Die Entrüstungswellen, die vor bald vier Jahren in Dresden hochschlugen, als Kathrin Kondaurow zur neuen Intendantin der Staatsoperette ernannt wurde, sind verebbt. Aber noch immer, scheints, kocht der Unmut des Publikums bei herausfordernden Inszenierungen leicht wieder hoch. Wir haben die Intendantin zur Lagebesprechung getroffen.
Kathrin Kondaurow, vor beinah vier Jahren wurden Sie vom Dresdner Stadtrat ins Amt der Intendantin der Staatsoperette berufen. Als wir uns damals trafen, nannten Sie als Ihr wichtigstes Ziel in Dresden, das Genre der Operette anzuschärfen und gleichzeitig ein neues, breiteres Publikum anzulocken…
Das ist uns auch bereits mit verschiedenen Produktionen gelungen, aber wir sind immer noch auf dem Weg. Mit der Revue »HIER und JETZT und HIMMELBLAU« hat Regisseur Jan Neumann, der sich aktuell mit der Neuinszenierung von »Der Vetter aus Dingsda« am Haus präsentiert, gleich am Anfang meiner Intendanz die Bandbreite gezeigt, in der man mit dem Genre umgehen kann. Er beherrscht es, mit Humor zu arbeiten, zeigt aber auch den Ernst, der unter den Dingen liegt. Was ich Ihnen damals sagte, war: ich möchte die Leichtigkeit des Repertoires erhalten, aber mit Tiefgang!
Es hört sich nicht einfach an, Stücke einerseits konzeptionell zu hinterfragen, und andererseits für ein breites Publikum anziehend zu sein.
Im Theater geht es darum, Geschichten zu erzählen. Sie sollen berühren, zum Nachdenken anregen und natürlich auch zum Lachen bringen. Mein Blick auf Theater ist nicht auf ein Genre fokussiert und so gibt es meiner Meinung nach auch nicht den einen wahren Zugriff, um ein Stück, eine Geschichte zu erzählen. Deswegen bin ich grundsätzlich vielen Ansätzen gegenüber offen.
Beispielsweise wurde die Produktion der »Banditen« in Dresden sehr kontrovers diskutiert. Auch im Haus wurden Fragen nach dem Umgang mit dem Werk gestellt. Das ist ein Prozess, den ich sehr wichtig finde, zu den Stücken ins Gespräch zu kommen. Das Genre der Operette hat es wie kein anderes verdient, in der Theaterwelt ernsthaft wahrgenommen sowie zeitgemäß angefasst und mit einem liebevollen Blick betrachtet zu werden.
In der Auswahl der Regisseurinnen und Regisseure waren Sie generell ja eher mutig.
Jeder Regisseur, jede Regisseurin bringt einen ganz eigenen Blick auf das Werk in die Inszenierungsarbeit mit ein. Und dieser individuelle Blick interessiert mich. Als Intendantin gebe ich für die Staatsoperette den künstlerisch-konzeptionellen Bogen vor, lasse mich aber auch gern von Konzeptionsideen überraschen.
Inwiefern haben die letzten beiden Pandemie-Jahre Ihre künstlerische Arbeit beeinflusst?
Viele Neuproduktionen mussten wir pandemiebedingt leider in andere Spielzeiten verschieben. So wird beispielsweise die für 2019/20 geplante „Casanova“-Produktion endlich in diesem Sommer Premiere feiern. Aber die Pandemie bot auch die Chance neue Formate auszuprobieren – auch im digitalen Bereich – und vor allem kleiner besetzte Perlen des Repertoires kurzfristig in den Spielplan aufzunehmen. Das hat mir einmal mehr gezeigt, was für ein Potential in unserem Haus steckt. Wir haben wandelbare Künstlerinnen und Künstler, fantastische Werkstätten und Gewerke mit sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So entstanden Abende wie »Märchen im Grand-Hotel«, die Fassung der Bar jeder Vernunft von »Im weißen Rössl« oder »Die Fantasticks«.
Was blieb vielleicht noch offen?
Es gilt noch den Ort, das Kraftwerk als Raum weiter zu entdecken. Performative Formate und begleitende Ausstellungen sollen perspektivisch mehr stattfinden. Auch den Operettenball konnten wir bisher nicht realisieren, ist aber noch in Planung.
