Spätestens seit ihrem Debüt 1983 in Bayreuth als Kundry gehört Waltraud Meier zu den großen international gefeierten Wagnersängerinnen. Ihre Isolde, Ortrud, Venus oder Sieglinde setzten Maßstäbe in Wien, Berlin, München, an der Scala und an der Met. In Dresden war sie als Carmen, Isolde und Klytämnestra zu erleben – und nun singt sie im Decker-Ring unter der Leitung von Christian Thielemann als Waltraute ihre letzte Wagnerpartie, bevor sie sich im Herbst in der Berliner Lindenoper endgültig von der Bühne verabschiedet.
Waltraud Meier, wie liefen die Proben für den »Ring« an der Semperoper?
Nach der Generalprobe kam der Assistent von Herrn Thielemann vorbei und hatte nur eine winzige Anmerkung für mich, sonst nichts. Dem entnehme ich, dass es entweder hoffnungslos war oder sehr gut (lacht).
Sie verabschieden sich von der Bühne und werden mit der Waltraute in Dresden Ihre letzte Wagner-Rolle singen. Warum gerade mit dieser Partie in Dresden?
Dresden, der Ring und Thielemann sind natürlich eine glückliche Fügung. Ich freue mich wahnsinnig, das mit Thielemann zu machen – ich fühle mich so aufgehoben bei ihm. Er ist ein Sängerdirigent par excellence. Er liebt die Stimme, ist ein toller Wagnerdirigent und legt so großen Wert auf den Ausdruck, was mir auch selbst so wichtig ist.
Und warum gerade mit der Waltraute?
Die Waltraute ist die Wagnerpartie, die zuletzt noch übrig blieb, weil ich alle anderen Partien, die großen Partien, die ich gesungen habe, schon vor ein paar Jahren abgegeben habe. Meine letzte Isolde hab ich in München gesungen, die letzte Kundry in Berlin, die letzte Sieglinde in Wien. 2018 dann noch einmal die Ortrud in Bayreuth, auch da zusammen mit Christian Thielemann. Jetzt blieb die Waltraute übrig. Es war eine meiner ersten Wagnerpartien, die ich 1978 in Mannheim gesungen habe, und so schließt sich der Kreis nach 45 Jahren.
Wie verändert sich eine Rolle mit 45 Jahren Erfahrung?
Meine Sicht auf Waltraute hat sich nicht wirklich geändert – bei anderen Partien schon, aber nicht bei dieser. Es ist einfach eine kurze und sehr eindeutige Szene. Ich liebe diese Szene – alles ist so konzentriert und dicht. Sie macht mir nach wie vor große Freude, gerade mit einer tollen Brünnhilde wie Ricarda Merbeth entsteht dabei eine wunderbare Spannung. Wir standen schon oft in Elektra gemeinsam auf der Bühne. Und wenn man sich gut kennt, dann spürt man sich und kann aufeinander eingehen. Das ist das A und O auf der Bühne und ein sehr befriedigendes Gefühl.
Bei anderen Wagner-Rollen hat sich Ihre Sicht aber durchaus geändert?
Ja, vielleicht am stärksten bei Isolde, vor allem durch die Zusammenarbeit mit Patrice Chéreau an der Scala. Das war einschneidend. Chéreau war für mich das non plus ultra als Regisseur. Damals hat sich für mich die Isolde völlig neu herausgebildet. Es ging Chéreau darum, Isolde eben nicht als starke und sichere Frau zu zeigen, sondern in ihrer ganzen Verletzlichkeit. Ich habe sie vorher nie so klar gesehen.
Wagnerfans verbinden Ihren Namen mit den großen Partien – Kundry, Isolde, Sieglinde, aber auch im italienischen Fach waren Sie zu Hause. Gibt es Rollen, die Ihnen durch die Lappen gegangen sind?
Es gab ein paar Sachen, die sich nicht realisiert haben. Da ist die Hexe aus Hänsel und Gretel, die hätte ich wirklich gern einmal gesungen. Das war witzigerweise sogar einmal für Dresden geplant, was allerdings aus Termingründen nicht zustande kam. Und da war die Marschallin. Zu der Zeit, als ich sie gern gemacht hätte und Zeit dafür gehabt hätte, hat es gerade kein Haus gespielt. Und dann war das Zeitfenster irgendwie vorbei. Aber ansonsten habe ich alles gesungen, was ich gerne singen wollte.
Die Brünnhilde hat Sie nie gereizt? Sehr oft führt der Weg der Kolleginnen doch von Isolde und Sieglinde mit der Zeit zur Wunschmaid.
Ich hatte sogar mal einen Vertrag mit der Scala für die Brünnhilde. Danach bin ich in mich gegangen und habe mit Barenboim gesprochen und ihn gebeten, das zu tauschen. Ich bin einfach keine Brünnhilde, ich bin eine Sieglinde. Zum Guten für alle Beteiligten haben Nina Stemme und ich die Rollen getauscht.
