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Zu End’ ewiges Wissen

Dass es das allererste »Ring«-Projekt überhaupt in ihrer Geschichte ist, machen die Philharmoniker an vielen Stellen vergessen. Aber manchmal blitzte doch die Nervosität durch… Foto: Sarah Ennouhi beim Hornruf, (c) Oliver Killig

Der erste und der zweite Tag des Wagnerschen Bühnenweihfestspiels im Kulturpalast liegen hinter uns; das große Finale, die »Götterdämmerung«, folgt morgen. Drei kurze Notizen zu dem Kraftakt, den die Dresdner Philharmonie mit ihrem bald scheidenden Chefdirigenten Marek Janowski hier geschultert hat, seien schon einmal aufgeschrieben, bevor unser Kritiker Björn Kühnicke demnächst den gesamten »Ring«-Zyklus Revue passieren lässt.

Ein einziger Kraftakt

„Warum?“ Diese Frage muss zuerst erlaubt sein. Die Gründe sind wohl vielschichtig. Janowskis erstes Dresdner »Ring«-Projekt ist vierzig Jahre her; nächstes Jahr beendet der Dirigent sein (zweites) Dresdner Chef-Engagement. Seine aktuellen Ideen denen der achtziger Jahre gegenüberzustellen, mag vor allem für Wagnerianer interessant sein. In der durchweg spannend zu hörenden Radioserie über den »Ring«, die Janowski anlässlich seines Engagements bei den Bayreuther Festspielen 2016 aufzeichnete, schildert der Dirigent schon einige der Entwicklungen: er gehe nun flexibler mit dem Notenmaterial um, sei ungleich erfahrener mit der Partitur. Die Staatskapelle hatte damals nur die »Walküre« im Repertoire; für die Dresdner Philharmonie ist es der erste zusammenhängende »Ring« überhaupt in ihrer Geschichte.

Und das hört man auch. Der Notentext wird von der Philharmonie exzellent musiziert, aber es mangelt an manchen Stellen an Geschmeidigkeit, an Gelassenheit. Dieser »Ring« wird bisher durchweg druckvoll musiziert, dynamisch eher am lauteren Ende der Skala. Vom ersten Ton an übrigens: wo Janowski im Radiobeitrag schildert, wie er die Bässe zu Beginn des »Rheingolds« am liebsten aus dem Nichts, aus dem dreifachen pianissimo auftauchen lasse, da begannen die philharmonischen Bässe den 2022er Janowski-»Ring« im mutigen Mezzopiano mit einem merklichen Akzent. Dieser Zugang setzt die Sänger dynamisch unter Druck. Der Orchesterpart, für den geschlossenen Bayreuther Graben konzipiert, ist hier ja auf die Bühne verschoben. Vom an manchen Stellen anzustrebenden „belkantistischen Ton“ (Marek Janowski in der Radioserie) bleibt da nicht viel; die Sänger arbeiten den meisten Teil des Abends am Anschlag. Catherine Foster (Brünnhilde), Egils Silins (Wotan/Wanderer) und Tareq Nazmi (Hunding) kommen mit diesem dynamischen Erwartungsdruck bestens klar. Vincent Wolfsteiner dagegen (Siegmund, Siegfried) wirkt gerade in den Höhen eng und unflexibel, und Christina Landshamar (Stimme des Waldvogels!) und leider auch Marina Prudenskaya (Fricka) werden von der Orchesterphalanx schlicht zugedeckt. Es fehlen mir zudem die süßen Passagen, die leise plätschernden Wellen, der dräuende Nebel, das goldene Abendrot, das leise Waldweben. Was dagegen blendend klingt: die gleißenden, glitzernden Passagen. Riesen, Drachen, und nicht zu vergessen die achtzehn Ambosse. Die sind im »Rheingold« auf der Chorempore postiert und lassen die Ambosse der 2012er Aufnahme, die bis dato als die lautesten der »Ring«-Geschichte galten, alt aussehen. Noch beim letzten Feierabendbier klingelten die Rezensenten-Ohren.

