»Bach Brasil – Die Kunst der Flucht« – so heißt die neueste Produktion der Tanzkompanie an den Landesbühnen in Sachsen.
Als Musik für achtzehn kurze Szenen in gut 75 Minuten fungieren knappe Sätze ganz unterschiedlicher Werke von Johann Sebastian Bach – ob aus der »Kunst der Fuge«, dem »Wohltemperierten Klavier« oder instrumentalen Bearbeitungen aus Kantaten und Sätzen verschiedener Concerti. Soweit »Bach«.
Als Choreograf konnte Mario Nascimento aus Brasilien, künstlerischer Leiter des CDA – Corpo de Dança do Amazonas gewonnen werden. Für Kostüme und Lichtdesign im ansonsten leeren Raum der Radebeuler Bühne, Marcelo Damian Zamora, künstlerischer Leiter der Virtual Cia de Dança. Somit auch klar: »Brasil«, ergibt zusammen: »Bach Brasil«.
Weltweit kaum wahrgenommene Fluchtbewegungen isolierter Naturvölker in Amazonien, so erfährt man aus Beiträgen des Programmheftes von Christoph Gurk und Jan-Uwe Ronneburger, dürften zum Hintergrund für diese tänzerische Auseinandersetzung mit den Bewegungen von Menschen auf der Flucht, mit ihrem Hab und Gut im einzigen Koffer, für das künstlerisch verantwortliche Team geworden sein: »Bach Brasil – Die Kunst der Flucht«. Keine Frage, aktuell wird dieses Thema, werden diese Bilder, werden diese Versuche verzweifelter Rettungsversuche auf grausamste Weise von der nun gar nicht so weit entfernten Gegenwart eingeholt. Wer sich angesichts der ersten Szenen flüchtender Menschen, bei beklemmender, auch verstörender Hilflosigkeit immer wieder in Momente emotionaler Schockerfahrungen versetzt sieht, wird erstaunt sein, wie aktuell Kunst, insbesondere der Tanz, sein kann. Und wenn sich dann immer stärker so etwas wie eine Unsicherheit, eine regelrechte Verwirrung der Gefühle ereignet, dann auch der Frage danach, wie es sein kann, zu den Bildern des Tanzes, die der aktuellen Realität so nahe kommen, jene Musik zu vernehmen, die vor fast 300 Jahren komponiert wurde. Musik, die mit der Strenge ihrer Kunstform immer wieder so etwas wie die Unsterblichkeit der Visionen von Hoffnungen beschwört.
Dieser Tanz, diese choreografischen Fluchtbewegungen, gönnen den elf Tänzerinnen und Tänzern der Radebeuler Kompanie keine Pause. Wenn sie erschöpft auf ihren Koffern sitzen bleiben, ein Ausruhen ist das nicht. Immer wieder gelingen in hastigen Szenen des Aufbruchs mit unbestimmtem Ziel, aber auch innige Szenen zarter Begegnungen, Soli von träumerischer Kraft momentaner Ausflucht, bei unabwendbarer Ausweglosigkeit. Wenn diese Koffer zu Trommeln des Widerstandes werden, auch der Verzweiflung, dann bricht sich die Kraft des Tanzes ihre Bahn. Insbesondere aber immer wieder in treibender Körperlichkeit der Gruppendynamik im Kontrast mit den Momenten der Erschöpfung oder den Szenen solistischer Flucht in die Einsamkeit. Flucht und Erschöpfung bedingen einander. Allerdings muss sich der Verlauf der Choreografie insgesamt auch spürbaren Momenten choreografischer Erschöpfungen stellen.
Insgesamt geht dieser Tanz bei aller Flüchtigkeit der Kunst doch unter die Haut. Da bleiben Szenen, Momente, auch Klänge schon im Kopf. Und dies wäre nicht so, erlebte man nicht eine so kraftvoll wie anspruchsvoll aufgestellte Kompanie des Tanztheaters der Landesbühnen Sachsen.