Sein Name klingt wie Musik: Giuseppe Sinopoli. Ein unvergessener Komponist und Dirigent, der so viel mehr war als „nur“ Musiker oder „nur“ Künstler. Ein Universalgelehrter vielleicht?
Dieses Wort griffe womöglich zu hoch, Sinopoli selbst hätte es in gebotener Bescheidenheit ganz sicher zurückgewiesen. Doch der 1946 geborene Venezianer, der im sizilianischen Messina aufwuchs und am 20. April 2001 mit nur 54 Jahren an einem Herzinfarkt in Berlin verstarb, ist derart vielseitig unterwegs gewesen, dass jede einseitige Zuordnung unvollständig wäre. Ein Mann, der stets im Spagat stand?
Sinopoli wurde in eine eher amusische Familie mit insgesamt zehn Kindern hineingeboren, avancierte jedoch schon in sehr jungen Jahren zu einem äußerst kunstsinnigen Menschen, erhielt Klavier- sowie Orgelunterricht und zählte bald zur Komponistenavantgarde von Italien. In den 1970er Jahren war der unter anderem durch Bruno Maderna unterwiesene Schöpfer von elektronischer Musik, Solowerken und Orchesterstücken sowie einer Oper (»Lou Salome«, UA 1981) enorm schaffensreich – um sich dann ganz und gar dem Dirigentenberuf zuzuwenden.
Zuvor hatte er freilich neben seiner musikalischen Ausbildung auch ein Medizinstudium absolviert und mit einer Promotion gekrönt. Er war Doktor der Kriminalanthropologie, beschäftigte sich intensiv mit philosophischen Fragen sowie mit Archäologie. Ganz zuletzt arbeitete er noch an einer Dissertation über die assyrische Kultur in Mesopotamien.
Der jähe Tod – Giuseppe Sinopoli stand am Pult der Deutschen Oper Berlin und dirigierte eine dem kurz zuvor verstorbenen Generalintendanten Götz Friedrich gewidmete Vorstellung von Verdis »Aida« – riss den Maestro aber nicht nur aus seiner wissenschaftlichen Arbeit. Für das Dresdner Musikleben endete damit auch eine enorm fruchtbare Zusammenarbeit des Italieners mit der Sächsischen Staatskapelle, der dieser Musiker seit 1992 in einer festen Zusammenarbeit als Chefdirigent eng verbunden war, nachdem es bereits 1987 eine erste gemeinsame Schallplattenaufnahme gegeben hatte. Ganz offenbar ist dies eine ideale Partnerschaft für ihn gewesen, über die er bekannte: „Meine Klangvorstellung war genau die Klangvorstellung, die das Orchester immer hatte. Die musste man nur ein bisschen auspolieren. Und meine Aufgabe war es, mit dem Orchester zusammen eine kleine Restauration zu machen.“
Stillstand gab es für ihn nicht
Giuseppe Sinopoli hat viele große Orchester geleitet, im Zusammengehen mit der Staatskapelle aber wurde er nahezu eins. Kein Wunder, dass aus dem Chefdirigenten zum Sommer 2003 der Generalmusikdirektor der Semperoper werden sollte. Obwohl Giuseppe Sinopoli auch da im Spagat stand: „Ich habe zwei Familien. Eine ist mein Orchester in Dresden. Und das andere ist für mich ein sehr wichtiger Aspekt, das ist meine private Familie. Ich muss mich teilen zwischen diese zwei wichtige Aufgaben.“
Stillstand gab es nicht für Giuseppe Sinopoli. Weggefährten vermuteten, der rastlose Maestro habe sich zuviel zugemutet. Die emotionale Aufgeladenheit der Berliner »Aida« als eine sehr persönliche Geste der Versöhnung mag das Ihre mit dazu beigetragen haben, dass der stets so sensible Geist in höchste Wallung geriet.
„Wenn er dirigiert hat, dann war das ein Feuerwerk an Emotionen, an Kraft aber eben auch an leisen Tönen“, erinnert sich der Dresdner Musikwissenschaftler Matthias Herrmann. „Er war eine ganz komplexe Persönlichkeit und er hat viele seiner sehr innovativen Ideen in die Tat umgesetzt.“ Grund genug für ein Gedenkbuch zum 20. Todestag, das Matthias Hermann soeben herausgegeben hat: »Giuseppe Sinopoli und Dresden« (Sax-Verlag Markkleeberg).
Italienischer Einfluss hat dem sächsischen Musikleben – und namentlich dem von Dresden – bekanntlich schon stets gutgetan. Während Sinopoli Zeit als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle schien es so, als könnte damit an alte Traditionen angeknüpft werden, um sie mit neuem Geist zu beleben.
Radiokonzerte bei MDR Kultur und MDR Klassik
Hommage zum 20. Todestag von Giuseppe Sinopoli
Dienstag, 20. April 2021, 20 Uhr
Giuseppe Sinopoli Dirigent
Gil Shaham Violine
Sächsische Staatskapelle Dresden
Giuseppe Sinopoli »Hommage à Costanzo Porta« (2) aus: »Pour un livre à Venise«
Joseph Haydn Symphonie D-Dur Hob I:104
Johannes Brahms Violinkonzert D-Dur op. 77
Aufzeichnung des 7. Symphoniekonzerts aus der Semperoper vom 18.12.1994
Sylvain Cambreling Dirigent
Peter Bruns Violoncello
Sächsische Staatskapelle Dresden
Giuseppe Sinopoli »Tombeau d’Armor III« für Violoncello und Orchester
Aufzeichnung des 9. Symphoniekonzerts aus der Semperoper vom 06.03.2004
MDR Kultur Konzert
Freitag, 23. April 2021, 20 Uhr
Daniel Harding Dirigent
Sächsische Staatskapelle Dresden
Gustav Mahler Symphonie Nr. 5 cis-Moll
Aufzeichnung vom 17.04.2021 aus der Semperoper Dresden
Kammermusik der Staatskapelle Dresden
Werke von Giuseppe Sinopoli, Bruno Maderna, Franz Schubert und Robert Schumann
Aufzeichnung vom 21.04.2021 aus dem Festspielhaus Hellerau (Auswahl)
Erinnerungsband zum 20. Todestag
»Giuseppe Sinopoli und Dresden«
von Matthias Herrmann (Hg.)
ISBN 978-3-86729-263-4
Format 15 x 21 cm, gebunden
176 Seiten mit 30 Abbildungen
Ladenpreis 19,80 €, 1. Auflage Mai 2021
Erhältlich im Buchhandel und beim Sax-Verlag