Was macht den Unterschied aus?
Brünnhilde bedeutet, man muss alle drei Brünnhilden singen, was ich nicht gekonnt hätte. Die Siegfried-Brünnhilde liegt einfach außerhalb meiner Tessitura. Und nach einer Brünnhilde hätte ich nie wieder mein eigentliches Fach, das hohe Mezzo-Fach, bekommen. Ich wäre als Sieglinde nicht mehr in Betracht gekommen. Das wäre taktisch nicht sinnvoll gewesen. Ohne die Brünnhilde konnte ich meine sängerische Richtung halten, wie sie mir in den Hals geschrieben war. Das war mir wichtig. Ich habe ein paar Ausflüge gemacht. Für mich ist die Leonore im Fidelio ein Grenzfall, wie auch letztendlich die Isolde. Aber beide Partien habe ich mir ersungen.
Neben Chéreau haben Sie mit Götz Friedrich, Jean-Pierre Ponnelle, Harry Kupfer, Klaus Michael Grüber und Heiner Müller gearbeitet. Dürfte ich Harry Kupfer herausgreifen, der dem Dresdner Publikum wohl vertraut ist und mit dem Sie in Bayreuth und an der Lindenoper gearbeitet haben?
Harry Kupfer war immer sehr buchstabengetreu und sehr genau in seiner körperlichen Handschrift. Da war wirklich alles festgelegt, bis in jede Handgeste hinein. Wir haben wunderbar zusammen gearbeitet. Ich hatte das Gefühl, wir vertrauen uns gegenseitig. Ich hatte bei Harry wesentlich mehr Freiheiten als andere Sänger. Einmal hat er zu mir gesagt: ‘Ich merk’ immer, wenn ich dir was vorschlage und das fällt bei dir durch den Rost, und du machst es einfach nicht, dann war es auch nicht gut.’ Dieses Vertrauen hatten wir ineinander und es ist einfach toll, wenn man so miteinander arbeiten kann.
Auch die Liste der Dirigenten, mit denen Sie gearbeitet haben, liest sich wie ein who-is-who der Wagnerdirigenten der letzten Jahrzehnte. Neben Thielemann wären da Muti, Abbado, Sinopoli und Levine zu nennen …
In 45 Jahren kommt was zusammen!
Wenn ich an Sie denke, fällt mir aber zuerst Daniel Barenboim ein, mit dem Sie eine jahrelange Zusammenarbeit verbindet.
Barenboim war für mich prägend. Ich würde Barenboim meinen Lebensdirigenten nennen. Von ihm habe ich so irrsinnig viel über das Wesen der Musik gelernt. Er hat mein Vertrauen in meine eigenen musikalischen Instinkte gestärkt. Viele Dinge, die ich musikalisch eher unbewusst gemacht habe, hat er ins Bewusstsein gehoben. Dadurch habe ich eine ganz andere Überzeugungskraft auf der Bühne gewonnen. Das verdanke ich wirklich ihm!
Was bedeutet es, musikalisch Unbewusstes ins Bewusstsein zu heben?
Barenboim hat mich oft in meinem vorbewussten Herangehen an eine Partie bestätigt. Sehr oft hat er mir in den Proben meine musikalischen Instinkte erklärt und dadurch hat sich Intuitives in Wissen gewandelt. Mit ihm war fast jede Probe erhellend. Er ist ein fantastischer Erklärer. Anders als viele andere Dirigenten, sagt er einem nicht einfach, wie man etwas machen soll, sondern er erklärt das ‘warum’, die Zusammenhängen, und daraus kann man so wahnsinnig viel Generelles lernen. Ich glaube das ist auch der Grund, warum so viele seiner Assistenten später selbst herausragende Dirigenten geworden sind. Ich kenne keinen anderen, der eine solche Vielzahl an fantastischen Dirigenten hervorgebracht hat.
Nach allem was Sie erzählen, leuchtet es ein, dass Sie gerade mit Daniel Barenboim im Oktober als Klytämnestra ihren endgültigen Abschied von der Bühne planen …
Ich gebe die Hoffnung nicht auf und drücke die Daumen, vor allem für seine Gesundheit, so dass sich unsere gemeinsame Elektra noch realisiert.
Ich hoffe, meine letzte Frage ist nicht ungehörig: Freuen Sie sich auch auf Ihren Abschied von der Bühne?
Na klar und wie! Vorbei ist vorbei! Irgendwann schließt sich alles und es ist erfüllt. Ich hatte wirklich ein großartiges Sängerleben. Und jetzt is’ gut! Das ist wie mit allem, da aufhören, wo es noch gut ist. Ich möchte es einfach in meinem Gedanken und meinen Herzen bewahren. Außerdem habe ich immer gesagt, es gibt ein Leben nach der Oper!
Die Fragen stellte Björn Kühnicke.
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