…und manchmal, als man denkt. Das muss durchaus nicht immer schlecht sein. Dieweil wir noch auf die bevorzugten Blondinen warten, gibt es an der Staatsoperette nun erst einmal das »Märchen im Grand-Hotel«.
Eigentlich sollte es ja ganz anders los gehen an der Staatsoperette Dresden, zu Beginn des zweiten Jahres der Intendanz von Kathrin Kondaurow. Programmatischer? Aber aus bekannten Gründen konnte die Saison nicht mit der Premiere des Broadwaymusicals »Blondinen bevorzugt« eröffnet werden. Es ist nun auf den Herbst nächsten Jahres verschoben.
Also warten wir auf die Blondinen vom Broadway in Dresden. Stattdessen gab es nun als erste Premiere der neuen Saison ein schönes Märchen à la Hollywood mit der Musik von Paul Abraham, den Texten von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, die Lustspiel-Operette »Märchen im Grand-Hotel«, in der Fassung der Berliner Komischen Oper, Zwei Akte, Vor- und Nachspiel, ohne Pause in gut 90 Minuten zu schaffen.
Die Uraufführung fand 1934 in Wien statt, das Werk wurde im Gegensatz zu anderen Operetten von Paul Abraham, »Victoria und ihr Husar«, »Die Blume von Hawaii« oder auch »Ball im Savoy«, später nicht mehr gespielt, war fast vergessen. Allerdings gibt es seit der Wiederentdeckung vor ein paar Jahren eine ganze Reihe von Aufführungen. Und dieses Stück mit den Sehnsüchten der Menschen nach einer märchenhaften Selbstfindung auf der Durchgangsstation im sagenhaften Nirgendwo eines Fantasiehotels bietet ja wahrlich genug Assoziationen, die sich mit gegenwärtigen Erfahrungen in Beziehungen setzen lassen müssten. Insofern doch in gewisser Weise auch ein programmatischer Start für die zweite Runde der Intendantin.
Nach dieser Premiere fragt man sich: warum war denn dieses Stück so lange vergessen? Wie alle anderen Stücke von Paul Abraham und seinen Textdichtern, die ja alle Juden waren, verschwand es nach 1933 von den Spielplänen; zunächst in Deutschland, dann auch in Österreich. Da waren die anderen Stücke allerdings schon bekannter, daher erinnerte man sich später auch eher an sie.
Die Autoren flohen unter schwierigen Umständen, bei größten physischen und psychischen Problemen. Fritz Löhner-Beder gelang die Flucht nicht, er wurde in Auschwitz ermordet. Es ist schon von beklemmender Aktualität, dass es gerade diese Menschen, diese Künstler es waren, die auch von denen, für die sie die schönsten Märchen auf die Bühnen brachten, so grausam bestraft wurden.
Ohne diesen Hintergrund kann man diese Werke heute nicht sehen und rezipieren. Aber worum geht es eigentlich in diesem musikalischen Lustspielmärchen, auf dieser Reise von einem Filmstudio in Hollywood nach Cannes, ins märchenhafte Grand-Hotel, und wieder zurück nach Hollywood?
Filmproduzent Makintosh – mit großem Augenzwinkern gespielt von Bryan Rothfuss – ist verzweifelt. Die Firma marode, keine Idee, die Konkurrenz bedrohlich. Laila Salome Fischer als seine Tochter Marylou hat einen Plan. Sie übernimmt das Geschäft, macht sich auf nach Europa, ins Grand-Hotel in Cannes, um hier ihre Themen zu finden für einen Film mit Vertretern des entmachteten europäischen Adels, mit ihr als Hauptdarstellerin. Natürlich: Alles mit Happy End.
Und sie findet hier auch, was sie sucht: Das Adelspaar, Gero Wendorff als Prinz Andreas Stephan, der aus Österreich kommt und die Lederhose unter der Prinzenuniform trägt, und Beate Korntner als Infantin ohne Land und – wie sich bald herausstellt – auch ohne Geld, die sich hier von einem Märchen ins andere flüchten, sie auf ihre, er auf seine Weise.
Und da ist Andreas Sauerzapf als Erzähler und vor allem als Zimmerkellner Albert, der sich so seiner eigenen Märchentechniken bedient und verliebt ist in die Infantin. Er wird sie dann auch retten, denn er hat die Knete: er ist ja gar kein Kellner, ist doch operettenklar, er ist der Sohn des Hotelbesitzers. Als dieser legt Marcus Günzel mal wieder so seine Glanznummern hin. Sogar mit gesanglichen Koloratur-Ausflügen in die Countertenorhöhen stöckelt er auch mal als eine Gräfin über die Dresdner Bretter von Weltbedeutung, um dann auch wieder ganz schlicht einen Hausmeister zu spielen, wie das im Märchen eben so ist.
