Zu den positiven Corona-Effekten, von denen man sich nachhaltigen Effekt wünschen kann, muss man auf jeden Fall eine Idee der Singakademie Dresden zählen, die in diesem Frühjahr fortgesetzt worden ist. Über sechzig Straßen im Dresdner Stadtgebiet sind nach – oftmals hiesigen – Komponisten benannt, deren Werke heutzutage kaum noch zu Gehör gebracht werden. In diesem Jahr widmete sich der Chor, der auf eine bis ins Jahr 1884 zurückreichende Tradition zurückblicken kann, drei Komponistenstraßen mit jeweils halbstündigen Konzerten.
Felix Draeseke und Friedrich Silcher
Die Draesekestraße erinnert an Felix Draeseke (1835-1913), der überwiegend in der Südvorstadt wohnte. Der gebürtige Coburger lernte im Alter von 17 Jahren Franz Liszt kennen, als dieser Wagners Lohengrin in Weimar dirigierte und beschloss daraufhin die Musikerlaufbahn einzuschlagen. Nach erfolglosen Jahren u.a. in der Schweiz ließ er sich in Dresden nieder, wo er ab 1884 am Dresdner Königlichen Conservatorium lehrte und mehr als eine Komponistengeneration maßgeblich beeinflusste. Hochangesehen, wandte er sich in seiner 1906 in der Neuen Musikzeitung veröffentlichten Schrift »Die Konfusion in der Musik« gegen neue Musikstile. Richard Strauss war gemeint, wenngleich nicht persönlich angesprochen. Doch die Kritik wandte sich gegen Draeseke: rückwärtsgewandt, akademisch und seelenlos sei seine Musik. Draesekes Grabstein ist auf dem Urnenhain noch heute erhalten. Das Gebäude des Conservatoriums, das Draeseke maßgeblich prägte, entsteht derzeit als Palais Hoym gegenüber dem Stadtmuseum wider.
Mitglieder des Großen Chors brachten am 24. Juni auf dem Spielplatz an der Draesekestraße den Psalm op. 93 op. 56 und den Chorsatz »Beati quorum« op. 57,2 zu Gehör. Chorleiter Michael Käppler brachte auch ein romantisches Klavierwerk auf dem E-Piano zu Gehör, das von einem Nachbarhaus mit Strom versorgt wurde. Dazu gab es ein Lied des Hofkirchenkomponisten Edmund Kretschmer (1830-1908), nach dem unweit der Draesekestraße ebenfalls eine Straße benannt ist. Sein Grabmal befindet sich auf dem Alten Katholischen Friedhof.
Der Chor der Singakademie sang in für einen Laienchor sehr ordentlichen Qualität mit viel Engagement. Nicht alle Besucher würdigten die Musik gleichermaßen und ließen ihre Kinder ungebremst lärmend weiterspielen. Die anderen applaudierten dankbar für diese klangliche Entdeckungsreise durch ihre Nachbarschaft.
Friedrich Silcher (1789-1860) hat seine württembergische Heimat kaum verlassen – seine einfachen Liedvertonungen dafür umso mehr. Bis ins frühe 20. Jahrhundert prägten sie das Repertoire fast aller deutschen Männerchöre. Darum wurde ihm in Dresden-Klotzsche eine kurze Straße gewidmet. Hier ließ der Seniorenchor der Singakademie Dresden unter Leitung von Robert Schad am 8. Juli einige dieser Lieder, darunter das bekannte »Ännchen von Tharau« erklingen.
Franz Curti
Franz Curti (1854-1898) war Sohn eines Sängers der Dresdner Hofoper und wuchs bei seiner Schweizer Verwandtschaft auf. Er studierte trotz umfangreicher Musikausbildung Medizin und kam nach verschiedenen Stationen 1880 nach Dresden, wo er als Zahnarzt praktizierte. Abends komponierte er nicht nur Opern, von denen es »Lili Tse« bis an die Met nach New York schaffte, sondern auch zahlreiche Werke für Männerchor. Im 19. Jahrhundert fanden diese eine weite Verbreitung. Stilistisch ließ sich Curti von Richard Wagner inspirieren.
Curti lebte vor allem in der Pirnaischen Vorstadt und kaufte für sich und seine kinderreiche Familie um 1895 die Villa Friedau in der Malerstraße 13. Dieses Haus wurde 1998 für einen an die Schweiz erinnernden modernen Holzbau abgerissen. Curtis Witwe erreichte nach dem überraschenden Tod ihres Mannes, dass wenige Schritte entfernt die Franz-Curti-Straße an ihn erinnern sollte. Während Curtis Musik in Dresden bisher kaum mehr zu Gehör gebracht worden ist, widmete der Schweizer Ort Rapperswil mit Unterstützung der Nachfahren Ende April 2022 Franz Curti ein eigenes Festival.
Auch bei diesem Konzert am 15. Juli brachte Michael Käppler dem sehr zahlreich erschienenen Oberloschwitzer Publikum in seiner Moderation Persönlichkeit und Werk des Komponisten nahe. Beim Dirigieren des Projektmännerchors der Singakademie wechselte er sich mit Robert Schad ab. Während einige Lieder Curtis in eher volkstümlichen Ton gehalten waren, waren andere durch ihre spätromantische Tonsprache mit teils ungewohnten harmonischen Wendungen für den Chor eine rechte Herausforderung. Das Publikum zeigte seine Begeisterung für die erklungene Musik, die Ausführung durch den Chor und für die Idee, Musik am passenden Ort auf die Straße zu bringen mit kräftigem Applaus.
Im kommenden Jahr soll die Reihe fortgesetzt werden. „Alle 60 Komponistenstraßen werden wir allerdings auf keinen Fall abdecken können“, dämpft Singakademieleiter Michael Käppler übertriebene Erwartungen.