Haben oder nicht haben, das ist nicht die Frage. Hier geht es um annehmen oder nicht annehmen. Denn das Bundesverdienstkreuz wird Bürgerinnen und Bürgern angetragen (mitunter geradezu nachgeworfen) oder eben nicht angetragen. In Frage kommen dafür Menschen, die in irgendeiner Weise herausragend sind – oder zumindest besonders auf sich aufmerksam gemacht haben.
Was, Sie haben persönlich noch gar kein Bundesverdienstkreuz? Nun, kurz zur Erklärung, es handelt sich dabei um den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, der seit 1951 verliehen wird für „Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten, und soll eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt.“ Erster Kreuzträger ist ein Bergmann aus Hessen gewesen. Für die geneigte Dresdner Talsohlenbewohnerschaft: Das Bundesverdienstkreuz entspricht in etwa dem Vaterländischen Verdienstorden der Deutschen Demokratischen Republik. Der wurde nach 1989/90 von vielen damit Geehrten öffentlichkeitswirksam wieder retourniert. Manche von ihnen waren so stolz auf die lautstarke Rückgabe, dass sie schlicht und einfach vergaßen, sich auch wieder vom einst damit verbundenen Preisgeld zu trennen.
Doch zurück zum Bundesverdienstorden, der übrigens undotiert vergeben wird. Es gibt ihn in mehreren Ausführungen: am Bande, mit Kreuz und als Großkreuz. Als Billigheimer-Variante gibt’s eine Verdienstmedaille, für Großkopfeten hingegen das Großkreuz „in besonderer Ausführung“. Für diese Sonderstufe kommen indes nur Staatsoberhäupter und -häupterinnen in Frage. Apropos: Von den jährlich zwischen ein- und sechstausend unters Volk geworfenen Medaillen und Kreuze kamen in der deutschen Männerrepublik schätzungsweise nicht mal ein Viertel bei Frauen an. Immerhin gilt seit 2006 eine Quote von dreißig Prozent der Ordensschaft für die weiblichen Bevölkerungsanteile.
In diesem Jahr sollen zum sogenannten Tag der deutschen Einheit Bürgerinnen und Bürger den Verdienstorden bekommen, die sich während der derzeitigen Pest vorrangig um Kunst und Kultur verdient gemacht haben. Zum Kreis der sechs Frauen und zehn Männer gehört auch der Berliner Cellist und Dresdner Intendant Jan Vogler, dessen Ehrung vom Bundespräsidialamt so begründet worden ist: „‘Kultur gehört genauso zum Leben wie Essen, Trinken und Schlafen’, sagt der Cellist, der zu den ganz großen seines Instruments gehört. Diese Botschaft verkündet er nicht nur, er lebt sie auch. Jan Vogler wurde im Alter von zwanzig Jahren Solocellist der Staatskapelle Dresden, mit dreißig Jahren begann er seine Solokarriere und wird seitdem auf den Konzertpodien der Welt gefeiert. Dabei ist der Kosmopolit stets seiner sächsischen Heimat treu geblieben und prägt dort die Musikwelt in ganz besonderer Weise. Seit 2009 ist Jan Vogler Intendant der Dresdner Musikfestspiele und seit 1993 Künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals, das er mitgegründet hat. Dabei ist es ihm ein ganz besonderes Anliegen, junge Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt zusammenzubringen. Denn zu der Botschaft von Jan Vogler gehört auch der Dialog der Kulturen – und dieser wird in Zeiten der Pandemie mehr denn je gebraucht.“
Es steht nicht zu vermuten, dass Vogler die Ehrung ablehnen wird. Die Künstlerin Hito Steyerl hat es getan. Auch sie sollte das Bundesverdienstkreuz erhalten. Doch sie lehnte die Auszeichnung ab, wie sie umgehend in einem Brief an den Bundespräsidenten ankündigte. Hintergrund ihrer Absage sei der Umgang der Politik mit Kultur und in der Pandemie, heißt es darin: „In den letzten 18 Monaten hat sich erwiesen, dass die Bereiche Bildung und Kultur in der Krise am wenigsten zählen“, schreibt Hito Steyerl.
Lockdown-Gegnerin sei sie nicht, im Gegenteil. Sie könne sich gar nicht weit genug von „Schwurblern“ und wohl auch von selbsternannten Querköpfen distanzieren. „Ich habe anders als einige meiner Kollegen nichts, aber auch gar nichts dagegen, zum solidarischen Schutz meiner Mitmenschen beizutragen.“ Aber die Frage der Systemrelevanz wolle sie offenbar sehr anders beantwortet haben, als dies in der jüngsten Vergangenheit von offizieller Seite geschehen ist. Eine Sprecherin des Bundespräsidenten teilte mit, Steyerls Entscheidung werde respektiert und gleichermaßen bedauert.
Annehmen oder nicht annehmen, das ist hier die Frage. Die aber jede und jeder für sich persönlich beantworten muss.