Continuity, konzertant

Dieser 2022er Dresdner »Ring« ist musikalisch trotz der angesprochenen Aspekte insgesamt so fesselnd, dass es keine Inszenierung braucht. Aber: gerade ohne die Vorgaben eines Regisseurs und ohne ein sichtbares Bühnenbild hilft es bei einer Oper, in der eine komplexe Geschichte mit vielen Mitwirkenden erzählt wird, eine Art Interaktions-Konzept zu vereinbaren. Heißt zum Beispiel: wenn Siegfried in der 3. Szene des 3. Aufzugs frohlockt: „Ha! In Waffen ein Mann: wie mahnt mich wonnig sein Bild! Das hehre Haupt drückt wohl der Helm? Leichter würd’ ihm, löst’ ich den Schmuck…“, dann haben wir Zuhörer uns wohl damit abgefunden, dass kein Roß im Hintergrund schlafend rastet, und dass auch kein Helm die lockigen Haare Brünnhildes deckt – aber dass sich die Figur der Brünnhilde in diesem Moment auf der Bühne befindet, würde ein Script Supervisor doch wohl vorschlagen. Im Kulturpalast schert sich indes kaum einer der Sänger um diese Fragen. Verschiedene Positionen rund um das Orchesterpodest sind zwar vorgeschrieben – aber wann sie die Sänger einnehmen, hat nicht oft etwas mit den Regieanweisungen im Libretto zu tun. Wer fertig ist, geht ab.

Jetzt leg doch mal die Noten weg, Bruder! Jochen Schmeckenbecher (Alberich) und Jörg Schneider (Mime) Foto: Oliver Killig

Leider bleiben auch insgesamt nur wenige Andeutungen von sängerischen Interaktionen sichtbar. Die Regel sind bei diesem »Ring« statische Auftritte: ein Notenpult mit der aufgeschlagenen Partitur, aus der abgesungen wird. Wohltuende Ausnahmen bleiben Catherine Fosters lebendiges Spiel und die spielerischen Interaktionen etwa von Egils Silins und Jochen Schmeckenbecker (Wotan, Alberich). Und, Entschuldigung, man hört doch einen Unterschied, ob etwa ein Siegfried sich hinter einem Notenpult postiert und umständlich die Lesebrille zückt, oder ob ein auswendig vorgetragener Monolog auch mit Gestik und Mimik begleitet wird! Die vierte Wand ist endgültig durchbrochen, wenn sich Sänger nach ihrem Einsatz auf die Seitenempore mitten ins Publikum setzen, um dem Rest des Akts von dort zu lauschen. Man stelle sich das einmal in der Semperoper vor!

Auslastung

Der Dresdner »Ring« ist bisher empörend schlecht verkauft. Auch dafür mögen die Gründe vielschichtig sein. Die insgesamt hohen Kartenpreise, die drohenden Gasrechnungen der nächsten Monate, die Inflation. Immer noch Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus in geschlossenen Räumen. Eine allgemeine Zurückhaltung, ja Mattigkeit, das abendliche Ausgehen betreffend. Zweieinhalb Jahre lang haben wir die Vorzüge von (zumeist kostenlosen) Couch-Konzerten schätzen gelernt. Und, ja, parallel pilgerten leidenschaftliche Wagnerianer vielleicht auch eher nach Berlin in den Tscherniakow-»Ring« oder warten auf den 2. November 2022, wenn die Restkarten für den 2023er Semperopern-»Ring« unter Christian Thielemann in den Verkauf gehen werden. Aber trotzdem: so leer der Saal? Das haben die Musiker nicht verdient. Für die »Götterdämmerung« waren im Rahmen von Sonderaktionen am 25. September und am 10. Oktober alle Karten kurzzeitig für 25,- EUR zu haben; inzwischen kosten die Restkarten wieder bis zu 110,- EUR. Auch diese Preisschwankungen werden von treuen, aktuell besonders preissensiblen Philharmonie-Hörern wahrscheinlich eher als ungerecht empfunden und nicht gerade dazu führen, dass man sich zukünftig wieder langfristiger Karten für kommende Vorstellungen besorgt. Schmerzlich sichtbar ist zudem die Abwesenheit von Hörern unter 50 Jahren. Verdammt nochmal: selbst wenn noch nicht wieder so viele Musiktouristen wie erhofft nach Dresden pilgern, alle Dresdner Gymnasiasten, die einen Leistungskurs Musik belegt haben; alle Studenten der Musikhochschule, alle Musikwissenschaftler des entsprechenden Instituts an der Technischen Universität, alle Mitarbeiter der Musikabteilung der Sächsischen Landesbibliothek, alle Musiklehrer des Heinrich-Schütz-Konservatoriums etc. hätten (vielleicht mit entsprechenden Nachlässen angelockt) diesen letzten Janowski-Ring als Krönung und eben auch als Ende einer ganzen musikästhetischen Ära miterleben müssen. Die Zukunft mag den hippen »Briefmarken-Opern« gehören, Leute – aber hier habt ihr einfach ein lebensveränderndes Bildungsereignis verpasst, was sich auch nicht durch Anhören des Radiomitschnitts (mdr, Deutschlandfunk Kultur) wettmachen lässt.

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