Diese Musik! In lustvoll breitem Bläsersound nähert sich dieses Vergnügungsschiff unter Käptn Feigels Führung, vor dem inneren Auge laufen schon während der Ouvertüre die Kinobilder an. Der Komponist Jule Styne (1905-1994): das ist »Let it snow« (1945 gesungen von Vaughn Monroe, bekannt spätestens in der 1959er Version von Dean Martin), Barbra Streisand mit »People«), »Let me entertain you« (auch gesungen von Cher), Frank Sinatra mit dem Oscar-prämierten »Three coins in the fountain« und, natürlich, Carol Channing mit »Diamonds are a girl’s best friend«, neben anderthalbtausend weiteren Songs.
Mit Marilyn Monroe und Jane Russell traten 1953 in Howard Hawks‘ legendärem Film »Blondinen bevorzugt« zwei Sexbomben gemeinsam gegen eine Männerwelt an, die neben jungen Trotteln, reichen alten Säcken und neben blendend schönen, nur charakterlich leider eher blassen Olympioniken mindestens einen intellektuell satisfaktionsfähigen Mann zu bieten hatte: den Privatdetektiv Ernie Malone, gespielt von Eliott Reid (die Rolle sollte bis zu seinem Tod sein einziger größerer Filmauftritt bleiben). Im gleichnamigen Musical, das Ende 1949 am Broadway Uraufführung feierte (im ‚Ziegfeld Theatre‘, das der Architekt Joseph Urban ein Jahr nach seinem innenarchitektonischen Meisterstreich, dem »Mar-a-Lago« in Florida, entworfen hatte, und dem er jahrelang auch als Bühnenbildner treu bleiben sollte) und nun am Samstag in der Staatsoperette wiederauferstand, ist das Personal noch etwas karikaturistischer gezeichnet; es geht schließlich um Amüsement! So treten die Stewards Atkins und Coles (Michael B. Sattler und Claudio Gottschalk-Smith) als schlagfertige Stichwort- und Pointengeber auf, ordnen Zeit und Raum, reichen Holundertee und servieren Champagner (auch tanzen können sie hinreißend). Der Reißverschluss-Industrielle Josephus Gage (Bryan Rothfuss) ist daneben ein jämmerlicher Lauch, der vermeintliche Millionenerbe Henry Spofford (Gero Wendorff) ein noch jämmerlicherer Lappen (an dieser Stelle hat es die Kostümbildnerin Regine Standfuss etwas übertrieben), Sir Francis Beekman ein kleinkarierter Pantoffelheld und Marcus Günzel als Knopf-Imperialist Gus Esmond ein blasser, trauriger Steigbügelhalter des Glücks, der auf der Skala von der Tragik zur Komik unsicher im unteren Drittel hin- und herrangiert, ohne den Straßenkreuzer je recht aus der Garage zu bekommen.
So ist es eigentlich nicht verwunderlich, wie die beiden Tingeltangel-Heldinnen Seite an Seite ihr Ding durchziehen, die eine platinblond (eine unbeholfene regietechnische Brechung in Richtung politischer Korrektheit sparen wir uns zu erklären), die andere braun, erobern sie sich Juwelen wie Olympiahengste. Und mit welchen Stimmen, bloody hell! Der schneidende Charaktersopran Devi-Ananda Dahms macht keine Gefangenen; und Maria-Danae Bansen singt als Dorothy Shaw nicht nur völlig ebenbürtig, sondern wirft sich mit vollem artistischen Körpereinsatz in ihre Rolle. Diese beiden Haupfiguren sind keineswegs so eindimensional angelegt, wie es der Hawks-Film glauben macht, und die Dresdner Regie (konzipiert von Katja Wolff, krankheitsbedingt finalisiert von Thomas Helmut Heep) tut alles, um verschiedene Aspekte der beiden Frauencharaktere herauszuarbeiten.
Wo man sich indes im Film mit den Girls über die tapsigen Avancen eines Tommy Noonan ausschütten kann, sorgt der Dresdner Gus Esmond (der von Marcus Günzel so fein, so lyrisch gesungen wird!) bisweilen für mitfühlendes, betretenes Schweigen. In der Empfangsszene zu Beginn des zweiten Aktes sitzen die Dialoge noch nicht, die im nobel verknappten Bühnenbild von Cary Gayler, das sich manches Mal nicht zwischen Bauhaus und Wes Anderson entscheiden kann, hin- und herfliegen; die Leichtigkeit, das Parlieren, das Komplimentedrechseln und die anzüglichen Andeutungen sind noch nicht schlagfertig genug über die Rampe gebracht. Die deutsche Übersetzung des Originaltextes von Leo Robin reicht da manchmal nicht an die temporeiche Bühnensprache der Choreographin Kati Farkas heran, die das Ensemble der Staatsoperette zu absoluten Höchstleistungen animiert. Zumal »Blondinen bevorzugt« nach langen Monaten des erzwungenen Bühnenabstands nun wieder ohne Corona-Restriktionen aus dem Vollen schöpfen darf: hier wird eng umschlungen getanzt, leidenschaftlich geküsst und umarmt, als obs kein Morgen gäbe.
Ausgerechnet den musikalischen Dreh- und Angelpunkt der Show, »Diamonds are a girl’s best friend«, singt Devi Ananda Dahm zweimal hintereinander: einmal in der wenigstens hier richtig gut gelungenen Neuübersetzung von Edith Jeske und Christian Gundlach – und einmal unwiderstehlich mit einem leichten, bis ins letzte überzeugenden Südstaatenakzent in der Originalversion. Hier sind die sprachlichen Fassungen, die aus verschiedenen Welten zu stammen scheinen, geschickt verwoben; überhaupt halten sich Fremdschäm-Momente ob misslungen übersetzter Textpassagen in aller-engsten Grenzen. Aber weeenigstens zur Applauszugabe hätte das Ensemble doch die englische Version von »Bye-bye, Baby« zum Besten geben können? Im begeistert donnernden Premieren-Applaus hätte das die „Hier wird gefälligst deutsch gesungen“-Fraktion doch gar nicht mitbekommen!