Die Dresdner Semperoper bekommt zum zweiten Mal seit ihrem Bestehen als Hof- und Staatstheater eine Intendantin. Das ist ein für Sachsen typischer sehr später Fortschritt. Etwas nachmachen, was anderswo längst vorgemacht worden ist. Die Sächsische Staatskapelle, immerhin, hatte schon wiederholt eine Capell-Compositrice an die Elbe geholt. Die Bayreuther Festspiele haben in diesem Sommer zum ersten Mal in ihrer 145jährigen Geschichte eine Dirigentin ans Pult des Festspielorchesters gelassen. Das ist überfällig, viel zu spät und typisch bayrisch-fränkische Nachzüglerschaft.
Das Nürnberger Staatstheater allerdings wird seine Generalmusikdirektorin verlieren. Ein herber Schlag für Haus und Orchester, beide hatten in der Vergangenheit schließlich von der künstlerischen Kompetenz der – in Erfurt einst als jüngste Generalmusikdirektorin Europas verpflichteten – Maestra durchaus profitiert.
Wir betreiben hier weder ein heiteres Beruferaten noch ein Versteckspiel von Namen. Dennoch haben sie alle irgendwie miteinander zu tun. Dresdens erste und zweite Opernintendantin, Ulrike Hessler und Nora Schmid, sie arbeiteten bereits in einem engen Team zusammen, als der Dirigentenberuf für Frauen den meisten Menschen exotisch vorgekommen ist. Vor allem natürlich den davon (noch) nicht betroffenen Orchestermusikern. Inzwischen dürften sich die meisten dieser Herren – ihren Kolleginnen an den Pulten sowieso – an die eine oder andere Dirigentin gewöhnt haben. Auch wenn vielleicht gerade die traditionsreichsten und konservativsten unter den Klangkörpern noch nicht so ganz und gar reif für eine Taktgeberin sind.
Als die Schweizerin Nora Schmid noch unter der Hand als Nachfolgerin für den Schweizer Peter Theiler gehandelt worden ist, konstruierte schon so mancher Kaffeesatzleser die Kontakte der aktuellen Intendantin von Graz und brachte mehr oder weniger laut den Namen von Oksana Lyniv ins Spiel. Die aus der Ukraine stammende Dirigentin hat schließlich in Dresden ihr Aufbau- und Meisterklassenstudium absolviert und war ab 2017 Chefdirigentin der Oper Graz sowie des Grazer Philharmonischen Orchesters. Allerdings hätte ein guter Espresso den Blick wohl dahingehend zu schärfen vermocht, dass diese weibliche Doppelspitze in der Steiermark von nicht allzu langer Dauer gewesen ist. Zumal Oksana Lyniv dort zwar in fünfzehn Orchesterproben einschließlich der Generalprobe Mieczysław Weinbergs Holocaust-Oper »Die Passagierin« einstudiert hat, die Neuproduktion dann aber nach dem ersten Lockdown (die neue Zeitrechnung gilt schließlich auch im weltweiten Musiktheater) trotz eindeutigem Votum des Orchestervorstands an ihren aus Radeberg stammenden Nachfolger Roland Kluttig abgeben musste.
Darauf einen bestens gezogenen Tee, um die Sinne zu schärfen. Da wird die Erinnerung wach, dass Sachsens ebenso über- wie unterschätzte Kunstministerin bei ihrer Abwahl von Theiler & Thielemann nicht nur mit Glaskugeln in Kaffeesätzen gerührt hat, um dem staunenden Publikum hellsichtig zu verkünden, dass die Oper in zehn Jahren nicht mehr die Oper von heute sei (was ja wahrscheinlich auch im Umkehrschluss gilt), sondern auch eine weibliche Nachfolge in Aussicht gestellt hat.
Sollte damit tatsächlich gemeint sein, dass die Sächsische Staatskapelle ab 2024 eine Chefdirigentin oder die Oper gar eine Generalmusikdirektorin erhalten wird? Umgehend kam da wieder der Name von Joana Mallwitz ins Gespräch. Noch ist sie die Musikchefin in Nürnberg, just an jenem Theater, von dem aus der heutige Semperopern-Intendant nach Dresden gekommen ist. Im Mai und Juni 2022 wird sie an sieben Abenden in Dresden zu erleben sein. Und nun wurde verkündet, dass die Dirigentin in der Stadt an der Pegnitz auf eigenen Wunsch hinwerfen will! Just zum Sommer 2023. Sie selbst spricht von einem anstehenden Fokuswechsel. Bei dem gewiss eine wesentliche Rolle spielen dürfte, dass sie in Bälde ihr erstes Kind erwartet. Ein Schelm, wer da an Dresden denkt! Eine Musikchefin gab’s hierzulande noch nie.