Zur Spielplanpolitik der Intendanz von Peter Theiler gehört es, Regisseurinnen und Regisseuren die Möglichkeit zu geben, ein schon einige Jahre altes Regiekonzept noch einmal neu zu befragen. Als Rezensent kann man dann alte Rezensionen und Pressefotos durchsehen und in den Premieren wie bei Suchbildern die kleinen Unterschiede zum Original ausfindig machen. Ein solches Recyceln mag wenig innovativ sein, doch hat es Dresden mit »Grand Macabre« und »Il viaggio a Reims« zwei aufregende Opernabende beschert. Zum anderen sind da die Koproduktionen, die alle beteiligten Häuser glücklich machen sollen und daher manches Mal wie die Ladenfassaden international agierender Modeketten beliebig und austauschbar daherkommen. Für letzteres war »Madama Butterfly« kürzlich ein bedrückendes Beispiel.
Um sich auf die neue »Rusalka« einzustimmen, die als Koproduktion mit Madrid, Bologna, Barcelona und Valencia geplant ist, kann man sich also die am Teatro Real aufgezeichnete DVD gemütlich zu Hause auf der Couch anschauen. Christof Loys Inszenierung wirkt leider immer noch uninspiriert und in vielen Aspekten undurchdacht. Es ist eine weitere dieser Anzugsinszenierungen, die vermeintlich Modernität und Gegenwartsbezug herstellen und doch nur unterkühltes Einerlei servieren, an dem sich das ebenfalls Anzug tragende, internationale Publikum nicht stößt.
Aber der Reihe nach. Johannes Leiacker baut dem für seine »Così« bei den Salzburger Festspielen 2020 gefeierten Regisseur einen vage ans Fin de siècle erinnernden Raum, der irgendwo zwischen Bahnhofshalle und Theaterfoyer changiert. Genauso grau wie die Wände sind die Felsen, die durch die Torbögen in die Halle brechen. Davor steht ein Lazarettbett, auf dem Rusalka sich in Spitzenschuhen und Tütü wegen eines verstauchten Fußes selbst bedauert. Hier schreit zwar alles „Realismus!“, aber warum sich eine Tänzerin im kompletten Bühnenoutfit ins Krankenbett legt, bleibt ein Rätsel, wie so vieles an diesem Abend. Die Brüche sollen, und das ist die wohlwollende Lesart, wohl unser Allegorie-Glöckchen klingeln lassen. Dabei landet man aber auch nur auf dem Trockenen. Warum die Wassernixe zur realistischen Balletttänzerin werden muss und einer matronenhaft ausstaffieren Ježibaba, die statt eines Hexenhauses nur ihr Kassenhäuschen bewacht, Kräfte über alle Natur einräumt, bleibt unerklärt. Der Wassermann als langweilige Vaterfigur im Dreiteiler bewacht eher das lokale Sägewerk oder den örtlichen Baustoffhandel als die magischen Tiefen des Sees oder, und hier könnte eine psychologisch realistische Sicht ansetzen, das sexuelle Begehren seiner Tochter. Man muss Rusalka nicht als Märchen inszenieren – aber wenn man sich dagegen entscheidet, sollte man die Märchentropen nicht einfach durch andere, vermeintlich realistische Klischees ersetzen. Schweigen wir also von den weiteren Untiefen dieses szenischen Schiffbruchs!
Beglückenderweise flutet Joana Mallwitz vom Pult aus mit glucksenden, tosenden, rauschenden, brechenden, säuselnden Klangwellen auch noch die letzte Ritze dieses szenischen Trockendocks. Wie in einem Guide to the Orchestra für alte Hasen scheint sie die Klangfarben jeder einzelnen Instrumentengruppe neu zu entdecken – so sonor hat man Celli noch nie aus einer anderen Welt rufen hören! Vom betörenden Pianissimo bis hin zu ungewohnt schroffen Kanten moduliert sie in ihrem Semperopern-Debüt den Orchesterklang, ohne die Eigenheiten der Staatskapelle zu verwischen. Die gerade überall gefragte Dirigentin, die noch vor ein paar Jahren ein Geheimtipp war, bereitet dem wahrhaft beeindruckendem Sängerensemble einen klingenden See.
Meisterlich steht Olesya Golovneva über diesen Wogen. Sie verleiht der Titelfigur mit ihrem timbrereichen, mühelos zwischen lyrisch und dramatisch wechselndem Sopran den musikalisch-emotionalen Tiefgang, den die Inszenierung missen lässt. Ihre drei Nymphenschwestern Ofeliya Pogosyan, Stepanka Pucalkova und Constance Heller wässern im glücklich ausbalancierten Terzett kräftig mit und Nicole Chirka, Mitglied des Jungen Ensembles, beeindruckt mit ihrem warmen Mezzo als Küchenjunge. Solch ein Klangrausch macht süchtig!