Die Theater der Republik spielen nicht, die Orchester sind seit fast einem Jahr, mit kurzen Unterbrechungen, verstummt, die Kinos geschlossen. Dass nun gerade für dieses Gedenkkonzert zum 13. Februar (hier zum Nachhören) eine Ausnahme gemacht wird, sagt viel über die Gedenkroutinen in dieser Stadt aus. Die Philharmonie spielt seit dem 13. Februar 1946, damals Brahms‘ »Ein deutsches Requiem«. Dass sich in Dresden Gedenken auf diesen Tag stützt, führt immer wieder zu eigenwilligen kognitiven Dissonanzen. Die Geschichte der Dresdner Täter und der jüdischen Opfer ist kaum im öffentlichen Bewusstsein. Wie zur Bestätigung ist in den Grußworten, die der Musik vorausgehen, nur von Zeitzeugen des Bombenangriffs und der Zerstörung der Stadt die Rede. Der schnell hinzugefügte, menschheitliche Appell zum friedlichen Zusammenleben betont die blinden Flecke der Erinnerungskultur nur.
Klassische Musik, insbesondere Instrumentalmusik, eignet sich wunderbar für Projektionen. Ihre semantische Unbestimmtheit erfüllt offenbar eine Sehnsucht der Erinnerungskultur, auf die man auch in Coronazeiten am 13. Februar nicht verzichten will. Die Philharmoniker greifen, anstatt der sonst gern gewählten chorsinfonischen Werke, dieses Jahr auf eine Auswahl im kammerorchestralen Format zurück. Frühklassische Sinfonien passen immer ins Hygienekonzept, und mit Mozarts 25. Sinfonie findet sich auch eines der raren Exemplare der Gattung in Moll. Anton Weberns kammerorchestrale Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs »Ricercar a 6« steht zum ersten Mal seit 1979 wieder auf den Pulten des Orchesters. Und Richard Strauss’ »Metamorphosen« erfreuen sich aufgrund ihrer kleinen Besetzung mit 23 Solostreichern gerade bei vielen Orchestern reger Zuwendung.
Dass man nun aber gerade den Komponisten, der von 1933 bis 1935 Präsident der Reichsmusikkammer war und der sich bis Kriegsende auf Hitlers Gottbegnadeten-Liste fand, auf das Programm setzt, harmoniert auf eigenwillige Weise mit den blinden Flecken der hiesigen Erinnerungskultur. Auch scheint die Programmfolge Strauss’ eigene Verortung in der Musikgeschichte, als deren letzter Vertreter er sich selbst gern sah, insgeheim zu bestätigen. Mit Bach und Mozart sah er sich in einer Linie. Dem Konzertdramaturgen der Philharmoniker scheint diese prekäre Konstellation spätestens beim Schreiben des Programmhefttextes bewusst geworden zu sein. Offen spricht er, den Schweizer Musikwissenschaftler Willi Schuh zitierend, Strauss’ „bedenkliche kulturgeschichtliche Konstruktionen“ an und betont den progressiven Charakter, die klangfarbenkompositorische Innovation der Werbernschen Bach-Bearbeitung.
Kommen wir also zurück zur Musik im leeren Saal. Leider bleiben in Weberns Bachbearbeitung die Klangfarben etwas matt. Bei Strauss Metamorphosen entscheidet sich Janowski für ein Klangkontinuum, aus dem ich gern mehr solistische Differenzierung herausgehört hätte. Die in ihrer Grundkonstellation doch recht süffige Akustik des Saales verschleift hier Vieles zu einem Milchglasklang. Ganz anders hüllt sich der Saal um Mozarts frühe Sinfonie. Hier spielt Janowski seine langjährige Erfahrung als Opernkapellmeister aus und erkundet ganz eigene Klanglandschaften in den vermeintlichen Fingerübungen eines jungen Genies. Der Don Giovanni klingt im Jugendwerk durch. Glücklicherweise geht Janowski nicht auf die suche nach der Schwere im Moll, sondern liefert mit den hochkarätig besetzten Philharmonikern ein Phrasierungskunstwerk der Spitzenklasse. Es ist ein Feuerwerk der Frühklassik, mit einem ausdifferenzierten Spaltklang zwischen Höhen und Tiefen, weich und erdig und doch immer durchhörbar klar. Die Streicher laufen zu Höchstformen auf, wie ein wildes Pferd, das zu lange im Stall stand, und bieten besonders im Allegro con brio der ersten Oboistin Undine Röhner-Stolle eine ganz eigene Wiese, auf der sie in kunstvoll gezogenen Kantilenen bis ins pianissimo präzise und mit hohen musikalischen Verstand Debussys Faun nachzutollen scheint. Man schämt sich fast für das Privileg, diesem intimen Moment im Saal beiwohnen zu dürfen.