Wenn man davon ausgeht, wie es die Veranstalter sagen, dass der Tanz in der DDR eine besondere Rolle spielte, dass es unbedingt notwenig sei, dieses kulturelle Erbe zu erforschen und – vor allem – mit Blick auf die Gegenwart vor dem Vergessen zu bewahren; dann sollte man meinen, es ist auch wirklich allerhöchste Zeit damit zu beginnen! Nun, ein Anfang ist gemacht mit diesem Format. Es soll weiter gehen, wurde angekündigt. Warten wir ab.
Aller Anfang ist schwer – und das wurde auch immer wieder in den Wortmeldungen vom Podium im großen Saal des Festspielhauses spürbar, das von Patrick Primavesi, Professor für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig und Direktor des dortigen Tanzarchivs, moderiert wurde. Ein guter Anfang war es insofern, als es mit dieser Veranstaltung nämlich wieder los ging in Hellerau. Vor allem auch, weil diese Thematik lebendiger Erinnerungen sichtlich viele Menschen interessiert!
Das Tanzerbe ist gut aufgehoben in den Archiven, so Wolfgang Schaller für die Sächsische Akademie der Künste, aber es muss damit gearbeitet werden.
Alle Podiumsteilnehmer sind sich einig: es geht nicht um Schnee von gestern. Nicht Asche verwalten, das Feuer weiter tragen, das soll Gustav Mahler so ähnlich gesagt haben, so Arila Sigert; 2016 kam der Dokumentarfilm über den Choreografen Martin Schläpfer heraus: »Feuer bewahren – nicht Asche anbeten«. Hat ja alles seinen Ursprung.
Ihre fachlichen Ursprünge haben alle auf dem Podium in Dresden, ausgebildet an der Palucca Schule für Tanz, heute Hochschule, und von Palucca haben sie sich auch alle inspirieren lassen. Hanne Wandtke fasst das zusammen, bei Palucca und ihrem Neuen Künstlerischen Tanz habe sie gelernt, dass alle Künste zusammengehören; der Tanz ist eine Lebenseinstellung, und es komme nun darauf an, die Dinge in einem künstlerischen Prozess richtig zusammenzusetzen. Wer Hanne Wandtkes genreüberschreitende, performative Arbeiten noch vor dem Ende der DDR erlebte, wird das nicht vergessen können. Damals gingen der Tanz, die Musik, die bildende Kunst, Facetten wortloser Kommunikation zusammen und versetzten alle in Bewegung.
Irina Pauls, Tanzausbildung – na wo wohl – bei Palucca in Dresden, Choreografiestudium an der Leipziger Theaterhochschule, inzwischen als Choreografin, Regisseurin, Lehrerin international unterwegs und gefragt. Von 1985 bis 1989 amtierte sie als Direktorin der Tanzsparte am Theater in Altenburg. Leider wird sie nicht danach gefragt, wie sie damals ein Repertoire gestaltete, wie Tradition und Moderne zueinander kamen, wie das Publikum reagierte…da hätte man ja nun auch ganz praktisch, authentisch und persönlich etwas erfahren können über den Tanz in der DDR.
Auch Mario Schröder wurde von Palucca zur individuellen Kreativität geführt. Geprägt wurde er aber auch durch den chilenischen Choreografen Patricio Bunster, der 1979 mit dem Teatro Lautaro bewusst in die DDR gekommen war und zunächst am Volkstheater Rostock arbeitete. Und wieder eine verschenkte Möglichkeit, etwas über die Spezifika dieses Künstlers zu erfahren, der ja auch in Dresden für die Kammertanzabende kreierte, da muss es doch Reaktionen geben, Presse, Erinnerungen an Publikumsgespräche…
Und die Jüngste in der Runde? Katharina Christl, mit internationalen Erfahrungen nach der Dresdner Ausbildung, die ja auch 1990, als sie ihr Studium begann, nicht frei war vom Geist der DDR, gelingt es immer erfolgreicher, junge Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Herkünfte und künstlerischen Erfahrungen, in die kreative Freiheit der Facetten choreografischen Vielfalten zu führen. Palucca aber, so auch sie, sei omnipräsent!
