Es dürfte nicht gemangelt haben an musikalischen, kreativen und und künstlerischen Grüßen, als gestern der Dresdner Sänger Jürgen Hartfiel seinen 80. Geburtstag feierte.
Die musikalischen Gene hat er mit seiner Frau, der Tochter des Dresdner Sängers Theo Adam, ganz direkt an seinen Sohn Florian weiter gegeben. Er absolvierte wie der Vater ein Gesangsstudium an der Dresdner Hochschule für Musik und brachte als Bariton – wie der Vater, so der Sohn – dieses Geburtstagsständchen gemeinsam mit einem Ensemble des Chores der Semperoper zum Klingen. Bei den Töchtern führten die Gene der Kreativität in andere künstlerische Bereiche. Raum- und Möbeldesignerin die Tochter Juliane, freie, künstlerische Fotografie Josephine, sie hat beispielsweise die »Suppenbar« in der Neustadt gestaltet, lebt in London und grüßte demzufolge aus der Ferne. Auch dies – davon wird noch die Rede sein – fügt sich letztlich zum immer wieder grenz- und genreüberschreitenden Profil des Sängers Jürgen Hartfiel.
Sein musikalisches Talent war früh erkennbar. Der Oberschüler erhält an der Dresdner Musikschule Geigenunterricht. Gesang studiert er an der Hochschule für Musik in Dresden, aber erst nach einer Ausbildung zum Bauschlosser, von 1962 bis 1967, bei so renommierten Lehrern wie Ruth Goldmann und Johannes Kempter. Noch als Student, 1966, ist der junge Bariton, der sich dem lyrischen Fach zuwenden wird, Preisträger des Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerbes.
Von der Hochschule führt der Weg in das Studio der Sächsischen Staatsoper Dresden, ab 1970 fest ins Ensemble. Mit den Partien, die der junge Bariton hier singt, kann er seine glänzende Gesangstechnik mit der Wärme seiner lyrischen Grundierung verbinden. Das gelingt, nur einige Beispiele, nachhaltig als Papageno in Mozarts »Zauberflöte«. Hier melden sich auch schon die Freude an Verschmitztheit und der Humor. Später kommt die Kunst emotionaler Facetten dazu. Weitere Mozartpartien wie Masetto in »Don Giovanni« werden folgen, im italienischen Repertoire mögen Schaunard in »La Bohéme«, der Baron in »La Traviata« als Beispiele stehen. Jürgen Hartfiel singt die Partie des Oliver in »Capriccio« von Richard Strauss, wendet sich auch moderneren Werken zu. Er ist der Barbier in »Die Nase« von Schostakowitsch, der Ferdinand in Prokofiews »Die Verlobung im Kloster«.
In einem Interview mit der Hamburger Zeitschrift „Das Opernglas“, Jahrgang 1987/88, bezeichnet er die Titelpartie in Rossinis »Der Barbier von Sevilla« als seine Lieblingspartie, betont aber auch, dass sie höchste Anforderungen stelle und dass er sehr glücklich sei, diese bestanden zu haben. Aber sich immer neuen Herausforderungen zu stellen, das hat den Sängerdarsteller Jürgen Hartfiel geprägt, der so sachliche wie angemessene Kritik schätze und schätzt, damals besonders die des Sängerkollegen und Operndirektors Rolf Wollrad.
Im angeführten Interview mit Rainer Kasselt geht es auch um das Engagement des Sängers für zeitgenössische Musik, im Konzert und in der Oper. Er gehörte zum Ensemble der Uraufführung der Erstfassung der Oper »Die weiße Rose« von Udo Zimmermann, 1967 im Dresdner Opernstudio. In einem nicht genau datierbaren Dokument, Anfang der 1970er Jahre, im Archiv der Staatsoper, heißt es, dass Jürgen Hartfiel betont, bei zeitgenössischen Bühnenwerken könne er besonders die Erfahrungen seines heutigen Lebensgefühles einbringen, „ohne den Stoff, wie in der klassischen Oper, gewaltsam zu aktualisieren.“ Als Beispiel nennt er später in ähnlichem Zusammenhang auch auch eine Partie, die ihm besonders am Herzen liege: die des Schusters in Udo Zimmermanns »Die wundersame Schustersfrau« nach Federico García Lorca in der Übersetzung von Enrique Beck. Die Uraufführung fand am 25. April 1982 im Schlosstheater Schwetzingen statt.