Wenn wir einmal herauszoomen aus dem Kraftwerksgelände und von oben auf diese Stadt gucken: was ist die Rolle dieses Ortes für die Stadtgesellschaft?
Ich glaube, der Ort ist nach wie vor ein Geheimtipp; er ist noch nicht so etabliert, wie er es sein könnte. Für alle, die den Weg hierher finden, ist das Kraftwerk Mitte eine große Wundertüte. Die, die das erste Mal kommen, sind begeistert von der Location und dem vielfältigen Angebot. Aber es gibt noch einiges an Potential auszuschöpfen.
Ich wünsche mir nach wie vor, dass wir sichtbarer werden und man zum Beispiel die Haltestelle „Schweriner Straße“ nach dem Kraftwerk Mitte benennen könnte. Wenn das Gelände fertig ist, die Puppentheatersammlung u.a. eingezogen und die Baustellen beräumt sind, wird sich der Standort sicher weiter etablieren. Marketingstrategisch ist es für uns wichtig, die Staatsoperette permanent und sichtbar im gesamten Stadtbild zu verorten.
Bevor wir voraus blicken: wie hat sich das Ensemble denn aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren entwickelt?
Wenn ich uns künstlerisch einsortieren sollte, so spielen wir mit großem Orchester, Ballett, Chor, Solistinnen und Solisten auf allerhöchstem Niveau.
Programmatisch und künstlerisch sind wir anspruchsvoll und zeitgemäß unterwegs. Und natürlich beschäftigt uns auch in der Programmgestaltung die Frage: was kommt wo und bei wem an? Das Operettengenre ist immer noch eine Nische und weiß sich wie kein anderes in alle Genre-Richtungen zu strecken– nach der Oper, dem Schauspiel, dem Kabarett, der Revue. In dieser Repertoire-Breite agieren wir am Haus. Und darin liegt auch die große Chance, ein vielfältiges Publikum zu erreichen.
Wissen einfach noch zu wenige, was sie hier verpassen?
Publikumstechnisch mischt es sich schon deutlich – neben unserem treuen Stammpublikum freuen wir uns zunehmend über Besucherinnen und Besucher aller Altersgruppen und Familien. Die Staatsoperette macht Theater für alle, die Operette, das Musical sind keine Nischenprodukte – ich möchte alle Dresdnerinnen und Dresdner erreichen, und auch überregional noch mehr Publikum gewinnen. Die Corona-Pandemie hat uns eines gelehrt: das Publikum entscheidet sich kurzfristiger für einen Theaterbesuch, Online-Käufe und Spontankäufe an der Abendkasse nehmen deutlich zu.
Gus, der Theaterkater, sagt im Musical »Cats«: ‚Das Theater ist längst nicht mehr, was es mal war // Was heut‘ inszeniert wird, hat höchstens Niveau; aber wir machten damals die Menschen auch froh!‘ Daran musste ich denken, als ich jüngst in Toni Burghard Friedrichs »Weißem Rössl« saß, wo der Wolfgangsee den Bierlachen einer abgefuckten Berliner Eckkneipe gewichen war, und die Solisten ihre Texte fast desillusioniert abspulten. „Wir haben ganz bewusst Bildwelten gewählt, die unsere Zuschauer*innen von einer Rössl-Inszenierung erwarten – auch, um sie dann durch den Kneipenraum und seine Bespielung immer mal zu hinterfragen und zu brechen“, argumentiert der Regisseur im Programmheft. Ich hätte mit Ursli Pfister geantwortet: „Wenn ich etwas ankreiden oder aufdecken oder brechen will, dann mache ich nicht dieses Stück!“
Das sehe ich anders. Meiner Meinung nach wird gerade die Österreichsehnsucht, die im »Weißen Rössl« vorherrscht, in der Produktion komplett auserzählt, wenngleich mit einem Kunstgriff, einem Illusionsautomaten, der hilft, ein Stück Paradiesbild heraufzubeschwören ohne den Realitätsbezug zu verlieren. Das Österreichbild, das uns im Stück suggeriert wird, gibt es in der Form ja gar nicht, sondern fungiert selbst als Exotismus. Der Illusionsautomat geht damit spielerisch um, das wahre Fleckchen Österreich begegnet uns als Showmoment, der die Figuren und auch die Zuschauerinnen und Zuschauer für einen Augenblick der Realität entzieht. Auch wenn so ein Ansatz zunächst bemüht wirken kann, wird die Funktion der Operette damit in keiner Weise aufgehoben. Wichtig ist doch, dass man die Figuren ernst nimmt, ihnen eine Lesart gibt und das Tümelnde nimmt.
