Eine Nationaloper muss wahrscheinlich „tümeln“. Carl Maria von Webers romantische Oper »Der Freischütz« gilt bekanntlich als die deutsche Nationaloper schlechthin, auch sie steckt voller Tümelei sowohl in der Handlung als auch in der Musik. Doch beides ist wesentlich mehrschichtiger, steckt voller Dramatik und bietet ein Spektrum von Oberfläche bis Tiefgründigkeit. Uraufgeführt wurde »Der Freischütz« vor 200 Jahren, am 18. Juni 1821 im Schauspielhaus Berlin. Seitdem hat diese Oper einen unaufhaltsamen Siegeszug angetreten und wurde auch oft zur Einweihung von Theatern genutzt. So etwa 1938 beim Theater Dessau, damals in Gegenwart von fürchterlicher Nazipräsenz, so aber auch 1950 in Radebeul bei den Landesbühnen Sachsen. Und auch die Semperoper in Dresden wurde 1985 wurde mit dieser Oper wiedereröffnet, nachdem »Der Freischütz« als letzte Aufführung vor der Zerstörung des Hauses über die Bühne ging, als der Zweite Weltkrieg an seine Wurzeln zurückgekehrt war.
Webers Werk allerdings als bloße Eröffnungsoper abzutun, würde dem Stück nicht gerecht werden. Nicht zuletzt ist es auch ein beträchtlicher Publikumsrenner etwa auf der Freilichtbühne Rathen. Das räumliche Aufeinandertreffen von Elbe und Bergwelt dürfte den Komponisten, der ab 1817 Hofkapellmeister in Dresden gewesen ist und den »Freischütz« mutmaßlich auch für die damalige Hofkapelle geschrieben hat, stark beeinflusst haben. Der Dresdner Regisseur Johannes Gärtner ist davon überzeugt: „Das ist eine wirkliche Inspirationsgegend gewesen, nicht nur für Weber, sondern ebenso für Wagner. Alle Musiker und Künstler von Caspar David Friedrich bis hin zu Ludwig Richter haben das damals gemacht und sind die Seitentäler der Elbe durchwandert, haben die stimmungsvolle Landschaft in sich aufgesogen. Insofern schwingt viel vom einfachen Leben im »Freischütz« mit.“
Für Johannes Gärtner, der auch im kommenden Sommer wieder mit den »RICHARD WAGNER SPIELEN« – nunmehr bereits in der 8. Spielzeit – ins Jagdschloss Graupa einlädt, sind diese Einflüsse von Weber auf Wagner übergegangen. „Für Richard Wagner war »Der Freischütz«tatsächlich ein Initialerlebnis. Er hat da als Kind im Chor mitgesungen und fand natürlich sein Kostüm toll, schließlich kam er ja aus einer Theaterfamilie. Aber hat später explizit gesagt, so wie Weber möchte er auch komponieren können. Und er hat sich zeitlebens mit diesem Vorbild auseinandergesetzt.“
Die Auseinandersetzung mit Carl Maria von Weber hält an. Beispielsweise bei Romy Donath, die seit kurzem das Weber-Museum im Dresdner Stadtteil Hosterwitz leitet. Aber auch sie kommt diesbezüglich um Richard Wagner nicht herum: „»Der Freischütz« war eigentlich die wichtigste Oper im 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum. Ohne Weber und den »Freischütz« wäre Wagner auch nicht denkbar gewesen.“
Sie muss es wissen. Denn unter ihrem Künstlernamen Romy Petrick kennt man die Museumschefin und ausgewiesene Musikwissenschaftlerin auch als Sängerin. „Ich bin mit dem »Freischütz« quasi aufgewachsen und habe beispielsweise in Rathen sowie bei den Domstufen in Erfurt das Ännchen gesungen. Und wenn man dann an diesen Ort kommt und weiß, hier hat Weber mit seiner Familie gelebt, hier wurde gemeinsam musiziert, dann hat man nochmal ein ganz besonderes Gefühl für die Räume. In gewisser Weise empfinde ich das als ein Heiligtum, es ist ja der einzige Ort, der so konkret an Weber erinnert.“
Mit seinem »Freischütz« hat dere Romantiker ganz neue Wege geöffnet, meint Romy Donath: „Das war natürlich in Abgrenzung von der Opera seria, die man vorher hatte, oder zur italienischen Hofoper ein völlig neues Sujet, eine ganz neue Art von Operntheater.“ – Was seinerzeit durchaus ein Wagnis gewesen ist, allerdings eines, das umgehend von großem Erfolg gekrönt war, wie Donath erläutert: „»Der Freischütz« ist damals eingeschlagen wie eine Bombe, weil er dieses erstarkende Nationalgefühl genau getroffen hat, Die Oper bildete für die Menschen eine Art künstlerische Identifikationsmöglichkeit. Unter dem Nationalgefühl wurde aber auch ein ästhetisches Moment gesehen, beispielsweise wurden viele volksliedhafte Melodien verwendet, oder auch, dass es im Wald spielt, sowie die Förster- und Jägeratmosphäre hatten wine verbindende Wirkung gehabt.“
Was musikalisch damals noch Neuland gewesen ist, kam damit bei Webers Publikum bestens an. „Es war bereits zur Uraufführung so, dass mehrere Nummern gleich wiederholt werden mussten, weil die Melodien so eingängig waren. Man sagt, dass nachher auf den Straßen ganz viele Menschen diese Melodien gesungen und gepfiffen haben. Von Heinrich Heine gab es dazu die spöttische Bemerkung, dass man dem Brautlied »Wir winden dir den Jungfernkranz« nicht entkommen konnte. Webers »Freischütz« hat quasi in alle Haushalte Einzug gehalten, jeder hat damals den Jägerchor gesungen, das sind die Schlager des 19. Jahrhunderts gewesen.“
Wichtig ist Romy Donath freilich auch der Hinweis, dass diese Oper neben aller Popularität für Carl Maria von Weber auch ganz persönlich ein großer Erfolg gewesen ist: „Für Weber selbst war »Der Freischütz« wie ein Befreiungsschlag. Durch den finanziellen Erfolg konnte er sich von seinen Schulden lösen, erst da begann für ihn ein gewisser Wohlstand, der ihn unabhängig machte und mit dem er sich materiell abgesichert fühlen konnte.“
Dass die Museumschefin, die von der Bühne kommt und in der Welt der Musik nach wie vor zu Hause ist, sich an ihrer neuen Wirkungsstätte äußerst wohlfühlt, ist nicht zu überhören: „Für mich ist es eine ganz besondere Ehre, hier arbeiten zu können. Das Museum ist das einzige weltweit, dass diesem Komponisten gewidmet ist. Das Haus hat sich eigentlich kaum verändert. Was die Atmosphäre betrifft, können wir Weber noch heute in jedem Zimmer noch nachspüren.“
Im Herbst soll es im Carl-Maria-von-Weber-Museum eine eigene Ausstellung zum »Freischütz« geben.