»Die Menschliche Stimme« von Francis Poulenc im Freiberger Theater, danach in der Kirche gegenüber, »Te Deum« von Arvo Pärt. Das will sich weder musikalisch ergänzen, noch aufeinander beziehen, und das ist schade, denn beide Aufführungen sind jeweils von hohem Anspruch.
Für das Mittelsächsische Theater in Freiberg hat Arila Siegert »Die Menschliche Stimme« von Francis Poulenc nach dem Monolog von Jean Cocteau inszeniert. Diese immer wieder kräftig unter die Haut gehende Aufführung nach üblichen Kriterien einer Inszenierung zu beschreiben wäre nicht angemessen. Arila Siegert ist nämlich vor allem eine choreografische Inszenierung gelungen, die trotz szenischer Eigenheiten, die sich aber am Ende erschließen, letztlich ganz nah an der Vorlage bleibt. Das gilt für den 1939 in Paris uraufgeführten Monolog von Jean Cocteau, »La Voix humaine«, und vor allem für die eher assoziativen Ebenen der Komposition gleichen Titels von Francis Poulenc, uraufgeführt 1959 in Paris.
Mitunter wird der Titel des knapp 45 Minuten langen Monologes auch als »Die geliebte Stimme« übersetzt. Im Mittelpunkt steht bei einfachster szenischer Anordnung eine Frau, die mit ihrem Geliebten telefoniert, der sie verlassen hat, der sie betrog. Sie will ihn immer wieder zum Eingeständnis dessen bringen, mehrfach wird die Leitung unterbrochen, die Betrogene verfängt sich in der seinerzeit noch langen Schnur des Telefons, und mit dieser um den Hals geschlungen, stammelt sie „Ich liebe dich…“, der Vorhang fällt. Diese immer wieder beschworene und angeflehte geliebte Stimme ist aber niemals vernehmbar, und somit könnte diese namenlose Frau in ihrem Wahn verlöschen, denn so der Autor, Jean Cocteau, „das Stück endet wie in einem blutüberströmten Zimmer.“ Wichtig das „wie“.
Arila Siegert geht noch weiter. Es ist weder ein Telefon nötig noch dessen tödliche Schnur, zumal sie mit Leonora Weiß-del Rio eine Sängerdarstellerin hat, die im Reichtum der Facetten ihres musikalischen Ausdruckes vor allem so mutig wie authentisch ist, wenn es darum geht dem Wahn ihrer einsamen Visionen kraft des vornehmlich rezitativischen Gesanges zu Gestalt zu geben. Sie umgibt sich mit einem Netz von Gedanken, die in keiner Weise der Realität entsprechen können. Sie begibt sich in einen Totentanz. Dies wiederum ist Anlass für Arila Siegert, die Tänzerin Aya Sone als seelisches Abbild sichtbar zu machen, den Tänzer Lorenzo Malisan als Tod und ihn eben immer wieder jene scharfen Drähte eines Netzes von Fluchtvisionen jener einsamen Frau durch den Raum zu spannen. Dieser Raum von Marie-Luise Strand mit vier kalten, quadratischen, massiven Säulen aus Beton und der Andeutung eines Fensters im Hintergrund bei den der Lichteinfall zur Form eines Kreuzes wird, lässt natürlich an einen Raum des Abschieds denken. Wie ein optischer Widerspruch darin ein Sofa, auf dem es dann auch für diese einsame Frau, die mitunter ja auch zur Existenz ihrer Stimme wird, Momente sehnsuchtsvoller Visionen geben kann, zärtlich umgeben von dieser Seele und dem Tod. Wenn dieser Monolog auf dem Weg ins Verlöschen noch einmal mit einer selbstbetrügerischen Liebesvision endet, dann ist dieses Leben längst zu Ende, und es ist der Tanz, der dieser choreografischen Inszenierung des unausweichlichen Rituals menschlicher Endlichkeit letztlich auch Bilder des Trostes geben kann. Dieser Tod des Tänzers ist kein Sensenmann, kein Schnitter, er ist ein Partner, in der Vision vielleicht sogar ein Abbild jenes Partners dessen geliebte Stimme hier niemals zu vernehmen war. Und diese Tänzerin als tanzende Seele lässt mitunter bewegte Erinnerungen aufleuchten, in denen diese nun längst verloschene geliebte Stimme zu vernehmen war.
Und dazu gibt es ein in jedem Moment so tragfähiges, weitere Fantasien beflügelndes Fundament eines Gewebes höchst differenzierter Klänge mit einem so grandiosen wie mitfühlenden umsichtigen wie Dirigenten José Luis Gutiérrez am Pult der Mittelsächsischen Philharmonie. Ja, so kann Theater berühren, so können Klänge auch immer wieder jene in die Weite der Unerreichbarkeit verlegten Horizonte eigener Erfahrungen öffnen. Am Ende aber auch schließen, in dieser Einheit der Klänge, der Bewegungen und der Optik, bei der ein Raum des Abschieds zu dem der Ankunft werden kann, nämlich auf dem Weg zu sich selbst, zur Wahrnehmung der eigenen, so menschlichen wie auch geliebten Stimme.
Und dann in die Kirche: Könnte eine großartige Idee sein, wenn dann auch die Auswahl des hier erklingenden Werkes, zumindest ansatzweise, einer nachvollziehbaren dramaturgischen Idee folgen würde. Diese erschließt sich leider nicht. So bleibt es bei einem großartigen Eindruck, zunächst des hell ausgeleuchteten Kirchenraumes, dann der immer dem Wohlklang folgenden Komposition des weit dimensionierten geistlichen Werkes »Te Deum« von Arvo Pärt für drei Chöre, Klavier, Streichorchester und Tonbad. Ein großes Aufgebot mit dem Chor des Mittelsächsischen Theaters, dem Max-Klinger-Kammerchor aus Leipzig, dem Kammerchor A-Capella aus Freiberg sowie Mitgliedern des Jugendchores »Voice Dance«, sowie den Streichern der Mittelsächsischen Philharmonie unter Leitung von Peter Kubisch. Dieser vielstimmige Lobgesang will sich aber leider nicht in einen künstlerischen Dialog mit dem gerade zuvor im Theater so erschütternden Monolog einer menschlichen Stimme fügen lassen.
Nächste (Doppel-)Vorstellungen: 24., 27. April; 3., 7. Mai 2022