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Festliche Musen-Klänge

Johann Christoph Schmidts »Musenfest« wurde nach 357 Jahren wiederaufgeführt.

Im September 1696 kehrte Kurfürst Friedrich August I. von einem glücklosen Kriegsabenteuer gegen die Türken zurück, nachdem er das Oberkommando über die Reichstruppen abgeben musste, wahrscheinlich wegen zu geringer militärischer Eignung. Das focht aber den kurfürstlichen Hof nicht an, für ihn einen großen musikalischen, allegorischen Willkommensgruß auszurichten, das »Musenfest«, mit dem die Damen und Herren des Hofes singend und tanzend den einrückenden Fridericus August mit „er lebe, er lebe“ begrüßten. Die Musik stammt aus der Feder des Vizekapellmeisters Johann Christoph Schmidt, geboren 1664 in Hohnstein/Sächsische Schweiz. Nach der Premiere ernannte August ihn zum Hofkapellmeister, welches Amt er bis zu seinem Tode 1728 innehatte. Schmidt organisierte nicht nur 1697 für den neuen polnischen König August II. in Warschau eine 40 Musiker umfassende Hofmusik, sondern war Zeit seines Lebens auch für die evangelische Hofmusik in Dresden zuständig, da ja bekanntlich nur August der Starke konvertierte, um König von Polen zu werden. Wegen der Vorliebe des Kurfürsten-Königs für die französische Kultur des Ludwig XIV. war auch die Hofmusik französisch inspiriert, mit französischen Solisten an den ersten Pulten, bevor ab 1719, nach der Hochzeit des Sohnes von August die durchgängige italienische Ausrichtung mit Heinichen, Hasse begann und bis Sinopoli und Luisi reichte. Das Übergewicht der Italiener führte seit der Mitte des 18.Jahrhunderts dazu, dass sich kein Ensemble in Dresden für die französisch inspirierte Kunst des Herrn Schmidt interessierte. Vivaldi, Lotti sowie Heinichen und Hasse sind einfach schicker. Die einzige Ausnahme bildete die Aufführung eines »Motetto«, einer geistlichen Kantate für zwei Chöre, Solo und Orchester, das nur in einer fehlerfreien Abschrift von Johann Sebastian Bach aus der Weimarer Zeit um 1714 überliefert ist und 2001 an der Hochschule für Kirchenmusik erklang. Viele seiner Kompositionen sind, wie auch Werke von Schütz und anderen, schon im Siebenjährigen Krieg verloren gegangen, als die Preußen das Kurprinzliche Palais in der Pirnaischen Vorstadt in Brand schossen. 

2019 begann die Entdeckung der noch überlieferten Werke von Johann Christoph Schmidt und ihre Edition durch die »Denkmäler der Tonkunst in Dresden« mit der Herausgabe des »Motetto«. Zur Zeit sind in Druck alle fünf Ouverturen (Orchestersuiten) und drei Bände mit  »Geistlichen Concerti«. Ein Solo-Concerto »Bonum est confiteri« hat der Altist David Erler 2021 auf seiner CD »Psalmen & Lobgesänge« mit dem Ensemble L’arpa festante aufgenommen. Dieses Ensemble hat 2021 auch alle Ouverturen eingespielt, die beim Label cpo erscheinen werden. Neben einer Edition des »Musenfestes« wird auch eine des Opéra-balett »Fastnachtslust« vorbereitet, das Schmidt ein Jahr später komponierte, auf einen Text von Maria Aurora von Königsmarck, die als erste Mätresse Augusts, als Tänzerin und Autorin wesentlichen Anteil an der Festkultur dieser Jahre hatte. Es sind vor allem Interpreten außerhalb von Dresden, die sich neuerdings für diese Musik einsetzen.

Das war auch die Absicht der Barockgeigerin Anne Schumann und dem Ensemble Fürsten-Musik, zumindest einen ersten Eindruck von dieser Kunst zu vermitteln. Nach dem Brauch der damaligen Zeit kürzte sie das umfangreiche Opus, übernahm Tanzsätze aus anderen Werken Schmidts. Denn das mehrstündige Werk würde Interpreten und Zuhörer überfordern, da früher solche Festaufführungen mit Gelagen zur Entspannung kombiniert waren. So entstand aus der umfänglichen Partitur mit großem Vokal- und Instrumentalensemble eine handliche Fassung, die gleichwohl eine lebendige Vorstellung von der Qualität der Musik und dem musik-historischen Hintergrund des Werkes vermittelte.

