Absprachen gibt es keine in Dresdens Kulturleben. Leider. Doch diesmal hat es beinahe so ausgesehen.
Ein Sonntag im Zeichen von Schubert. Franz Schubert, der aus dem dörflichen Geburtsort Himmelpfortgrund nach nur 31 Jahren Lebens- und Schaffenszeit schon wieder in den Himmel, hinter die Pforte oder in den Grund (woran auch immer wer glauben mag) entschwunden ist. Eine ganze Reihe schöner Musiken hat dieser kurzlebige Wiener (sowohl das so glaubensselig benannte Dörfchen Himmelpfortgrund als auch der Sterbeort Wieden hat sich Österreichs Hauptstadt längst eingemeindet) allerdings hinterlassen. Dresdens vorletzter September-Sonntag stand ganz im Zeichen dieser Musik.
Zwar gastierte die Dresdner Philharmonie mit ihrem Chefdirigenten Marek Janowski in der barocken Basilika von Ottobeuren und führte dort des Nachmittags die monumentale Sinfonie Nr. 8 von Anton Bruckner auf, zwar musizierte die eben von ihrer Europa-Tournee zur Spielzeiteröffnung zurückgekehrte Sächsische Staatskapelle zu ungewöhnlich früher Anfangszeit Dmitri Schostakowitschs Groteske »Die Nase«, doch gehörten die abendlichen Stunden sowohl im Kulturpalast als auch in der Semperoper der Musik von Franz Schubert.
Zunächst gab sich Francesco Piemontesi als aktueller Artist in Residence der Philharmonie mit einem Rezital die Ehre. Punkt 18 Uhr hob er dazu an, erst einmal freilich höchst impressionistisch mit den »Images« von Claude Debussy. Als würde der feinsinnige Franzose in dieser Anfang des 20. Jahrhunderte entstandenen Komposition rückblickend Bezug nehmen wollen auf die gleich darauf folgenden Drei Klavierstücke D 946 aus dem Sterbejahr von Franz Schubert. Verspielt, verschmitzt, leichtfüßig und doch enorm virtuos erklangen diese zwar absolut eigenständigen, sich aber doch schillernd ineinand spiegelnden Stücke.
Francesco Piemontesi beherrscht das selten gewordene Gleichgewicht aus sublimem Anschlag, harscher Technizität und emotionaler Ausdruckskraft. Von diesem Können legte der in Berlin lebende Schweizer auch nach der Pause meisterlich Zeugnis ab und fingerfertigte die 1956 entstandenen Fünf Variationen von Helmut Lachenmann über ein Thema von Franz Schubert mit enormem Esprit, ohne dabei jedoch in die Rolle des puren Vortragskünstlers zu verfallen. Nein, Piemontesi erwies sich als ausdrucksstark, zelebrierte meisterlich allerhöchste Handwerkskunst gepaart mit kluger Inhaltsinterpretation.
Schuberts Klavierwerke empfindet der Virtuose als „Herzensstücke“, hat er uns vorab gestanden, die im Sterbejahr 1828 verfasste B-Dur-Sonate D 960 sieht Piemontesi gar als „große Liebe“ an. Eine Liebe, die er auch bestens und ganz persönlich zu begründen versteht: „Weil diese Musik so unmittelbar zu mir spricht. Ich werde selbst beim Spielen jedes Mal so mitgenommen! Das kann ich wirklich in diesem Maße und in dieser Intensität von keinem anderen Komponisten behaupten.“
Von Ohrwurm zu Ohrwurm
Ob es dem Sänger Georg Zeppenfeld in diesem Zusammenhang möglicherweise ganz ähnlich geht? Der hat am selben Abend, exakt zwei Stunden später, in der Semperoper zu Schuberts Liedzyklus der »Winterreise« angehoben. Am Klavier begleitet von Gerold Huber, der sich als exzellenter Partner erwies. Kein Roter Teppich im Tastenklang, stattdessen ein perfekt ineinander verflochtenes Wechselspiel aus Gesang und Begleitung.
Zeppenfeld hat diesen „Zyklus schauerlicher Lieder“ (Schubert über Schubert) tief verinnerlicht und höchst empfindsam umgesetzt. Ein Sänger-Darsteller par excellence. Mit körperlich sparsamer Gestik und einem enormen Spektrum an vokaler Ausdruckskraft transportierte er die Tragik des unglücklich liebenden, einsam wandernden, mehr und mehr Abschied nehmenden Menschen. Jeder Ton, ja jede Silbe erklang da perfekt gefärbt und modelliert. Aus tiefer Schwärze heraus schwingt er sich auf, verleiht seiner Stimme eine bronzene Wärme und erhebt sie bis hoch ins strahlende Azur. Die unglückliche Liebe ist ebenso wie die wachsende Einsamkeit, wie das Erstarren im Schnee, das Rauschen der Winde, des Flusses, wie der Schmerz über die Unbeständigkeit nachfühlbar. Zeppenfelds Augen blicken mal freundlich, mal lächelnd, dann leidvoll verzweifelt und wehmütig entrückt. Er kommentiert den eigenen Gesang körperlich, macht deutlich, wie sehr er diese Musik verinnerlicht hat.
Umso mehr wird dies in Letzte Hoffnung bewusst, denn hier gibt es nichts im rhythmischen Fluss des Klaviers, woran sich der Sänger festhalten könnte. Doch Georg Zeppenfeld scheint keine streng taktierende Orientierung nötig zu haben, schlafwandlerisch sicher bewegt er sich über Schuberts waghalsige Eskapaden und strandet über das Gedenken an den Totenacker im Wirtshaus beim Leiermann und dessen starren Fingern. Da läuft es einem beim Hören und Zusehen erst einmal eiskalt über den Rücken.
Solch einen Abend als grandios zu beschreiben wäre herzlos untertrieben.