Im Zusammenhang mit Udo Zimmermann und dessen Einsatz für zeitgenössische Musik, damals vor allem im Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik, später dann im Festspielhaus Hellerau, gehört auch die Tatsache, dass Jürgen Hartfiel zu den Gründungsmitgliedern des Ensembles Musica Viva gehörte, ebenso wie die Dresdner Altistin Elisabeth Wilke, die sich jetzt aus Salzburg, wo sie am Mozarteum unterrichtet, meldet und sich erinnert:
„Was war das für eine Stimmung, mitten in der DDR, da brachten wir ein zutiefst mystisches, meditatives Stück von Karlheinz Stockhausen zur Aufführung. Sechs Sängerinnen und Sänger, dazu Lautsprecher, 80 Minuten, mit einem B-Dur-Akkord und seinen Obertönen. Wir saßen versunken im Kreis, das war für uns junge Opernsänger völliges Neuland, aber wir spürten, wie wir uns in der Kunst des Klanges auf so bislang unbestrittenes Neuland bewegten und die ja eigentlich hier ausgegrenzte Religiosität gewissermaßen durch eine Hintertür im damaligen Zentrum für Zeitgenössische Musik erfahrbar wurde.“
In solchen Zusammenhängen, so Elisabeth Wilke, konnte ein Künstler wie Jürgen Hartfiel besondere Akzente setzen, er wusste es, moderne Musik verlangt den ganzen Sänger, der auf die fundierten Grundlagen seiner gesangstechnischen Ausbildung aufbauen kann.
Später dann, als 1987 im Programm der Musikfestspiele Mauricio Kagels »Mare nostrum« erstmals in der DDR aufgeführt wurde, war Jürgen Hartfiel einer der wichtigen Sänger dieser 1989 auch zu den Wiener Festwochen eingeladenen Produktion. Es war auch die erste Aufführung für den heutigen Rektor der Dresdner Hochschule für Musik, Axel Köhler, der hier eine Counterpartie aus dem Bereich der zeitgenössischen Musik singen konnte. Es blieb die einzige. Für ihn ein glücklicher Zufall, dass er mit Jürgen Hartfiel als Bühnenpartner erarbeiten durfte, den er ja aus Studienzeiten kannte.
Zum Geburtstag des Sängers und Lehrers, für Axel Köhler ein guter Anlass, sich zu bedanken: „Ich möchte ihm herzlich danken für seine Kollegialität und für seine prägende pädagogische Arbeit, die er von 1987 an über insgesamt 27 Jahre an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden geleistet hat.“
Und die Sängerinnen und Sänger, die hier von Jürgen Hartfiel ausgebildet wurden, wissen es zu schätzen, wie die Dresdner Sopranistin Stephanie Krone, an der Landesbühnen Sachsen: „Er hat mich gelehrt, ausdrucksstark und charaktervoll zu singen und dennoch in jedem Moment ökonomisch mit den Ressourcen meiner Stimme umzugehen. Dieser Leitsatz hat mich durch viele anspruchsvolle und kräftezehrende Partien hindurch getragen.“
Und noch immer, drei bis vier mal in der Woche kommen Sängerinnen und Sänger, längst bewährt und in festen Engagements, nach Dresden um regelmäßig von Jürgen Hartfiel unterrichtet zu werden. Zu ihnen gehört der Bariton Martin Gäbler, zunächst erfolgreich in Chemnitz, jetzt am Theater in Ulm. Martin Gäbler und Jürgen Hartfiel begegneten sich zunächst bei der Wiedereröffnung der Semperoper, „Wir standen gemeinsam auf der Bühne“, so erinnert sich Gäbler, „er als Solist und ich im Kinderchor. Unsere Wege kreuzten sich immer wieder. Als Komparse der Semperoper und dann zu meinem Gesangsstudium, wo er mein Gesangslehrer wurde. Seitdem begleiten seine Bühnen- und Gesangserfahrung mich in meiner gesanglichen Entwicklung und es entstand eine prägende, langjährige und intensive Zusammenarbeit. Herrn Hartfiels menschliche Art Fachwissen zu vermitteln, gab und gibt mir immer wieder wichtige Impulse für meine Sängerpersönlichkeit und hilft mir auch in meiner jetzigen Tätigkeit am Theater Ulm. Jeden Aufenthalt in Dresden nutze ich für eine Gesangsstunde bei ihm, und er bringt mich immer wieder weiter voran.“
Diese Liste ließe sich fortsetzen. Etwa mit dem Erfolg des Tenors Min Seok Kim, am Staatstheater Darmstadt, der 2009 beim Internationalen Antonín-Dvorák-Wettbewerb in Karlovy Vary den 1. Preis erhielt.
Jürgen Hartfiel, selbst hier und in anderen Jurys tätig, rät aber auch, diesen „Jahrmarkt der Wettbewerbe“ genau zu prüfen. Jurys aus Intendanten, Operndirektoren und Journalisten, die auf das fertige „Produkt“ schielen, stehe er kritisch gegenüber. Ihm gehe es vor allem um die jungen Künstler, die den Rat, die Begleitung der erfahrenen Kollegen brauchen, um ihnen die Angst zu nehmen, dass sie keine Chancen hätten. er betont aber auch wie wichtig es sei sie darin zu bestärken immer wieder die Notwendigkeit fundamentaler Grundlagen nicht aus den Augen zu verlieren, so in einem Beitrag das Magazins „Rondo“, Ausgabe 4, 2006.
