„Take Me to the Show“ – diese Worte leuchten auf dem goldenen Ticket der „Traumbühne“. Wohlan – auf zum Schokoladenfluss! Eine Kurzkritik in fünf Akten.
Hereinspaziert. Der Eintritt in die schöne neue Online-Konzertwelt ist unkompliziert: Benutzeraccount anlegen, Kreditkartennummer eingeben, Konzertkarte kaufen, gute Kopfhörer aufsetzen, fertig. Leise Irritationen kommen allenfalls vorübergehend auf – wenn das Bild ruckelt, die Auflösung sinkt und der kurzfristig eingesprungene Moderator Julius Rönnebeck mal in die falsche Kamera spricht. Aber der Ton ist generell wirklich gut – und durch verschiedene Kameraperspektiven, die auch meist die ‚richtigen‘ Musiker zeigen, fühlt man sich ins Geschehen hineingesaugt.
Musikalisches Programm. Beethoven, Beethoven, Beethoven. Manchmal klappern die Geigen ein bisschen, und das historische Blech kiekst. Ja, das ist die versprochene Live-Atmo. Josep Caballé Domenechs Lesart der ersten drei Sinfonien des Meisters ist solide, wenig überraschend, eher moderat in den Tempi, zeitweilig wirkt die Interpretation, als spielten die Musiker mit angezogener Handbremse. Von der Couch fegt einen dieses erste Orchesterkonzert der Plattform jedenfalls nicht. Vergnügt hören wir zum späteren Abend etwa Thielemanns Beethoven mit den Wienern: ja, das ist live! Überraschende Tempi, augenzwinkernde Dynamikwahl, lebendige Agogik. Ein donnernder Kehraus, beim Bildschnitt in den jubelnden, voll besetzten Musikverein kommen mir die Tränen.
Attitüde. Sei pünktlich! Wie im echten Konzertleben gilt auch auf der Dreamstage: wer zu spät kommt, hat Pech. Immerhin gibts keine strafenden Blicke der Sitznachbarn, und wer sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank holen will, kann den Stream auch pausieren lassen. Spannend die Frage, ob sich der Bühnenvorhang bei den einschlägigen Stars des Rock- und Popgeschäfts wohl auch – wie im wirklichen Leben – erst eine Dreiviertelstunde nach dem offiziellen Konzertbeginn öffnet? Oder bei den ganz großen Stars erst nach Mitternacht? Lustig wärs ja.
Was uns zu der Frage bringt, wer hier überhaupt aufspielen darf in dieser schönen neuen Scheinwelt. Bisher sind es die „Buddies“ des Plattform-Gründers Jan Vogler, und daher liegt der Schwerpunkt der Konzerte momentan auch noch auf „Classical“. In den sechs weiteren Kategorien, nämlich „Pop/Rock“, „R&B/Hiphop“, „Latin“, „Country“, „Jazz“ und „Other“, ist bisher ein einziges Konzert gelistet: nächsten Sonntag spielt Aoife O’Donovan auf, die Ehefrau des New Yorker Cellisten Eric Jacobsen.
Fazit. Klar, eine solche Plattform braucht Anlaufzeit, „jeden Tag ein Konzert“, das Versprechen wird sicherlich noch eingelöst. Aber stimmt die Grundidee? „Dreamstage never streams pre-recorded material„, tönen die Macher. Ist dieses Alleinstellungsmerkmal, das „live dabeisein“, überhaupt spürbar? Ich vermute: der Unterschied zu einem Mitschnitt ist allenfalls im Kopf desjenigen vorhanden, der gerade 25 Dollar für den Online-Zugang bezahlt hat. Ja, ein Großteil der Einnahmen kommt sicherlich den Künstlern zugute. Aber auch da summen sofort die Fragen im Kopf. Ein Moderator, der eine feste Stelle als Hornist bei einem renommierten Orchester innehat. Die Musiker: der Konzertmeister ein Guildhall-Professor, eine Professorin für Barockvioline, ein Schlagzeugprofessor, weitere Stimmführer und Konzertmeister aus namhaften deutschen Orchestern. „Support the artists by buying your ticket to this premium live performance on Dreamstage!“ Ganz ehrlich – das klingt in meinen Ohren an diesem Abend, während dieses Konzerts in einer upgecycleten historischen Schalterhalle einer Bank (!) wie Hohn. Live-Publikum, das zur Konzert-Atmosphäre sicherlich beigetragen hätte und in Dresden sogar erlaubt wäre, ist nicht zugelassen. Schütter klingt der Applaus der Technik-Crew am Ende. Gut, dass fast zeitgleich die Dresdner Sinfoniker mit Staatsknete einen ganzen Dresdner Stadtteil kostenlos mit Musik versorgen. Musik sollte Grundnahrungsmittel sein, nicht Sahnehäubchen für die oberen Zehntausend des Internets. Hey, die Frage ist ernstgemeint, ihr Intendantinnen und Intendanten der staatlichen Orchester: warum streamt ihr nicht selbst, was das Zeug hält?
Ein Traum. Hier meine Traumgedanken nach dem Konzert, während Beethoven langsam verklingt: das Stichwort heißt Onlinezugangsgesetz. Milliarden, Abermilliarden steckt der Staat derzeit in eine beschleunigte Digitalisierung des Landes. Warum sollte damit nicht auch der Anschub von Plattformen wie Dreamstage so gefördert werden, dass einerseits Weltbürgerinnen und Weltbürger für kleine Preise Musik erleben können – und andererseits die streamenden Künstlerinnen und Künstler, aber auch die Bühnenarbeiter, Dramaturginnen und Maskenbildner unseres Landes ein würdiges Leben leben können? Die Rechnung ist doch ganz einfach: wenn eine Million Subskribenten einer solchen Plattform zum Monatspreis von nur einem einzigen Euro gewonnen wären, könnten jeden Abend Künstler aus drei verschiedenen Musiksparten für ein Durchschnittshonorar von 10.000 EUR auftreten.
Und Kultur würde sich ausbreiten in der Bundesrepublik Deutschland.