In der Reihe der »Dresdner Schriften zur Musik« herausgegeben unter Leitung von Matthias Hermann an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber ist gerade ein Sammelband zu Leben und Werk des Komponisten Manfred Weiss (geb. 1935) erschienen, damit auch erstmalig eine umfangreiche Publikation, die sich ausführlich dem Schaffen von Weiss von den Anfängen bis in die Gegenwart widmet.
Auf 277 Seiten des im Tectum-Verlag erschienenen Hardcover-Bandes kann man sich dem Komponisten, der in Niesky in einer Missionarsfamilie der Herrnhuter Brüdergemeinde aufwuchs, in Berlin u. a. als Meisterschüler von Rudolf Wagner-Regény ausgebildet wurde und hernach fast vierzig Jahre an der Dresdner Musikhochschule tätig war, auf vielfältige Weise nähern, und Herausgeber Herrmann versteht den Band ausdrücklich als Lesebuch.
So vereinen sich hier Texte von Weggefährten, Schülern und Interpreten seiner Musik mit Werkbeschreibungen aus Programmheften, Rezensionen und Weiss‘ eigenen Betrachtungen auf sein Leben und seine Musik. Gerade diese eigenen Anmerkungen des Komponisten, die in einem fast nüchternen Duktus zu den Werken hinführen, fördern ein tieferes Verständnis seiner Musik, die Weiss über Zeiten und Stile hinweg mit einer forschenden Neugier und vor allem Ernsthaftigkeit in der schöpferischen Tätigkeit erfand.
Neben vielen konzertanten und sinfonischen Werken vor allem für die Dresdner Interpreten und Ensembles (darunter seien exemplarisch hier fünf Sinfonien, Konzerte für Klavier, Orgel, Violine und Violoncello genannt) galt der oratorischen Musik, dem vokalen Ausdruck christlichen Denkens und Lebens ebenso wie poetischen und literarischen Vertonungen immer wieder sein Augenmerk und auch hier fand er etwa mit der Singakademie Dresden, dem Kreuzchor oder dem Sächsischen Vokalensemble engagierte Sachwalter seiner Musik. Der Dirigent Ekkehard Klemm ordnet in seinem Beitrag für das Buch Manfred Weiss‘ OEuvre nicht nur in die Zeitläufte und den regionalen Kontext ein, sondern gibt auch wertvolle Hinweise zur Aufführungspraxis vor, um und nach 1989.
Weitere Texte im Buch sind ebenfalls über die wertvolle Beschäftigung mit Werk und Person von Manfred Weiss hinaus dazu angetan, Bausteine zu musikgeschichtlichen Kapiteln zu liefern, die bezüglich der Musik in Ostdeutschland noch deutliche Lücken aufweisen – weniger in der Einzelbetrachtung und Dokumentation, als vielmehr in Bezügen, Rezeption und Wirkung.
Natürlich nimmt das Komponieren, der schöpferische Akt, der Weiss mit jedem neuen Werk lustvolle Herausforderung ist, einen breiten Raum im Buch ein, doch man spürt auch in den Texten den leidenschaftlichen Pädagogen Weiss, wenn man etwa eine hier auch erstmals zu findende, fast akribische Buchführung von ausgebildeten Komponistinnen und Komponisten am Dresdner Institut betrachtet – ihnen widmet Weiss einen Beitrag über die Hochschul-Kompositionsklassen innerhalb seines Wirkens, deren Ästhetik, Alltag und manchmal auch innovativ-spontane Zusammenarbeit hier nachvollziehbar werden.
Manfred Weiss Hochschultätigkeit als Prorektor in Dresden fällt in die umbruchhafte Zeit nach der Wende – das neue Buch wird daher auch abgerundet von einem einfühlsamen Text des ehemaligen Rektors und Komponistenkollegen Wilfried Krätzschmar, das viel vom Ethos von Manfred Weiss verrät: künstlerisches Streben zu leben und weiterzugeben, in einer Bestimmtheit und Aufrichtigkeit, von der auch die von Dankbarkeit bestimmten Texte einiger Kompositionsschüler Manfred Weiss im Buch künden.
Und am Ende dieses erhellenden Buches wünscht man sich (und Manfred Weiss selbst natürlich auch) viele Aufführungen seiner Musik, damit sich das Gelesene auch mit dem Gehör verbinden kann – zumindest in Dresden ist die Pflege und ein Interesse an seiner Musik, die ja auch einiges an Spiel- und Laienmusik umfasst, vorhanden.
»Der Komponist Manfred Weiss – Texte von ihm und anderen Autoren«
herausgegeben von Matthias Herrmann
Tectum, Baden-Baden 2022
ISBN 978-3-8288-3883-3
Bezug über Nomos Verlagsgesellschaft