Er ist ein Meilenstein in der Stummfilmgeschichte: Sergej M. Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« gilt als cineastisches Monument von Ewigkeitswert. Einerseits wegen des Inhalts, der letzten Endes die Befreiung der Menschheit aus ihrer Knechtschaft thematisiert, andererseits wegen der filmtechnischen Wagnisse und bahnbrechenden Novitäten zu jener Zeit.
Ein 1925 entstandener Stummfilm, der in gewollt heroischer Weise den zwanzig Jahre zuvor erfolgten Aufstand von Matrosen der zaristischen Kriegsflotte gegen das Regime dieses Zaren thematisiert, dürfte nicht automatisch das Zeug zum filmkünstlerischen Alleinstellungsmerkmal haben. Eisenstein aber hat dieses absichtsvoll heroische Opus mit gekonnt revolutionärer Filmtechnik erarbeitet, dass sich allein schon die markant symbolträchtigen Bilder für immer in der Geschichte des Kinos eingebrannt haben.
Aus einem Murren an Bord des Schlachtschiffes »Fürst Potemkin«, das aus dem sinnlosen japanisch-russischen Krieg ins Schwarze Meer zurückkehrt, wird ein Aufbegehren der Mannschaft gegen die infame und korrupte Offiziersriege. Die war zu Zarenzeiten nicht besser als heute. Aus diesem Aufstand an Bord eines Kanonenboots wird ein Fanal, das auf die Stadt Odessa übergreift, dort aber mörderisch von Kosaken im Auftrag des orthodoxen Zaren niedergeschossen. Der die große Freitreppe am Hafen von Odessa hinabrollende Kinderwagen hat sich auf immer eingeschrieben in die Filmgeschichte.
Lediglich den Handlungsort hat Eisenstein in künstlerischer Freiheit an diesen Schauplatz umverlegt. Drastische Szenen hat er da gestaltet, die ohne viel Zutun an den Umgang mit Demonstranten im Weißrussland von heute erinnern.
Meilensteine der Filmgeschichte hat die Dresdner Philharmonie schon seit Jahren in ihrer Reihe mit Film und Livemusik präsentiert. Erinnert sei nur an die legendären Streifen von Charlie Chaplin, denen neben ihrer Unterhaltsamkeit stets auch eine soziale Komponente anhaftet. Während da aber der Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent auch die Musik selbst verfasst hat, ist es bei Sergej Eisenstein der aus Wien stammende und in Berlin ausgebildete Filmkomponist Edmund Meisel gewesen. Der hat dem Stummfilm »Panzerkreuzer Potemkin« für die deutsche Premiere 1926 den passenden Ton verpasst und so dafür gesorgt, dass dieses Gesamtkunstwerk seinen Platz in der Filmgeschichte erhielt.
Eine restaurierte Fassung des Streifens ist nun am Samstag auf riesiger Leinwand im Dresdner Kulturpalast präsentiert worden, erstmals nahm sich die Philharmonie Meisels Musik dazu an und entfachte – unter der kundigen und wie in all den Jahren zuvor stets frischen Leitung von Helmut Imig – ein Feuerwerk schillerndster Töne zu Eisensteins schwarz-weißem Opus.
Zu den peitschenden Wellen des Meeres schrillen die Streicher und Bläser, als wären sie selbst mit an Bord des stählernen Kreuzers, die Dialoge der Mannschaft (nur hier und da mit Texttafeln erläutert) werden je nach Stimmung mal nur betont, mal drastisch gestanzt, der Auftritt eines der Zarenmacht huldigenden Popen wird von einer E-Orgel bebildert und bei den Gewehr- sowie erst recht bei den Kanonenschüssen bekommt die fünfköpfige Schlagzeuggruppe mächtig zu tun.
In seinem mitunter beinahe tänzelnden Dirigat sorgt Imig für höchste Treffsicherheit auch in solchen Szenen, während er die mit Zitaten gespickte Partitur anderswo mal etwas dehnen, dann rasch wieder anfeuern kann, um die Dramatik des Films kongenial in die Ohren zu treiben.
Eisenstein hat dem ach so heroischen Aufstand zu Sowjetzeiten mit seinem »Panzerkreuzer Potemkin« ein Denkmal setzen sollen, dabei aber wohl für sich auch die Hoffnung gehegt, mit seinem Kunst-Werk gegen Krieg und Gewalt sowie das hierarchische Unrecht gegen das Volk einzutreten.
Wie wichtig es ist, dass die Dresdner Philharmonie auch einen solchen Film in ihre verdienstvollen Reihe mit Livemusik integriert, hat nicht nur der emphatische Beifall im Kulturpalast bewiesen, sondern (leider!) unmittelbar danach auch die Nachrichten bestätigt: In der Grenzregion von Armenien und Aserbaidschan wurden das Kriegsrecht verhängt und eine Generalmobilmachung ausgerufen. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld. Leidtragend sind die einfachen Menschen, ganz egal, auf welcher Seite der künstlich gezogenen Grenzen sie leben.