Mit dem inzwischen bereits traditionellen Gastspiel des Gustav Mahler Jugendorchesters beginnt nun bereits die dritte Staatskapell-Spielzeit, die von der Pandemie betroffen ist. Augenscheinlich wird dies vor allem im Parkett der Semperoper, in dem nicht einmal jeder zehnte Platz besetzt ist. In Dresden schließt das einst von Claudio Abbado gegründete Eliteorchester international herausragender Musikstudenten seine diesjährige Sommertournee ab, die sie von Bozen nach Ravello, Salzburg, Weimar und Hamburg führte. Unter der Leitung des österreichischen Dirigenten Manfred Honeck spielen sie als Gäste der Staatskapelle Wagners Wesendonck-Lieder und Beethovens 5. Sinfonie.
Der Weimarer Bariton Matthias Goerne ist einer der wichtigsten Liedsänger der Gegenwart, ist aber auch als Wolfram, Amfortas, Marke und Wotan ein erfahrener Wagner-Interpret. Gemeinsam mit der Pianistin Seong-Jin Cho hat er gerade die Originalversion der Wesendonck-Lieder bei der DG vorgelegt. In Dresden singt er die Bearbeitung Hans Werner Henzes, die sich von der ‚üblichen‘ Orchesterbearbeitung Felix Mottls vor allem durch ihren kammerorchestralen Charakter abhebt. Henze orchestriert die Klavierlieder nur für Streicher, Harfe und Holzbläser. Goerne nutzt diesen intim-lyrischen Klangraum für die ihm so eigene Kunst eines Klangfarbenlegatos. Kaum ein Sänger schafft solche Bögen, die aus dem Nichts entstehen, anschwellen, sich durch die Register ziehen, abschwellen. Die Stimme scheint wie ein vokales Theremin modulierbar, an dessen Reglern für Lautstärke, Tonhöhe und vor allem Oberton- und Vokalklang Goerne dreht. Sänger und Orchester zelebrieren alle Nuancen des Pianissimo und doch bleibt der musikalische Kairos aus. Goerne und Honeck scheinen sich im Verstehen des Stücks eigentlich einig und kommen doch im Klangeindruck nie ganz zusammen. Wagner ohne Blech: so reizvoll die ungewöhnliche Orchestrierung auch sein mag, sie klingt dann doch konturlos und wirkt über die Strecke von fünf Liedern eintönig.
Dass Manfred Honeck scharfe Kontraste mit Verve ausspielen kann, zeigt er in seiner Interpretation von Beethovens Fünfter. Wie geht man mit dem Repertoireschlachtross als Musiker um? Honeck schüttelt sich gleich beim Eröffnungsmotiv frei von der ellenlangen Interpretationsgeschichte („So klopft das Schicksal an die Pforte…“). Er läuft einfach auf die Bühne und beginnt fast noch beim ersten Schritt auf das Pult, unerwartet aus der Kalten heraus. So werden die berühmtesten vier Schläge der Musikgeschichte erfrischend kräftig, fast ein wenig burlesk gestolpert. Honecks Augenmerk konzentriert sich auf den ganzen klanglichen Reichtum des Materials im Kopfsatz, leuchtet die lyrischen, tänzerischen, schwingenden Qualitäten des c-Molls aus, und nimmt damit die Tempobezeichnung ‚con brio’ erfrischend ernst. Die vier bedeutungsschwangeren Motivschläge nutzt er als Satzzeichen, als theatralen Effekt. Überhaupt scheint er Beethoven von den Klangeffekten der Mannheimer Schule her zu verstehen und nicht als kryptoromantische Programmmusik.
In diesem beethovenschen Sturm und Drang glänzt das Gustav Mahler Jugendorchester mit einem weichen Streicherklang, besonders im melodisch kultivierten Pianissimo, das durchaus einmal so leise werden kann, dass man den Atem anhalten muss, um es noch hören zu können. Besonders im zweiten Satz bestechen die Holzbläser mit pastoralem Klang und erscheinen in der Gruppe harmonisch bestens abgestimmt – was verblüfft, wenn man bedenkt, dass sie nur projektweise miteinander musizieren. Zusammen mit dem Blech ergibt das einen ungekünstelt rauhen, überwältigenden Alte-Musik-Klang. Der spanische Pauker Guillem Ruiz Brichs schlägt dazu hart und kunstvoll und hat sich den lautesten Schlußapplaus aller Orchestermitglieder verdient. Überhaupt der Applaus – der fast leere Saal wollte gar nicht aufhören, dieses Ausnahmeorchester zu feiern!