Das Label The Journey Productions hat sich darauf spezialisiert, Live-Musik und Tanzkunst zusammenzuführen. In Deutschland lebende Künstlerinnen und Künstler erzählen in mobilen, abendfüllenden Produktionen Geschichten, die reich sind an Emotionen, kombiniert mit leidenschaftlicher Intensität, Leichtigkeit und Sensibilität. So werden Arbeit und Anspruch beschrieben, in deren Kreationsprozessen Kernwerte wie Integrität, Wahrheit und Authentizität zu achten, zu wahren und zu schützen sind.
Somit ist das im Namen des Labels vorgegeben Motto der „Reise“ in mehrfacher Hinsicht zu verstehen. Ganz direkt, wenn es darum geht, mit diesen Kreationen auf Reisen zu gehen. Ganz wörtlich fand die Uraufführung der ersten Produktion, einem Tanztheater zu Franz Schuberts Zyklus »Die Winterreise«, im fernen Marvão beim Festival International der Música statt. Erste Station der Reise in Deutschland war dann Leverkusen, von dort aus ging’s nach Santiago de Compostela, Lahore, Islamabad, Karachi und Blaibach. So mag diese »Winterreise« auch programmatisch für das Anliegen dieser außergewöhnlichen Künstlergruppe stehen; geht es doch letztlich immer auch um die Reisen zu sich selbst, zum nächsten, zum anderen, zurück zum Schöpfer der Musik, in diesem Falle der Lieder des einsamen Wanderers Franz Schubert, um dann im genialen Zusammenspiel von Musik, Gesang und Tanz die Facetten persönlicher Lebenswanderungen einzubringen.
Es ist ein Glücksfall, wenn man sieht, wer sich bei diesen „Reisen“ kraft der Musik und des Tanzes zusammengefunden hat: Juliane Banse, Sopranistin der Spitzenklasse, auf der Opernbühne, im Konzertsaal, nun auch im choreografisch-tänzerischen Zusammenspiel von Klang und Bewegung, was ihr ganz offensichtlich ein höchst individuelles Anliegen ist, vor allem auch bei spürbarer, tänzerischer Begabung. Alexander Krichel, als Pianist gefragt, auf großen Konzertpodien oder auf denen der Kammermusik, entsprechend präsent auf CDs renommierter Labels. Jetzt vor allem, aber eben nicht nur als Liedbegleiter; Krichel bringt sich ein, sein Spiel erklingt im inneren Dialog mit dem Gesang, mit dem Tanz. Das sind sie, diese Reisen miteinander und zueinander, zu sich selbst, zu uns, dem Publikum.
Und István Simon. Er ist ein international renommierter Tänzer; immer wieder stellt er in glänzenden Gala-Auftritten sein Können unter Beweis. Als Gast ist er gern gesehen, etwa beim slowenischen Nationalballett in Maribor unter der Leitung von Edward Clug, derzeit einer der gefragtesten Choreografen. Aber Simon sucht immer auch im Tanz die Verbindung mit anderen Künsten und Genres und vermag es, auf diesen besonderen Reisen ganz spezielle, persönlich grundierte Stationen zu markieren.
Der so ausdrucksstarke wie tanztechnisch bestens grundierte Tänzer Andreas Heise hat sich inzwischen einen Namen als Choreograf gemacht, unter anderem mit so wichtigen Station wie der des Stuttgarter Balletts oder der Oper in Graz, wo demnächst in großer Besetzung seine Choreografie zum Liederzyklus »Schwanengesang« von Franz Schubert ansteht. Zur Uraufführung seiner choreografischen Inszenierung »Die Winterreise« hieß es in dieser Kritik, dass es hier nicht nur um die musikalische und tänzerische Interpretation durch Gesang, Klavierbegleitung und Tanz gehe, sondern um eine Verschmelzung der Künste, die sich zu einer unvergesslichen Inszenierung verbinden. Für diese szenische, physische, vor allem aber so hoch sensible Verbindung der im übertragenen Sinne existenziellen Stationen dieser Reise wird dem Choreografen und seinem großartigen Team höchste Anerkennung zuteil. Und nach der ersten Aufführung im Rahmen der Reihe Bayer Kultur in Leverkusen heißt es, Heise habe die Winterreise als großartiges Musiktheater inszeniert. Außergewöhnliches galt es zu entdecken im Kosmos von Schubert, wenn es um das Ende einer Liebe und das Ende eines Lebens gehe, so der Rezensent Frank Weifen. Es gehe um das letzte Stück auf dem Weg des irdischen Daseins, gekennzeichnet von Trauer, Einsamkeit, Enttäuschung, Ermüden und zunehmendem Erstarren, selbst kurze, beglückte Rückblicke und Träumereien machen die Vergänglichkeit bewusst und werden eingeholt von der tiefen Melancholie dieses „Winterwanderers“.
