Ein Altmeister und ein Jungstar bei den Musikfestspielen: Herbert Blomstedt fasziniert mit María Dueñas im Kulturpalast.
Mit dem Begriff Sternstunde sollte man immer sehr vorsichtig umgehen, zumal wenn es sich um spontane Eindrücke innerhalb eines Festspielprogramms mit mehr als 60 Veranstaltungen handelt. Wer aber Ende Mai zu den Dresdner Musikfestspielen das jüngste Wiedersehen mit dem Dirigenten Herbert Blomstedt im ausverkauften Kulturpalast erlebt hat, dürfte diese Zuschreibung wohl teilen: Was der schwedische Altmeister uns da mit der jungen spanischen Geigerin María Dueñas und dem Chamber Orchestra of Europe geschenkt hat, ist eine unvergesslich beeindruckende Sternstunde gewesen!
Nicht allein der Ansturm auf die Karten für dieses Konzert, auch der enthusiastische Begrüßungsapplaus, mit dem der Maestro auf der Bühne willkommen geheißen worden ist, spricht Bände für seine besondere Beliebtheit in dieser Stadt, wo er von 1975 bis 1985 Chefdirigent der Staatskapelle gewesen ist. Und auch die 2002 in Granada geborene Solistin, die den inzwischen bald 96jährigen Dirigenten an ihrem grazilen Arm ans Pult geleitet hat, weist wegen ihres Studiums an der hiesigen Musikhochschule einen gewissen Dresden-Bezug auf.
Statt des ursprünglich angekündigten Beethoven-Violinkonzerts wurde Felix Mendelssohn Bartholdys e-Moll-Konzert gegeben, das 1845 in Leipzig uraufgeführt worden ist und sich deutlich abhebt von Mendelssohns Erstling in diesem Genre. Vom ersten Ton an mit Verve gestaltet, zogen Solistin und Orchester das Publikum in ihren Bann. María Dueñas erschien wie eine Lichtgestalt, faszinierte durchweg mit leuchtend klarem Ton, brillanter Technik sowie seelenvoller Interpretation. Hauchzarte Pianissimi gelangen ihr ebenso wie zupackendes Fortissimo.
Die früh im ersten Satz erklingende Kadenz zeugte von großer künstlerischer Durchdringung – und das geradezu lustvolle Zusammenspiel mit dem seit 1981 bestehenden Orchester, dem exzellente Musikerinnen und Musiker namhafter Ensembles angehören, wirkte in dieser Verbindung wie innig vertraut. Glanzlichter setzten etwa die wohlig ineinander verschmolzenen Holzbläser mitsamt Hörnern und Trompeten. Wie Fagott und Flöte den transparenten Übergang vom ersten zum zweiten Satz als Bindeglieder gestaltet haben – einfach erhebend!
Der seit einiger Zeit sitzend dirigierende Herbert Blomstedt lenkte mehr mit präzisem Handschlag, als dass er durch die eingängigen Themen dieses schwelgerischen Konzerts leitete. Mit erkennbarer Demut vor der Musik gab er in zwar sparsamer Gestik, aber dennoch energisch Impulse. Einem beinahe andächtigen Ausklingen des Andante folgten der spielfreudig vorgetragene Schlusssatz und, leider beinahe übergangslos, frenetischer Beifall. Winzigste Differenzen in der Stringenz des Molto vivace wurden, weil rasch wieder ausgeglichen, entweder nicht wahrgenommen oder gnädig überhört.
Bei aller spürbaren Ehrfurcht vor diesem weltweit ältesten noch auftretenden Dirigenten hätten Teile des Publikum freilich gern auch Respekt wahren und auf (angestammte?) Gewohnheiten mit Telefonbimmeln und Bonbontüten verzichten können. Das hätte die Sternstunde für alle Beteiligten vollkommen gemacht.
Der Meister ließ sich davon jedoch nicht beirren und formte nach der Pause auch Mendelssohns »Schottische«, die 3. Sinfonie in a-Moll, mit bloßen Händen, als schüfe er vom Pult aus ein plastisches Klanggebilde: Ergebnis großer Binnenspannung, dramatisch aufgebaut und wirkungsvoll gestaltet. In Ton gesetztes Meeresrauschen, das ebenso zu sprudeln vermag, wie es aus momentweiser Windstille zu stürmischem Fauchen anhebt; Sinnbild für menschliche Zerrissenheit zwischen Zwist und Zärtlichkeit.
P.S.: Wer trotz dieser wahren Sternstunde mit Altmeister Herbert Blomstedt und Jungstar María Dueñas nun Beethovens Violinkonzert vermisst haben mag, sollte sich das kürzlich bei der Deutschen Grammophon erschienene CD-Debüt »Beethoven and Beyond« der Geigerin gönnen.