Fraglos eine besondere Premiere: die Operette »Polnische Hochzeit«, 86 Jahre nach der Uraufführung zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne. Musik von Joseph Beer, dem Hoffnungsträger des Genres nach Franz Lehár. Texte von Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald. Das Trio steht für Operettenerfolg – und die Uraufführung 1937 in Zürich war ein solcher. Die Presse überschlug sich: Die Musik ginge ins Blut, Tanzrhythmik, die beglücke, eine große Operette von bleibendem Wert… International, in acht Sprachen auf fast 40 Bühnen wurde »Polnische Hochzeit« gefeiert. Dann war es aus, das Werk wurde nicht mehr gespielt. Bei den Nazis ging das nicht mehr. Der Komponist und die Textdichter, sie waren Juden. Joseph Beer konnte fliehen. Seine Eltern und seine Schwester wurden in Auschwitz ermordet, ebenso Fritz Löhner-Beda. Alfred Grünwald wurde von der Gestapo verhaftet, konnte aber entkommen, floh über Casablanca und Lissabon in die USA.
So wurde das Werk erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt; zunächst eine Einspielung des Bayerischen Rundfunks, dann an der Oper in Graz, wo es ein großer Erfolg wurde. Regisseur war damals Sebastian Ritschel, als Gast gekommen von den Landesbühnen in Radebeul, heute Intendant in Regensburg. Vor diesem Hintergrund muss auf jeden Fall, trotz kritischer Einwände im Hinblick auf die Inszenierung, der Staatsoperette Dresden, der Intendantin Kathrin Kondaurow und dem gesamten Team dieser Aufführung ein besonderer Glückwunsch zu dieser ersten »Polnische Hochzeit« in Dresden gelten.
Ja, wer feiert diese »Polnische Hochzeit«, wann und wo? Wir sind ja in der Operette; da gibt es doch sicherlich zunächst mal Hindernisse zu überwinden, bevor gefeiert werden kann? Das sehr gute Programmheft von Judith Wiemers gibt Auskunft: Das Stück spielt um 1830. Polen war nach der dritten Teilung eine Nation ohne Staat, das Königreich erloschen. Da gab es Aufstände, etwa gegen russische Besatzung. Der junge Freiheitskämpfer Graf Boleslav kommt zurück. Er will seine Jugendliebe heiraten, sein Erbe antreten. Und schon sind sie da, diese operettentypischen Hindernisse: Auf die junge Jadja hat es sein Onkel und Erbeverwalter Staschek abgesehen – gewissermaßen ein polnischer Blaubart und gewiefter Geschäftsmann, der auch schon mal mir den Besatzern kollaboriert. Es wäre seine sechste „Polnische Hochzeit“. Aber wir sind in der Operette, und da wird ja gerne mit Verkleidungen ein Verwechselungsspiel inszeniert. Das macht hier die pfiffige Gutsverwalterin Suza, auch die Wildkatze genannt. Suza nämlich liegt daran, dass Boleslav und Jadja heiraten. Also heiratet erst mal Onkel Staschek. Wenn aber der Schleier gelüftet wird, ist eben nicht die junge Jadja, sondern Suza, die Wildkatze, darunter. Sie macht ihm das Leben zur Hölle – es geht in den Ruin! Scheidung. Nichts steht mehr im Wege für die „richtige“ »Polnische Hochzeit« des Freiheitskämpfers und der schönen Jadja, die sich dann auf den Weg in die Freiheit begeben. So endet diese Inszenierung da, wo sie begann: an einem Grenzpfahl. Angesichts des Schicksals dieses Werkes und seiner Schöpfer heißt das, die Flucht geht weiter. Wenn sie Heimat finden, dann in sich und miteinander… Das Land, ihr Polen als symbolsicher Ort für ihre verlassenen Länder, gibt es nicht. Aber es lebt in den zu Herzen gehenden Klängen aus Sehnsucht und Erinnerung. Immer auch, und das ist ja so typisch für diese Autoren, mit leisem, sehr bitterem Humor, mit jiddischem Witz.
An der Staatsoperette verlegt Regisseurin Julia Weber die Handlung auf der Bühne von Esther Dandani in das 20. Jahrhundert. 50er Jahre, sozialistisches Polen, nicht frei von sowjetischer Vorherrschaft. Das erscheint insgesamt schon nicht ganz schlüssig. Die stimmigen Kostüme von Dinah Ehm reichen nicht aus, auch nicht ein paar Wortspiele, etwa von der „Bezirksdirektion“. Aber: das kann man übersehen, überhören, denn an dieser im Grunde so melancholischen Handlung der Heimatlosen ändert das nichts. Darauf geht die Inszenierung nämlich extra mit einer hinzugefügten Figur, dem alten Boleslav, ein. Herbert G. Adami stimmt mit dem Gedicht »Nirgendland« von Mascha Kaleko auf diesen folgenden Freiheitstanz der Heimatlosen ein. Die »Polnische Hochzeit« ist leider sehr dialogreich. Da hätte man sich stärkere, dramaturgische und regiemäßige Akzente gewünscht. Es geht mitunter recht schleppend voran. War vielleicht die Ehrfurcht angesichts der Thematik zu hoch? Ja, ja, kapiert, da sind diese nicht nur dieser Operette eigenen, auf Polen bezogenen Operettensehnsüchte. Klischees gibt es auch, der Alkohol fließt.
Aber da ist diese andere Ebene. Diese Musik mit den Rhythmen polnischer Traditionen, Varianten der Mazurka, der Folklore, auch mal mit tenoralem Opernschmelz. Klingende Wegweiser auf der Suche nach einem verlorenen Land. Optisch interessant: Es könnte ein Theater im Theater sein. Ein „Nirgendland“ der Kunst, auf der Bühne eines imaginären polnischen Oginski-Theaters, benannt nach dem Komponisten der Polonaise »Abschied vom Vaterland« von 1794.
Die Staatsoperette bietet auf, was möglich ist: großes Ensemble, Solistinnen, Solisten, Chor, Kinderchor und Ballett mit Choreografien von Jörn-Felix Alt. Johannes Prell muss es am Pult des Orchesters meistern, die musikalischen Dimensionen des Stücks immer wieder neuzubeleben. Wegen der überbordenden gesprochenen Passagen gelingt es eben leider nicht immer, lähmende Längen dieser Inszenierung zu überwinden.
Am Engagement des Ensembles liegt das nicht. Stellvertretend seien genannt: Steffi Lehmann als Jadja, Daniel Pataki als Boleslav, Jolana Slavíková ist Suza, die Wildkatze. Von berührender Kraft aber, bei ionischer Selbstüberschätzung, am Ende in selbst gewählter Einsamkeit Elmar Andre als Staschek, der ausgediente Blaubart. Jetzt gehen ihm die Haare aus. Pleite ist er auch. Große Szene: Melancholisch im Stil eines sensiblen Chansons – welch tolles Bild – in üppigem Badeschaum, mit dem Schaumschlagen aber ist es vorbei. Eigentlich endet die »Polnische Hochzeit« mit dieser Szene – aber nicht in Dresden. Hier folgt noch ein Quartett am Grenzpfahl: Jadja und Boleslav, Casimir (Andreas Sauerzapf) und Suza, jetzt eher Schmeichel- als Wildkatze (Titelfoto: Pawel Sosnowski). Ja, auch wenn sich hier die Liebenden gefunden haben: das ganz große Operettenglück bleibt aus.
Weitere Vorstellungen: 25., 29., 30. April, 16., 17., 19. Mai