York – und schaltet sich dann live zum Konzert zu. Die Ästhetik der Webseite kommt nostalgisch daher: der Eingang eines Broadwaytheaters mit Reminiszenzen an Cartoons wie die Simpsons, darunter Kacheln in Form von Plakaten, auf die man klickt, um zu Scrolltexten und auch zum Konzert zu zu kommen. Hierfür ‘betritt’ man dann ein goldenes Heiligtum mit rotem Vorhang, der sich zu Konzertbeginn hebt. Hier wird alles getan, um das Konzerterlebnis zu simulieren. Kommt man zu spät, verpasst man den Anfang (immerhin, man wird noch eingelassen, ohne dass man genervte Blicke der Sitznachbarn fürchten müsste), und wenn das Konzert vorbei ist, schließt sich der rote Vorhang wieder. Einen Notausgang kann man mit der Maus anklicken. Aber es gibt kein Vor- oder Zurückspulen, kein Anhalten. Live ist live. 

Grimaud und Vogler sind langjährige Kammermusikpartner. Mit Schumanns Fantasiestücken op 73, Brahms‘ Sonate op. 38 und Schostakowitschs Sonate op 40 haben sie sich ein abwechslungsreiches und doch vornehmlich nachdenkliches Programm zusammengestellt, das der Cellist, leicht an der Kamera vorbeiblickend, selbst moderiert. Da wird ernsthaft musiziert. Aber die Erfahrung bleibt distanziert. Ich wechsle zwischen den Computerlautsprechern und meinen besten Kopfhörern hin und her. Mit Kopfhörern ist die Klangqualität beeindruckend. Das Bild bleibt zwischenzeitlich stehen, aber die Klangspur läuft weiter. Mein Gefühl schwankt. Ist das wirklich die bessere Alternative zum Youtube-Mitschnitt? Wie wird sich dieser Markt für angemessen bezahlte gestreamte Klassik entwickeln? Wie im Konzert fühle ich mich jedenfalls nicht. 

Screenshot: A. Keuk

Sicher hat schon mancher Kollege davon geträumt, die Kritik gleich zum Takt der Musik in den Computer zu hacken und sie noch vor dem Schlussapplaus der Redaktion zu übermitteln (Dresdner erinnern sich sicherlich noch, wie der Kritiker Peter Zacher nach dem letzten Ton eines Konzerts aufsprang und dem Ausgang zueilte…). Der Bild-im-Bild-Modus, also die Funktion, die es einem erlaubt, den Live-Stream in ein kleines Bildchen in den Randbereich des Bildschirms zu schieben, scheint wie dafür gemacht. Er eignet sich aber sicherlich auch für das Beantworten von Emails, die den modernen Büronomaden nun auch noch ins Konzert verfolgen werden. 

Brahms pries dem Musikverleger Simrock seine Cellosonate – nicht ganz wahrheitsgemäß – als für beide Instrumente leicht zu spielen an. Schumanns Fantasiestücke entstammen auch einer gelebten Salonkultur. Entsinnen wir uns doch vielleicht einmal einer Tradition des 19. Jahrhunderts, der Hausmusik. Diese kann man wunderbar in Quarantäne praktizieren: mit seiner Haushaltsgemeinschaft, ohne Mund-Nasen-Schutz. Das Salonpublikum des 19. Jahrhunderts können wir uns allerdings nicht einladen. Dafür braucht es neue Ideen wie Voglers Traumbühne. Schauen wir mal, wie sie vom Publikum so angenommen wird!

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