Jeder Mensch, der Ballett, Konzert und / oder Oper erlebt hat, wird um unvergessliche Höhepunkte wissen, denen er hier und da beigewohnt hat. In Lockdown-Zeiten ist das alles Vergangenheit, an die man sich gerne, vielleicht auch mit etwas Wehmut, besinnt. Mit Hilfe eines umfangreichen Buches von Eckart Kröplin dürften nun auch weiter zurückliegende Theatererlebnisse wieder wachgerufen werden. Der einstige Chefdramaturg der Staatsoper Dresden hat das »Operntheater in der DDR« beschrieben.
Es fügt sich, dieses Buch just im 25. Todesjahr der Regisseurin Ruth Berghaus zur Hand zu nehmen. Unweigerlich wird man sich fragen, ist das wirklich schon wieder so lange her? Hat sie nicht eben erst »Elektra« von Richard Strauss an der Semperoper inszeniert – oder die »Fledermaus« von Johann Strauß an der Oper Leipzig? Diese Operette, freigelegt von jedem oberflächlichen Geschmalze, sollte ihre letzte Bühnenproduktion gewesen sein. Am 25. Januar 1996 ist die große – und mitunter heftig umstrittene – Theaterfrau gestorben.
Eckart Kröplin, Jahrgang 1943, erinnert in seinem Kompendium »Operntheater in der DDR« an große Namen und Produktionen. Neben Ruth Berghaus etwa an Walter Felsenstein, Joachim Herz und Harry Kupfer, aber auch an noch lebende Persönlichkeiten wie Christine Mielitz und Peter Konwitschny.
Er geht zurück bis in die Anfangsjahre der DDR, als dort von einer neuen „Nationaloper“ phantasiert wurde, einer politisch begründeten, versteht sich. Kröplin berichtet von einer Aufbruchstimmung in der Kultur des Landes, von deren Verbreitung nicht nur in großen Städten, sondern auch in der Provinz, und nicht zuletzt von deftigen Debatten und rigorosen Rückschlägen. Diktatur und Zensur in ihrer engsten Umarmung.
Paul Dessaus »Die Verurteilung des Lukullus« etwa, erst vor zwei Jahren am Deutschen Nationaltheater Weimar äußerst erfolgreich wiederentdeckt, sorgte einst für heftigen Streit – und die Absetzung des Werkes. Eine ähnliche Wiederentdeckung hätte heute wohl auch Hanns Eislers »Johann Faustus« verdient.
Der Musikwissenschaftler erwähnt die große Riege von Opernkomponisten, die sich durchaus international messen konnten: Siegfried Matthus, Udo Zimmermann, Gerhard Katzer, Paul-Heinz Dittrich, um nur einige von ihnen zu nennen. Auch im Rückblick ist erstaunlich, wie viele Uraufführungen damals gefördert und produziert worden sind.
Kenntnisreich widmet sich der Autor herausragenden Opernhäusern, natürlich der Staatsoper sowie der Komischen Oper Berlin sowie den Häusern in Dresden (wo er die DDR-Erstaufführung von Schönbergs »Moses und Aron« durch Harry Kupfer hervorhebt) und Leipzig (dort besonders Wagners »Ring des Nibelungen« in der Regie von Joachim Herz).
Geradezu spannend und sehr gut lesbar dargestellt sind die politischen Debatten um die Gattung Oper, um ästhetische und inhaltliche Fragen, die bis in die Wendezeit 1989/90 hinein nachverfolgt werden können. Mit seinem Anhang wird Kröplins 350-Seiten-Buch erwartungsgemäß auch wissenschaftlichem Anspruch gerecht. Dank reicher Bebilderung durfte es – zumindest bei etwas älterem Publikum – durchaus sehr persönliche Erinnerungen wecken. Jüngerer Leserschaft wird es entdeckenswertes Neuland erschließen.
Also nichts wie auf in die Oper, ins »Operntheater in der DDR« von Eckart Kröplin. Das absolut empfehlenswerte Buch ist im Henschel-Verlag erschienen und kostet 28 Euro.