Kein 15. Januar ohne das »Quartett auf das Ende der Zeit«. Seit Albrecht Goetze die Erinnerung an diese unter unsäglichen Umständen im Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A entstandene Musik wieder wachgerufen hat sowie Jahr um Jahr an diesem ihm „heiligen“ Ort hat aufführen lassen, ist das Wort „Erinnerungskultur“ mit lebendigem Inhalt gefüllt worden. Binnen weniger Jahre wurde aus dem nahezu vergessenen Lagergelände eine Stätte des Gedenkens. Seit 2015 befindet sich dort auch das neugebaute Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur.
Von heute aus könnte man sagen, es ist gerade noch rechtzeitig entstanden. Ob eine derartige Zeichensetzung unter den aktuellen gesellschaftspolitischen Vorzeichen in Polen und Deutschland wohl noch möglich wäre, scheint zumindest sehr fraglich.
In diesem Gebäude sowie an weiteren Spielstätten in der Doppelstadt Görlitz und Zgorzelec sollten auch in diesem Jahr wieder Internationale Messiaen-Tage stattfinden, hätte der Entstehung und Uraufführung von Messiaens Musik gedacht werden können, waren Vorträge, Diskussionen und Begegnungen geplant. Sollten, hätte, waren …
Wie vor acht Jahrzehnten die Seuche der nationalsozialistisch menschenfeindlichen Ideologie weite Teile Europas überzog und letztendlich eine anhaltende, nun wieder aufflammende Spaltung des Kontinents ausgelöst hat, sorgt heute die Corona-Pandemie für einen Abbruch aller verbindenden Kultur. Die Messiaen-Tage sind vorsorglich auf die Zeit vom 29. April bis zum 2. Mai 2021 verschoben worden. Unter dem sowohl historisch als auch aktuell gültigen Thema »Angst und Hoffnung« sollen dann Konzerte, Vorträge, Lesungen, Workshops sowie Führungen stattfinden. Höhepunkte sind, wenn alles so klappt wie geplant, ganz gewiss die Aufführung des »Quatuor« durch ein junges, per Ausschreibung kreiertes Ensemble sowie dessen jazzige Reflexion durch Günter Baby Sommer, Steffen Gaitzsch und Johannes Enders an Schlagzeug, Violine und Saxofon. Damit soll das »Quartett auf das Ende der Zeit« mal ganz couragiert »Im Zeichen des Regenbogens« gesehen und gehört werden.
Ein anderes, ebenfalls bekenntnishaftes Zeichen ist die Aufführung des Quartetts bereits Ende Januar im sächsischen Landtag.
Doch auch am eigentlichen Uraufführungsdatum soll des 80. Jahrestags dieses schier unglaublichen Ereignisses gedacht werden: Denn im Nazi-Verständnis zählte Messiaens Musikwerk schließlich zur „verfemten“ und „entarteten“ Musik. Im Grauen der dunkelsten deutschen Entmenschlichung hat sie ein leuchtendes Zeichen zu setzen vermocht. Daran und an das Leid der etwa 120.000 Kriegsgefangenen, die zwischen 1939 und 1945 in Görlitz zur Zwangsarbeit festgehalten und missbraucht worden sind, wird am 15. Januar 2021 mit Andachten und musikalischen Meditationen in der Heilig-Kreuz-Kirche in Görlitz erinnert, wobei die einzelnen Sätze des »Quatuor« von 15 Uhr an in gebührendem Abstand abgespielt werden.
All dies geschieht ganz gewiss auch im Sinne von Albrecht Goetze, der sich in Görlitz und Zgorzelec als Brückenbauer eines kulturell geeinten Europa eingesetzt hat.