Käme wohl ein tierlieber Stadtrat in Dresden auf die Idee, dem Zoo dieser Stadt die Schafzucht vorschreiben zu wollen oder die Haltung so genannter Deutscher Riesen, weil ihm die bisher dort gehaltenen Tiere viel zu exotisch sind?
Bislang (!) haben wir nichts davon gehört, würden aber kaum darauf wetten, dass dies nicht doch noch eines Tages geschieht. Überraschungen gibt es schließlich auch im trostlosesten Nest. Wobei der jüngste Vorstoß – leider! – nicht wirklich überrascht hat, der da für das Festspielhaus Hellerau einen deutlich bodenständigeren Spielbetrieb eingefordert hat. Nicht so exotisch soll es da künftig zugehen, schon gar nicht so elitär. Womit wahrscheinlich der zu hohe Anspruch gemeint war.
Das soll dieser Tage tatsächlich der ernst gemeinte Antrag eines gewählten Parlamentariers gewesen sein, man mag es kaum glauben. Zu seinen kulturellen Erfahrungen wurde bislang nichts bekannt, über die politisch gefärbten Ambitionen kann man nur mutmaßen: Ein bisschen Tümelei gewünscht? Germanische Kunst wäre nicht schlecht, leicht verständlich sollte sie sein und am besten hübsch gewürzt mit nicht nur volksnahem, sondern völkischem Klang? Das Ganze wurde vom Antragsteller, der da im Stadtbezirksbeirat von Klotzsche auftauchte, allerdings mit Forderungen nach „kulturellem Mehrwert“ geschmackvoll verbrämt. Das Haus und dessen Angebot solle ja nur „auf breitere Füße gestellt werden“, was auch immer das heißt. Das Deutsche Fernsehballett kann der Antragsteller damit nicht gemeint haben, auch wenn er das Ensemble gerne nach Hellerau holen würde. Doch erstens ist das Ensemble kürzlich aufgelöst worden und zweitens hat es nie durch „breitere Füße“ auf sich aufmerksam gemacht.
Avantgarde wie die Dresden/Frankfurt Dance Company scheint der alternative Prätendent für entbehrlich zu halten, wenn nicht sogar für exotisch. Ist ja schließlich keine Volkskunst.
Ein Blick in die Geschichte des Festspielhauses hätte genügt und Klarheit darüber verschafft, dass schon der gesamte Gründungsmythos der einstigen Gartenstadt Hellerau auf einem herausragenden Konzept basiert, Stichwort Lebensreform. Weg vom hektischen Industrialisierungsdruck, vom Wirtschaftsdenken und wachsender Uniformität der Städte, hin zu einer gesünderen Lebensform.
Diesem Ansatz folgte auch das 1911 vom Architekten Heinrich Tessenow geschaffene Festspielhaus, das Hellerau kulturelle Bildung vermitteln sollte und rasch zu einem künstlerischen Schmelztiegel avancierte. Hier gaben sich international namhafte Künstlerinnen und Künstler die Klinke in die Hand und sorgten für einen beispiellosen Aufbruch der freien Künste. Ob alternativlose Bittsteller diese Namen überhaupt buchstabieren können, sei dahingestellt.
Dass just in diesen Mauern einer weltoffenen Stätte von Kunst und Kultur dann brauner Ungeist einzog und Polizeikasernen geschaffen worden sind, dürfte das dunkelste Kapitel in der gut einhundertjährigen Geschichte des Festspielhauses gewesen sein. Vom Musentempel zur Polizeischule – was für ein Unding!
Wie stolz sollten wir sein, dass dieses Areal – nach jahrzehntelanger militärischer Nutzung – nun wieder etwas Lebendigem dient, für kulturellen Austausch und humanistische Werte steht. Als Spielstätte des Europäischen Zentrums der Künste eben auch für Experiment und Wagnis. Für die Schafzucht gibt es andere Weiden.