In Hellerau öffnet das Neue-Musik-Festival »TONLAGEN – Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik« seine virtuellen Türen. Das einst von Udo Zimmermann als „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“ gegründete Festival wird seit 2019 von Moritz Lobeck geleitet. Die zweite von ihm kuratierte Ausgabe des Festivals gliedert sich bedingt durch COVID-19 in mehrere Teile. Bis 2. Mai 2021 lädt Lobeck nun zu einem ersten digitalen Gang mit Konzerten, Gesprächen und Symposien ein.
There’s no such thing as silence – Stille gibt es gar nicht, meinte John Cage. Das mag gerade auch das TONLAGEN-Festival hoffen, und so begann am Sonntag in Hellerau die diesjährige Ausgabe in aller Stille. Allerdings ist dies alles ein wenig wie Trockenschwimmen. Aller Voraussicht nach wird dieses Frühjahr kein Publikum vor die Tore der Stadt pilgern. Stattdessen werden während der ursprünglich geplanten 21 Tage wechselnde Musikerinnen und Musiker jeden Abend Cages berühmtes Stück 4’33’’ in Émile Jaques-Dalcrozes ehemaliger »Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus« aufführen. Beäugt nur von Wenigen aus der Ferne, mittels heutiger Distributionsapparaturen.
Wiederholt erklärte Cage »4’33’’« für sein wichtigstes Stück. Vom Zen-Buddhismus inspiriert, erklingt in dem Stück für vier Minuten und 33 Sekunden kein einziger Ton. Ein „stilles“ Stück also, für beliebige Besetzung. Nun stellt sich mit der täglichen Wiederholung die Frage, ob ein Festival ein Publikum braucht, um ein Festival zu sein.
Der Festivalleiter Moritz Lobeck hat sich entschlossen, das Festival aufzusplitten. Manches findet wie geplant im Frühjahr statt, manches im Herbst und manches gar erst im nächsten Jahr. Es war jeweils eine Einzelabwägung – und für die nächsten drei Wochen liegt der Schwerpunkt nun erst einmal auf Aufzeichnungen und digitalen Formaten. Wagen wir also einen Blick auf das Programm der geschrumpften Geister-Festspiele!
Zur Neuen Musik gehört die Reflektion. Diese Form der Selbstvergewisserung und des gemeinsamen Nachdenkens lässt sich leicht ins Digitale verlagern. Die Tonlagen tun dies gleich in zwei Tagungsformaten. Auf dem Symposium »Musik Theater Positionen« geht man gemeinsam in digitaler Distanz auf die Suche nach Positionen im Neuen Musiktheater. In dem zweiten von Elisa Erkelenz kuratierten Symposium »Spalten, Teilen« will man sich Fragen der Diversität und Gerechtigkeit im zeitgenössischen Musikbetrieb widmen.
Am kommenden Wochenende stehen zwei Uraufführungen auf dem Programm. Im Livestream aus Frankfurt kann man Alva Notos »Xerrox Vol. 4« verfolgen. Der Chemnitzer Carsten Nicolai aka Alva Noto gilt seit den 1990er Jahren als wichtiger Vertreter der elektronischen Musik und hat u.a. mit Blixa Bargeld zusammengearbeitet. Für das Ensemble Modern hat er nun den vierten Teil seiner elektronischen »Xerox«-Reihe “instrumentiert”. Den Gegenpol zu diesen elektro-akustischen Grenzgängen liefert die posthume Urauführung von Paul-Heinz Dittrichs Vertonung von Paul Celans »Todesfuge«. Von der fränkisch-flämischen Vokalpolyphonie der Renaissance inspiriert entstand das Werk bereits in den 90er Jahren, wird aber erst jetzt vom Vokalensemble AuditivVokal aus der Taufe gehoben. Beide Streams werden kostenfrei zugänglich, jedoch bittet das Festival seine virtuellen Gäste, die aufwendigen Produktionen mit dem freiwilligen Kauf eines Support-Tickets zu unterstützen.