Und nun steht die Uraufführung einer neuen Choreografie von Andreas Heise, teilweise in Dresden konzipiert, auch in der Tenza-Schmiede probiert, in der Probenarbeit in Berlin zu Ende geführt, für den heutigen Sonntag im Stadttheater von Aschaffenburg an: »MOZART – SELIG NEBEN DIR«. Nach dem Besuch einer ersten Durchlaufprobe in Dresden, mit Juliane Base, Andreas Krichel und István Simon, bei der Andreas Heise nicht nur als Choreograf dieses ohnehin in gemeinschaftlichen Prozessen entstehenden genreüberschreitenden Kunstwerkes, sondern auch in sehr spezieller Ausrichtung tänzerisch mitwirkt, lässt sich auf jeden Fall sagen, daß diese Reise weiter geht. Es gehe wieder um eine Auseinandersetzung mit den Themen Liebe, Verlust und Loslassen, so Andreas Heise. Diesmal zu einer Auswahl von Mozart Liedern und Klavierstücken, wie der großen Sonate Nr.12 in F-Dur, KV 332. Es gehe darum, mit Gesang und Klavierspiel und dem Tanz als dramaturgischem Mittel, Gefühle und Situationen intensiv und vor allem auch emotional erlebbar zu machen: „Bewegung, Stimme und Klavier vereinen sich hierbei zu einem Gesamtausdruck und bieten ein packendes und hoch emotionales Theatererlebnis mit der Musik Mozarts.“
Bemerkenswert in der Dresdner Probe: die Auswahl der Lieder. Immer wieder Abschiede, auch Traurigkeit, Erfahrungen von Verlust. Dazu die so wunderbar grundierte Stimme von Juliane Banse, deren Gesang sich immer wieder in sensible, tänzerische Haltungen des Körpers zu wandeln vermag und dies immer in einer Art spürbarer, seelischer Verbindung zum Pianisten Alexander Krichel, der die Emotionen der Bewegungen des Gesanges in seinem Spiel aufnimmt. Krichel atmet mit der Sängerin – und vor allem auch mit dem Tänzer. István Simon kann sich im Verlauf der Probe in existenzielle Emotionen körperlicher Kraft steigern. Er vermag es, Augenblicke der Auf- und Ausbrüche als körperliche Reaktionen auf die mitunter als unausweichliche Vergänglichkeit aufklingender Beschwörungen der Lieder Mozarts zu gestalten. Dies nun wiederum eben in jener Vergänglichkeit des Augenblicks, die dem Tanz eigen ist: höchst emotional, individuell, immer aber auch der Technik des Tanzes ebenso verpflichtet wie die Sängerin und der Pianist den ihren. Simons körperliche Ausbrüche erinnern an die Aufbrüche des Tanzes am Beginn des letzten Jahrhunderts. So spannt sich ein Bogen; musikalisch, tänzerisch, emotional, eben immer dem kosmischen Aufblitzen in der Kraft der Wahrnehmung nicht wiederholbarer Augenblicke verpflichtet, vielleicht sogar von jenen Gastspielen der Ballets Russes in Dresden inspiriert, in einem aktuellen Prozess der Erkundung gegenwärtiger Auf- und Ausbrüche kraft der Musik, des Gesanges, des Tanzes.
Jetzt, selig, mit Mozart neben uns. Aber da ist noch eine andere Gestalt. Andreas Heise in schreitender, zeitloser Gebärde, als führe er einen Totentanz an, als führe nun dieser Tanzabend mit einem Memento mori, wenn die Klangreisen in Mozarts großer Klaviersonate noch an ganz andere Horizonte aktueller, vergangener oder auch vergessener Wahrnehmungen führen, bis zu den spirituellen Grundlagen dieser Kunst. Kein besserer Titel scheint möglich.
So mein Eindruck nach höchst emotionaler Berührung auf der Dresdner Probe, und den unbedingt nötigen Momenten, erst mal allein sein zu müssen.
Uraufführung, 30. Januar, 18:00 Uhr, Stadttheater Aschaffenburg.
»Die Winterreise«: nächste Aufführung 25.Februar, 19:30 Uhr, Wilhelma Theater Stuttgart. Weitere Gastspiele mit Schubert und Mozart in Planung – nach Frutillar, Sao Paulo und Rio de Janeiro.
Und Dresden? Die Anfragen sind gestellt, Antworten stehen aus.