Das »Weiße Rössl« ist dafür bekannt, dass an ihm die namhaftesten Regisseure krachend gescheitert sind. Es scheint nicht einfach zu sein, sich nicht über die naive Sehnsucht, diese fast kindliche Alltagsflucht, die eben auch in diesem Stück steckt, lustig zu machen.
Die Sehnsucht tragen wir doch alle in uns und sie wird in unserer Inszenierung des „Weißen Rössl“ auch voll bedient. Im Übrigen hat uns die Sehnsuchtsthematik bisher durch die gesamte Corona-Pandemie hindurch begleitet: der Operettenspaziergang beispielsweise hat unser Publikum auf eine Reise durch die Operettenliteratur mit verschiedenen Länderschwerpunkten mitgenommen. Mit „Die Fantasticks“ und der Operetten-Revue »So verliebt in die Liebe« wird es romantisch, wir lassen große Gefühle zu. Auch das muss ein Theaterabend können: Gefühle vermitteln, man darf Schönes empfinden, auch wenn ein Kern-Konflikt in jedem Stück steckt. Und natürlich darf, ja muss auch gelacht werden. Für einen kurzen Moment darf man der Krise mit einem Lachen begegnen, einfach mal durchatmen.
Damit lassen Sie uns doch ein bisschen nach vorn blicken. Wie wird diese Suche weitergehen?
Zum einen haben wir es immer noch mit Nachholproduktionen zu tun. »Polnische Hochzeit« und »Die lustigen Weiber von Windsor« sind in die nächste Spielzeit verschoben. Für dieses Jahr habe ich eine paritätische Planung vorgenommen; einige kleiner besetzte Werke, die auch auf Abstand funktionieren, sind weiter im Spielplan und Große folgen. Ich selbst habe eine große Sehnsucht danach, wieder normal Theater spielen zu können. Und so gehen wir momentan auch alle Neuproduktionen an, arbeiten mit Testkonzepten, um ohne Mindestabstände spielen zu können.
Müssen Sie bestimmte Dinge momentan auf Sicht planen? Die Horizonte sind da wahrscheinlich arg zusammengeschnurrt, oder?
Im Gegenteil, durch die vielen Verschiebungen der letzten zwei Jahre verdichtet sich die Planung der Künstlerinnen und Künstler viel mehr, so dass man rechtzeitig ins Gespräch kommen muss, um Zeitslots für gemeinsame Arbeiten zu finden. Da gibt es tatsächlich manchmal Engpässe. In meiner Spielzeit-Planung bin ich also schon längst im Jahr 2024. Hingegen: wohin ich diesen Sommer in den Urlaub fahre, weiß ich noch nicht.
Kathrin Kondaurow, die bereits als Kind Fagott und Klavier spielen lernte, studierte Jura, Musikwissenschaft, Kulturmanagement und Französische Literaturwissenschaft in Berlin, Weimar und Jena mit Schwerpunkt auf Musiktheater und Theatermanagement. Während ihres Studiums war sie in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsoper Berlin, als Regieassistentin am Theater Erfurt sowie regelmäßig in der Dramaturgie am Deutschen Nationaltheater Weimar tätig. Für das Pèlerinages Kunstfest Weimar unter Leitung von Nike Wagner übernahm sie verschiedene Projektassistenzen. Ab der Spielzeit 2011/12 war sie am Deutschen Nationaltheater Weimar zunächst als Assistentin des Operndirektors und der Dramaturgie, ab der Spielzeit 12/13 als Musiktheaterdramaturgin engagiert. Mit der Spielzeit 13/14 wurde sie Teil der Leitungsrunde zur Spielplangestaltung, Ensemblebildung und Auswahl von künstlerischen Teams. Als Produktionsleiterin für Sonder- und Zusatzformate gestaltete und managte sie spartenübergreifende Lesungen, Gesprächsreihen, Performances, Tage der offenen Tür, Theaterfeste und Galaformate. Für das Thüringer Opernstudio saß sie bis Ende der Spielzeit 17/18 im Auswahlgremium. Mit Beginn der Spielzeit 19/20 übernahm sie die Intendanz der Staatsoperette Dresden.