Auf märchenhaften Umwegen kommen dann alle zu ihrem Happy End beim Nachspiel in Hollywood: Alberts Vater hat das Hotel verkauft und somit sich samt Sohn in den Adel eingekauft. Kein Problem mehr für die Infantin, dem Herzen zu folgen, die Karriere als Filmdiva zu beginnen. Den Prinzen aus Österreich und die Tochter des Filmproduzenten wird wohl auch etliches mehr zusammenführen als ihre gemeinsame Vorliebe, die Rollen zu tauschen, zu singen und zu tanzen, wobei der Tenor Gero Wendorff sowohl im Tanz als auch im Gesang ein ziemlich märchenhafter Prinz ist.
Coronabedingt heißt es nicht nur im Saal, sondern auch auf der Bühne, Abstände zu halten. Das gelingt im Prinzip auch recht gut.
Das Orchester spielt auf der Bühne, davor eine große Spielfläche auf dem abgedeckten Graben. Hinterm Orchester steht eine beeindruckende Kulisse des Grand-Hotels (Ausstattung: Esther Dandini).
Allerdings hätte diese räumliche Vorgabe bessere Möglichkeiten einer sensibleren und vor allem intensiveren Inszenierung mit dramaturgischen Grundierungen der Personen verdient. Cornelia Poppe als Regisseurin bleibt zu sehr an der organisierenden Oberfläche. Es fehlt an berührenden Momenten existenzieller Nöte dieser eigentlich ja nirgends beheimateten Menschen, die sich daher nicht von ungefähr in ihre Märchenwelten flüchten.
Schade auch, dass besonders die Zeichnung der Frauen mitunter recht eindimensional und klischeehaft bleibt. Da hat die Regisseurin Möglichkeiten verschenkt. An der dramaturgischen Zuarbeit – es lohnt sich, das Programmheft von Judith Wiemers zu lesen – mangelt es nicht. Und auch die derzeit bedingten Vorgaben der Abstände könnten doch eine künstlerische Herausforderung sein, die Sehnsucht nach Nähe bei Vorgaben der Entfernung auch gestisch und körperlich, körpersprachlich, zu vermitteln; eben in Szene zu setzen.
Natürlich – um nicht falsch verstanden zu werden – kann es nicht darum gehen, die existenziellen Tragödien der Autoren einzubinden. Aber angemessene Momente des Innehaltens hätte ich mir in diesem Lustspiel schon gewünscht. Es hätte dem Wert der Unterhaltung keinen Abbruch getan, ganz im Gegenteil.
Zu einem musikalischen Lustspiel gehört auch der Tanz. Mandy Garbrecht zeichnet verantwortlich für die Choreografie. Und da bringt sie entscheidende Momente und Abläufe ein. Vor allem für die Mitglieder des Balletts natürlich, die mit voller Kraft und Augenzwinkern in unterschiedlichen Funktionen erscheinen; am Ende ganz in Gold, die Herren als attraktive Oscars. Aber auch die Sängerinnen und Sänger geben sich hinein in die tänzerische Lust. Können sie auch: die Choreografin fordert sie schon, weiß aber auch, wo kontraproduktive Überforderung beginnen würde. Es wird mit Lust gesteppt, da hat Alexei C. Bernhard für das Ensemble tolle Arbeit geleistet.
Und nicht zu vergessen der Sound, der Klang in seiner ganzen Fülle. Nach anfänglichen technischen Lautstärkeproblemen kommt alles ins Maß. An klingender Lust mangelt es nicht unter der Leitung von Peter Christian Feigel: Die Operette klingt ab, das Musical kündigt sich an. Der Zeitgeist, der tänzerische Übermut in den Rhythmen der Modetänze; jazzig, schmissig, aber auch immer wieder gefühlvolle Passagen. Das lässt in klanglichen Assoziationen erahnen, wie der Komponist Paul Abraham eine bunte Vision der Welt-Klänge entstehen ließ, bevor militanter Gleichklang diese multikulturelle, sogenannte „musikalische Überfremdung“ beendete. Und schon sind wir montags, mitten in Dresden.
Weitere Vorstellungen: 29., 30. September; 2., 3., 4., 10., 11., 21., 22., 28., 29., 31. Oktober, im November und im Dezember: www.staatsoperette.de