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Happier Times

Foto: SemperOpernball/CHLL9388

Das Haar ist lichter geworden und schlohweiß, aber die Worte fließen glatt und fix wie immer, die Zunge fährt in bekannter Art über die Lippen. „Wir müssen weggehen, uns auch von einer Naivität zu verabschieden. Wer in Russland lebt und sich mit vielen Politikern unterhält: Hier in Russland ist Wladimir Wladimirowitsch Putin ein gemäßigter Politiker! Es gibt viel stärkere nationale Kräfte, die ganz andere Interessen haben, und die auch den Präsidenten permanent drängen, viel radikaler vorzugehen!“ Hans-Joachim Frey, von seinem Freund und Gefährten Wladimir Wladimirowitsch letzten Herbst persönlich zum Landsmann gemacht, fährt fort, man müsse die Russen mehr respektieren, schwadroniert über Lukaschenka und die Krim-Annexion, enthüllt, dass es ja eigentlich Thomas de Maizière gewesen sei, der ihn in völkerverbindender Mission nach Sotschi geschickt habe, und schließt salbungsvoll: „Wenn ich ein letztes Wort persönlich noch sagen darf: ich find‘ es eine ganz tolle Arbeit, die Ihr Sender macht!“

Die Früchte dieser tollen Arbeit werden die undankbaren Westeuropäer wohl nicht mehr lange genießen dürfen. Und auch die lange schillernde und scheinbar durch keinen Skandal und keine Peinlichkeit zu penetrierende Aura von Professor Frey ist nun doch am Erblassen. Heute hat sich die Semperoper in einer Pressemeldung, die an Deutlichkeit nichts fehlen lässt, von Freys Machenschaften der letzten Jahre distanziert und unmissverständlich klar gemacht: bis hierhin und nicht weiter. Die „massiven Irritationen gegenüber seinen Entscheidungen“ schadeten dem Image der Oper; einen weiteren Semperopernball mit Frey wird es am Haus nicht mehr geben, punkt. Wenig später zog sich der Oberbürgermeister aus dem Ballverein zurück. Auch den Abklatsch in Dubai am 14. März wird es nicht geben. Und mit der völkerverbindenden Kulturförderung in Sotschi sieht es für die kommenden Jahre ganz, ganz düster aus.

Das liegt daran, dass der Westen sich endlich erinnert, dass Kultur nicht nur ein Feigenblatt ist, das man über Körperteile breitet, die für öffentliche Erregung sorgen könnten. Es wäre geradezu heuchlerisch, sie zum „Raum des Unpolitischen“ (Thomas Fasbender in oben zitiertem Interview) machen zu wollen. Wenn Kultur relevant sein möchte, muss sie sich positionieren, Stellung beziehen. Insofern ist nicht überraschend, mit welcher Macht die vielbeschrieene „Cancel Culture“ jetzt über Valery Gergiev hereingebrochen ist. Der Chor der Empörten aus München, Mailand, Luzern, Wien, Grafenegg, Hamburg, Edinburgh, Paris und Baden-Baden zeigte ja nur, wie vielbeschäftigt die „stärkste musikalische Kraft östlich von Berlin“ (Jan Vogler) tatsächlich bis eben noch war. (Ob er zum »Russlandia«-Jahrgang der Festspiele tatsächlich am Vormittag noch nicht wusste, wo er am Abend in Dresden auftreten würde? Das Gesprächspublikum hielt’s damals für möglich und trug die Anekdote weiter.) Nein, überraschend ist, wie lange Personen wie Gergiev, Netrebko oder auch Teodor Currentzis uns vorspiegeln konnten, dass die Kultur über den Dingen stehe. Das tut sie nicht. Jeder kulturelle Akt ist auch ein gesellschaftlicher Akt, ob in Perm oder Bayreuth, ob beim Opernball oder im Flüchtlingsorchester, ob nun Igor Levit spielt oder Banda Musicale.

Insofern ist auch das Ultimatum an Gergiev eben auch nicht ohne Heuchelei. München hat doch gewusst, wen es 2015 (ein Jahr, nachdem er die Annexion der Krim begrüßte) bestallte und 2018 noch einmal verlängerte, nach seinem beschämenden Konzert in Palmyra! Bisher hieß es immer, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Hat es nun erst einen Krieg gebraucht um einzugestehen, dass es uns bisher viel zu leichtgefallen ist, ein künstlerisches Produkt zu genießen, auch wenn uns die Weltanschauung des Künstlers missfiel?

Da fragt man sich nun, wie konsequent der Münchner Oberbürgermeister seine neue Strenge walten lässt. Dürfen die Philharmoniker in Zukunft noch Schostakowitsch spielen, der Stalin bekanntlich mit einschlägigen Kantaten huldigte und in seinen öffentlichen Äußerungen zeitlebens „auf Linie“ blieb? Tschaikowski, der sich nie öffentlich von den panslawistischen Bestrebungen Alexander II. distanzierte? Darf Currentzis in München noch dirigieren? Gar einen Mozart, der keinerlei Berührungsängste hatte, Auftragsarbeiten für Joseph II. auszuführen, die »Entführung aus dem Serail« (1782) komponierte, die recht eigentlich in direkter Linie zur ersten Annexion der Krim ein Jahr später führte? Und – Wagner?

Ach, Wagner.

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