Wer regelmäßig die Konzerte der Sächsischen Staatskapelle besucht hat, wird ihn natürlich kennen. Wer nach der diesjährigen Sommerpause ins Konzert geht, wird ihn ganz gewiss vermissen: Reinhard Krauß, viele Jahre lang Konzertmeister der Zweiten Violinen dieses Orchesters, hat sich in den Ruhestand verabschiedet.
Drei Konzerte durfte er zuletzt noch kurz vom Ende der Saison mit „seiner“ Kapelle absolvieren. Der letzte Schlussapplaus nach Gustav Mahlers 9. Sinfonie galt zwar dem gesamten Orchester, selbstverständlich. Und er galt auch dem „Neuen“, dem designierten Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle, Daniele Gatti, der vielleicht schon 2024 in Dresden antreten wird. Ein ganz besonderer Beifall galt aber auch diesem „Alten“, dem das Rentneralter keineswegs anzusehen ist, für den dies aber definitiv das letzte Konzert war. Dabei strahlt Reinhard Krauß nach wie vor ein fast jugendliches Ungestüm aus. Beseelt blickt er zurück: „Ein Grundgefühl der Dankbarkeit und Demut über ein unglaublich glückliches und erfülltes Künstlerleben 44 Jahre hinweg. Über mehrere Chefs, mehrere Intendanten und einen gesellschaftlichen Umbruch hinweg – nur Glück und Freude und Erfüllung.“
Von Herbert Blomstedt über Giuseppe Sinopoli bis hin zu Christian Thielemann hat Reinhard Krauß sechs Orchesterchefs bei der Kapelle erlebt. „Ich erinnere mich an jeden Chef ganz speziell mit seinen Stärken und weniger Stärken, hervorheben möchte ich eine Dankbarkeit gegenüber Giuseppe Sinopoli, dass er uns die Zweite Wiener Schule nahegebracht hat.“
Mit Gatti kommt nun erneut ein Italiener nach Dresden, der 13. in der langen Geschichte des 1548 gegründeten Klangkörpers. Krauß hat den gebürtigen Mailänder mehrfach als Gastdirigent kennengelernt, erinnert sich aber auch gern an andere Maestri: „Also zuerst und vor allem war die warmherzige Begrüßung von Herrn Professor Herbert Blomstedt für mich ein Türöffner der Seele. Dann natürlich Bernard Haiting als Gentlemen. Ich hab unglaubliche Persönlichkeiten kennengelernt, auch in der Lukaskirche im Schallplattenstudio, natürlich als absoluten Höhepunkt Carlos Kleiber und zum Schluss jetzt dieses Charisma von Christian Thielemann. Und es geht jetzt sehr gut weiter mit Herrn Gatti.“
Reinhard Krauß ist auffällig, ein Original. Man hat ihn stets erkannt, den dunklen Lockenkopf mit seinen wachen Augen, mit seinem Lächeln, wenn er die Bühne betrat und wie kein Zweiter gerne ins Publikum grüßte. Ob Konzerte in Dresden oder weltweit bei Gastspielen, seine Arbeit war immer weit mehr als nur Dienst.
„Musik ist für mich das Esperanto der Seele,“ sagt Reinhard Krauß. „Wenn ich irgendwo auf der Welt meine Geige auspacke und spiele, erreiche ich Menschen, ohne ein Wort sagen zu müssen.“ Mit der Sächsischen Staatskapelle ist Krauß in den besten Sälen der Welt aufgetreten – und hat unterschiedlichstes Publikum fasziniert. Ein erfülltes Berufsleben voller Erinnerungen: „Besonders begeisterungsfähig ist ja das Publikum in Japan. Also was da an Sinn für die deutsche Kultur da ist, die Aufnahmebereitschaft und Begeisterung, das ist wirklich ganz enorm.“
Kein Wunder, dass der zum Kammervirtuosen ernannte Reinhard Krauß in Japan auch eine Gastprofessur übernahm, um die gemachten Erfahrungen weiterzugeben. Auch in seiner Heimatstadt Dresden ist er nicht ausschließlich in der Staatskapelle, sondern auch kammermusikalisch sowie als gern gefragter Gast bei der Philharmonie zu erleben gewesen. Chefdirigent Marek Janowski habe ihn wiederholt eingeladen und hätte ihn wohl auch gern beim verschobenen Wagner-»Ring« mit dabei gehabt. Doch den will Reinhard Krauß ebenso aus dem Publikum erleben wie dessen Wiederaufnahme an der Semperoper, denn der Abschied vom Beruf sei endgültig.
Und das unstete Arbeitsleben wäre ohne den familiären Rückhalt nicht möglich gewesen, betont er. In Zukunft werden Ehefrau, Kinder und Enkel deutlich mehr Zeit mit Reinhard Krauß verbringen können. Das Stammpublikum der Kapellkonzerte aber wird ihn vermissen, den lächelnden Lockenkopf am ersten Pult der Zweiten Geigen.