Bereits am 24. März hatte die SLUB zu einer »Werkstatt« eingeladen, in der unter Probenbedingungen das Werk vorgestellt, Ballett-Musiken und Arien angespielt und die Funktionen aller Göttinnen und Musen erläutert wurden. Das machte neugierig auf die beiden Aufführungen einen Tag später im Rahmen des »Offenen Palais« im Großen Garten. Im Programm fand sich zwar nichts über den Komponisten Johann Christoph Schmidt, aber dafür waren die Texte der ausgewählten Stücke abgedruckt. Da wurde also der heimkehrende Held begrüßt, und alle Musen treten an, um aus ihrer Sicht das Geschehen zu kommentieren. In einem langen, eindrucksvollen Rezitativ besingt Melpomene die Vergeblichkeit des menschlichen Tuns am Beispiel aller sieben Weltwunder der Antike, die vergangen sind. Und die Göttin Bellona, weibliches Pendant zum Kriegsgott Mars, gar stürzt Reiche und Länder in den Abgrund. Der unbekannte Textdichter hatte eine zeitgenössische Antwort auf diese Misere: Die Liebe wird’s richten! Deshalb rufen am Schluss Polyhymnia, Terpsichore, Thalia und Minerva zur Versöhnung auf.

Das Musenfest gehört zur Gattung des Opéra-balett und ist eine Dresdner Erfindung aus den Jahren um 1678, bevor diese Art dann am Hofe Ludwigs XIV. mit Werken von Lully und Campra verbindlich wurde. Schmidt nimmt den Duktus der Arien und Duette aus der modernen italienischen Oper auf (den er gleichfalls beherrscht, da er in Italien studiert hatte) und verbindet ihn mit höfischen zeremoniellen Tänzen. balett bedeutet allerdings nicht Ballett im späteren Sinne als geschlossenes Handlungsballett. Die Hoftänze sind Teil der Dramaturgie, unterstreichen die Bedeutung einzelner Figuren. Rezitative beschreiben die Aktionen, Chöre wiederholen die Botschaften der Musen, durch Tänzen entsteht Harmonie oder mit Tänzen endet ein Konflikt. 

So wird ein bunter Strauss von charakteristischen Musikstücken gebunden, kurz und frisch, und auf ebensolche Weise von der Fürsten-Musik interpretiert unter der temperamentvollen Leitung von Anne Schumann. Statt vier Trompeten im Original bliesen eine Naturtrompete und eine Oboe, dazu zwei Violinen, zwei Violen, Violone, Theorbe, teils auch Gitarre, und Cembalo. Das genügte, um den Reichtum der Musik erleben zu lassen, denn ohne Umschweife, ohne langatmige Phrasen kommt der Komponist immer gleich zum Wesentlichen, findet für jede Person und jede Geste eine eindeutige kurze musikalische Gestalt.

Das Publikum hielt sich erstaunlicherweise mit allem Zwischenbeifall, außer dem verdienten am Schluss, zurück, so dass selbst kräftig zupackende Stücke vermeintlich ohne Echo bei den Zuhörern bleiben, aber sicher waren alle fasziniert von dem Abwechslungsreichtum der Partitur und „störten“ nicht. So blieben alle Übergänge von Nummer zu Nummer voller stiller Spannung. Höchst charmant agierte die Tänzerin Mareike Greb, die auch Zwischentexte aus nicht gesungenen Teilen vortrug. Ihre Hauptfunktion bestand in der graziösen Darstellung der Tänze, die eine Ahnung von dem zeremoniellen Stil dieser Hoftänze vermittelte. Auch die Sopranistinnen Dorothea Wagner, die kurzfristig einsprang, und Marie Hänsel gestalteten ihre virtuosen Partien ebenfalls mit vielem Charme und „spielten“ ihre Rollen, wie man es bei Aufführungen alter Musik höchst selten erlebt. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass die geschmackvollen, historischen Vorbildern nachempfundenen Kostüme, ohne  überladen zu sein, auch ihren Teil zur gelungenen Inszenierung dieser Festmusik beitrugen.

Immer wieder fällt negativ auf, dass die Verantwortlichen der Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten keinerlei Anstrengungen unternehmen, um den Ausbau dieses Kleinods, des ersten barocken Gartenpalais in Sachen, voranzubringen. Es scheint, als fühlten sie sich in dem ruinösen Interieur wohl. Das kann ich von mir keineswegs behaupten. Wie das Innere einmal aussehen könnte, zeigt die Probeachse an der Nordseite, die schon gefühlt Jahrzehnte auf eine Fortsetzung der Arbeiten wartet.

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