Aber geht es nicht doch um mehr als um das Erbe der Palucca? Nicht alle Tänzerinnen, Tänzer, Choreografinnen und Choreografen wurden bei ihr ausgebildet. Da wird dann schnell das Thema gewechselt. Und vieles bleibt ungewiss, wenn es um die Frage möglicher Rekonstruktionen geht. Es geht dann auch um Ost-West Probleme, zum Teil um bewusstes Missverstehen im Weste. Habe ich das richtig verstanden?
Dabei waren wir doch schon weiter. Emanzipation war doch kein Thema für uns, jedenfalls in der Kunst…
Ja, Marianne Vogelsang wird erwähnt, Arila Siegert hat die Präludien einstudiert, aber nicht ihr Schüler, Manfred Schnelle, der in der DDR, die Traditionen des Ausdruckstanzes weiter führte. Ging nicht an den Theatern, aber in den Kirchen. Auch ein mögliches Thema für weitere Erinnerungspodien, welche Räume suchte sich der Tanz, der ja – so wie es die Tanzkritikern Dorion Weickmann sagt, als „Muttersprache der Menschen“ überall, auch ohne Worte zu verstehen sein müsste. Noch ein Thema, das hier zu kurz kam. Und da wird auch klar: in der nächsten Runde sollten unbedingt Tanzhistoriker, Journalisten dabei sein, die sich auskennen mit dem Tanz in der DDR. Und: es gab auch andere Zentren des Tanzes, des Balletts in der DDR, auch wenn was diese Kunst betrifft, Dresden nicht im Tal der Ahnungslosigkeit dahindämmerte – darüber könnte aber vor allem jemand wie der langjährige Direktor des Dresdner Balletts Harald Wandtke Auskunft geben. Oder ein Tanzpublizist wie Volkmar Draeger.
Und was bedeutet es eigentlich, dass mit Henn Haas in Weimar die Vorformen des Tanztheaters entstanden, dass Tom Schilling von Dresden an die Komische Oper in Berlin ging, ein Tanztheater begründete, facettenreich und anspruchsvoll, und doch für jeden zugänglich, dass er einen Tänzer wie Jean Weidt, der tänzerisch aus dem antifaschistischen Widerstand kam, mit einer Gruppe von Laientänzern an die Komische Oper holte..
Also, kein Problem, aller Anfang ist schwer, aber es soll ja weiter gehen! Spezialisten wie Ralf Stabel sollen eingeladen werden, Richard Giersdorf auch. Sein streitbares Buch mit dem provokanten Titel »Volkseigene Körper« bringt noch ganz spezielle Sichten auch auf die Breite des Tanzes in der DDR gibt, wo man ja eigentlich ein ganzes Volk choreografieren wollte….
Und was bedeutete es für die Anerkennung des Tanzes in der DDR, wenn Emmy Köhler-Richter in der Saison 1961/62 am neu eröffneten Leipziger Opernhaus ein offensichtlich so tolles Ballett aufgebaut hatte, dass ihr Werner Egk sein in München wenige Tage nach der Uraufführung verbotenes Ballett »Abraxas« zur DDR-Erstaufführung anvertraute? Und ist es in solchen Zusammenhängen nicht auch wichtig, dass in Karl-Marx-Stadt, wo nach 1945 Thea Maaß und Jean Weidt das Ballett wieder aufbauten, es bald zu überregionalem Ansehen führten, und ein so charmanter wie witziger Reißer der Spitzenklasse wie das Ballett »Die drei Schwangeren« von Hermann Rudolph als erste Ost-Choreografie mit Erfolg im Westen getanzt wurde? Tom Schilling wird das fortsetzen!
Also, Fortsetzung folgt, hoffentlich bald, sonst verlischt das Feuer der Erinnerungen. Wäre wirklich schade. Das hat die erste Runde deutlich gemacht, großen Dank dafür!