Da ist ein Ufo gelandet. Die Blues Brothers aus dem gleichnamigen Kultfilm haben ihr Bluesmobil gegen einen blauen Trabant P 50 getauscht und crashen „Die Leistungsschau der Tanz- und Unterhaltunsgkapellen des Bezirks Dresden 1980“. So steht es auf den Bannern in der Studiobühne der Semperoper SEMPER ZWEI. Genosse Erich hängt auch an der Wand.
Diese Leistungsschau ist allerdings nur das Deckmäntelchen für ein Blueskonzert, das von wunderbaren Stasikarikaturen in grauen Mäntelchen und grünen Uniformen unterbunden werden soll. Gerald Hupach gibt den Kneipenwirt als einen in die Jahre gekommenen Blue-Jeans-Träger mit langem schütteren Haar und begrüßt, als einziges Ensemblemitglied der Staatsoper, eine illustre Schar an Gästen, vornehmlich Blues und Soul erprobte Musicaldarsteller. Als leicht verdatteltem Hausherrn kommt es ihm zu, den herbeigeeilten Wahrern der kleinbürgerlich-sozialistischen Ordnung die progressiven Werte des Blues zu erklären. Blues-Sänger, das sind keine Klassenfeinde, was er auch gleich mit einer Version von Johnny Cashs Klassiker »Ring of Fire« belegt. Da hört man Zeilen wie „Ma-a-arx ist ein guter Mann“. Allein für diesen Moment lohnt sich ein Besuch. Wie Gerald Hupach seine klassisch ausgebildete Stimme nicht versteckt und doch eine im Rahmen der Rollenzeichnung authentische Interpretation dieses Klassikers abliefert, ist berührend und wahnsinnig komisch zugleich.
Im Reigen der Gäste fällt die wunderbar weiche Soul-Stimme von David Whitley auf. Die Blues-Brothers-Boys Riccardo de Nigris, Alexander Findewirth und Christopher Wernecke glänzen mit tänzerischen Slapstick-Einlagen. Vanessa Weiskopf gibt eine schöne Skizze von Aretha Franklin mit atemberaubenden Hut mit einer noch atemberaubenderen Schleife. Anna Overbeck interpretiert sehr überzeugend „Ich glotz TV“ von Nina Hagen. An ihrer Seite die ebenso spielfreudige und sonore Vivienne Dejon. Gemeinsam verkörpern sie zwei junge Frauen, die auch in der DDR nur eins wollen, nämlich das, was alle jungen Menschen wollen: Spaß. Bosse Vogt und Christian Venzke tanzen und singen mit schwarzem Hut und schwarzer Sonnenbrille die Blues Brothers, wie man es sich wünscht. In diesem glücklich gecasteten Ensemble von Gästen zieht Bettina Weichert immer wieder die Augen und Ohren auf sich. Einst als Evita in der Staatsoperette gefeiert, spielt sie hier eine Bedienung mit Schnauze und Herz.
Dem musikalischen Leiter Max Renne und dem Regisseur Manfred Weiß gelingt mit ihrer Dresdner Fassung der »Blues Brothers« das Schwerste, was es im Bereich des Musiktheaters gibt: intelligente Unterhaltung. Manchmal marthalern die Figuren und scheinen über einem endlos tiefen Abgrund zu schweben, nur um gleich wieder wild durch den Raum zu tanzen. Die Darsteller interagieren mit dem Publikum, bringen auch gern noch eine Limo oder eine Molle vor Vorstellungsbeginn vorbei und wundern sich, dass es im Tal der Ahnungslosen Gäste aus Nürnberg gibt. „Wie seid ihr denn rüber gekommen?“ Die Musiker der Bluesband bringen auch den letzten Fuß im Saal zum Wippen. All das hat das Zeug zur Kultinszenierung und erinnert an die goldenen Jahre des Musicals am TjG in den 90ern. So geht zeitgemäßes unterhaltendes Musiktheater!
Die kommenden sechs Termine der April-Serie sind bereits ausverkauft. Dann wieder ab 6. Juli 2022.