Mit seinen gegenwärtigen Erfahrungen angesichts von Problemen, die junge Sängerinnen und Sänger zu bestehen haben, empfiehlt er, „Durchhaltevermögen zu beweisen, trotz schwieriger Zeiten Karriere zu machen, auch kleine Engagements zu finden und anzunehmen.“ Und vielleicht, auch dies ist ja nicht ganz unwesentlich in der künstlerischen und persönlichen Biografie von Jürgen Hartfiel, immer mal wieder die Grenzen zu überschreiten, auch mal – wie bei seinem Gastspiel an der Landesbühnen Radebeul auf der Felsenbühne in Rathen, hoch zu Roß, als Indianerhäuptling Old Surehand.
Auch seine Gastspiele an der Dresdner Staatsoperette sind zu nennen, das heitere Genre ist eben letztlich nur wirklich heiter, wenn man es ernst nimmt, wenn man die Musikalität der Werke auf der Grundlage klassischer Techniken des Gesanges erblühen lassen kann. Das kann die Sängerin Ingeborg Schöpf sofort im Gespräch aus der gemeinsamen Erfahrung bestätigen, und schon beginnt sie sich singend zu erinnern, an „ihren eigentlichen Husaren“, Jürgen Hartfiel als John Cunlight, dem amerikanischen Botschafter, in »Victoria und ihr Husar«: „Reich mir noch einmal zum Abschied die Hände“.
Und natürlich nicht zu vergessen, die Produktionen Jürgen Hartfiels mit Friedrich-Wilhelm Junge und Traute Schölling auf dem Theaterkahn. Wer eine davon erlebt hat, hat die Bilder, die Klänge, die Ironie sofort im Kopf, Wagner und Winnetou trafen aufeinander, „Voran zum Edelmenschen“ so Reinhard Wengierek in der Wochenpost, am 13. April 1990. Das Das Stück kam 1988 im Programm der Musikfestspiele zur Uraufführung und hieß »Seelenlust & Augenweide«. Der Rezensent betont die fein gesetzten Akzente des Regisseurs Carsten Ludwig, die absolute Souveränität der Sänger und Schauspieler in der Beherrschung künstlerischer Mittel. Es ging um Motive der Werke Wagners und Karl Mays in verlogener Aneignung zwecks Proklamationen inhumanen Größenwahns in der Überlegenheitspose nationalistischer Herrschaftsansprüche.
Ja richtig, das war 1988, als sich hier Wagner und Winnetou in Dresden die Ehre gaben. Hat die Kunst da etwa wieder einmal etwas voraus sehen können? Jürgen Hartfiel war dabei, Regisseur Carsten Ludwig erinnert sich, eine unwahrscheinliche Erfahrung, diese menschliche und künstlerische Kollegialität eines „Opernsängers“, „der eigentlich immer gute Laune hatte, aufgeschlossen war, körperlich und geistig. In seiner Spiellust konnte er an die Grenzen gehen. Mitunter, so Ludwig im Gespräch, „ein großer Junge, der sich mit Elan und Neugier auf die neuen Möglichkeiten dieses gänzlich anderen Genres einließ. Es wurde, so Ludwig, ein künstlerischer, konstruktiver Austausch zwischen den Mitwirkenden, Gesang, Schauspiel, Tanz und einem exzellenten Trio der Musiker.
Dieser Austausch, dieser beständige Dialog, diese Art der Verbindung von gewonnenen, jedoch nicht vergessenen, und neu zu gewinnenden Erfahrungen, macht die Persönlichkeit des Sängers, Darstellers und nun vor allem des Lehrers Jürgen Hartfiel aus, der aber jetzt doch auch etwas kritisch auf die Situation der Oper schaut und seiner Hoffnung Ausdruck gibt, „dass sich in der Zukunft das Regietheater nicht zu sehr von Sujet der Stücke und der Musik der Komponisten entfernen sollte.“
Und schon wäre ein neues Thema zu bearbeiten. Kunst kennt eben keine Grenzen, und glaubt man, gerade eine überwunden zu haben, fordert die nächste heraus, und wie toll, dass sich wie in diesem klangvollen, künstlerischen Leben Jürgen Hartfiels immer wieder neue Horizonte auftaten und vor allem sich junge Sängerinnen und Sänger, Künstlerinnen und Künstler, sich anregen, anstecken lassen. Glückwunsch, lieber Herr Hartfiel!