Natürlich ist es spannend, wenn Pianisten mit eher rabiatem Anschlag spielen, den Korpus ihres Instruments perkussiv gebrauchen oder sich in die Innereien begeben, Plastebälle auf die Saiten werfen, Hämmerchen mit Knete ummanteln, Metall zum Vibrieren bringen, Holzstäbchen und Gummiknöpsel, Muschelkettchen auch. Fulminant kann es sein – für den Zuhörer und selbstredend für den Tastenkünstler. Klavierstimmer hingegen bekommen da im Regelfalle Schweißperlen. Und eigene Ausbrüche. Unvergessen ist die heftige Reaktion des Haus-Stimmers im Dresdner Jazzclub Tonne – lang lang ist’s her, man residierte noch im Ur-Keller am Tzschirnerplatz – nach einem Auftritt des Freejazz-Urgesteins Ulrich Gumpert, der kein „Wohltemperiertes“, eher ein geschundenes Klavier hinterließ.
Klavierstimmer und Wolfgang Torkler sind mit Sicherheit ziemlich beste Freunde. Der 1965 im ostdeutschen Norden Geborene und seit Jahrzehnten in Dresden Residierende hat offensichtlich und vor allem hörbar ein inniges Verhältnis zu seinem Arbeits- und Inspirationsgerät. Es ist ihm Partner. Nachzuhören auf fünf Soloplatten und auch in anderen künstlerischen Konstellationen, von denen aktuell jene mit seiner Frau, der Sängerin Elena Janis (Sund Yard, Weihnachts- und Winterlieder) sowie dem Bassisten René Bornstein (mit »Scapes« als 2022 erschienene großartige Debüt-CD) sein Schaffen prägen. Dass er mit seiner langjährig bestehenden Latin-Formation Tumba-ito auch völlig anders kann, sei an dieser Stelle trotzdem nicht vergessen.
Innigkeit, Sparsamkeit und Zurückhaltung sind es, die Torklers Jazz-Kompositionen für die solistische- oder Kleinbesetzung im Duo oder Trio bestimmen. Nachklang wird hier eminent wichtig, das Aushalten von Vibrationen der Sinne, die sich beim Hören fast suggestiv einstellen, um vor allem die Pausen zwischen den Akkorden zu füllen. Waren es in der Vergangenheit bis zu 15 Einzelstücke, die sich auf Platten und in Auftritten zeigten, wollte Wolfgang Torkler für sein Jubiläumskonzert »25 Jahre solo« im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels nun auch öffentlich einen nächsten neuen Schritt seines Weges wagen. Innerhalb der Reihe »Musik zwischen den Welten«, die ihm all über die Jahre Heimstatt geworden ist, offerierte er zwei geschlossene 40-minütige Improvisationen als Ergebnis eines, wie er sagt, zuletzt forcierten Studiums klassischer Kompositionstechniken. Die Wochen der Präparation schufen dem Bach-Freund Basis und Fundament zum Ausschreiten.
Der große Flügel steht nicht auf der Bühne, sondern davor; dort, wo üblicherweise die ersten drei Sitzreihen montiert sind. Markant hat sich ein schmaler Lichtring ums Instrument gelegt, der sich dann, als der Künstler Platz nimmt, zu einem blau-weißen Kegel formt und fortan fast unmerklich seine Gestalt verändert. Der Klang wird ein brillanter sein und vom exzellent besetzten Saal mit deutlich wahrnehmbarer Freude goutiert. Zeichen dessen ist eine selten erlebte, im Grunde unfassbare Stille, die sich jeweils nach den letzten Tönen beider Sets in (gefühlt fünf-, tatsächlich noch immerhin einminütiger) Applausverweigerung manifestiert. Wäre man nur im Saal anwesend und nicht wirklich dabei gewesen, es hätte so nicht laufen können! Respekt vorm Publikum, das, wenig verwunderlich, von Torkler in den letzten Jahren mitgenommen wurde, weil er es tunlichst vermieden hat, immer wieder neu mit noch dem nächsten Experiment um Hörerschaften zu buhlen. Letztlich sind diese beiden langen Improvisationen durchaus auch als Geschenk an die treue Gefolgschaft zu verstehen.
Elegant, unwiderstehlich im tiefen Lot harmonischer Strukturen und gänzlich bruchlos vernetzt Wolfgang Torkler im ersten Teil eher zart hügelige motivische Konturen zu einer Landschaft. Großartig, wie er die Hände zueinander kommen lässt, wie die rechte, zunächst allein, sich förmlich an die linke heranarbeitet, Kontakt aufnimmt, sie sanft begrüßt. Mit bestechender Ruhe und Unangestrengtheit entwirft Torkler eine feinporige Tonwelt, die sehr wohl ihre hooks auswirft. Nie aber lässt sich Torkler dazu hinreißen, auf diesen Haken, und seien sie noch so schön, länger als nötig zu verweilen, ja, zu hängen. Kaum sind sie entdeckt, lässt er sie schon wieder ziehen. Das Maß der Dinge stets in Blick und Ohr. Auch darauf, Minimal-Schleifen zu legen, in den Themen der Improvisation partout wiedererkennbar zu sein, verzichtet Torkler. Vorsätzliche Ausschweifungen fehlen völlig.
Auch im zweiten Teil, der am Beginn zunächst, für Torklersche Verhältnisse, gar forsche Perlenketten auswirft, wirbelt, drängt, ohne zu beißen. Es sind Nuancen, Verschiebungen, Färbungen. »Raum für Zeit. Zeit für Raum« – hätte der Abend nicht diesen von Wolfgang Torkler selbst entworfenen Titel bekommen, man müsste ihn sich einfallen lassen. Es sei eine besondere Herausforderung, so Torkler in einem Interview mit den Dresdner Neuesten Nachrichten im Jahr 2009, „den Mut zu haben, sehr sparsam zu spielen, einfach darauf zu vertrauen, dass die Zuhörer genau das auch ertragen können. Da bin ich noch nicht dort, wo ich mit mir sein möchte.“ Menschen zur Ruhe zu zwingen, habe er dennoch nicht vor. Er will sie erreichen.
Die Jahre sind nicht einfach nur ins Land gegangen, sie haben Wolfgang Torkler weitergebracht. An diesem Sonntagabend schien er angekommen. Mit sich. Für andere.