Tiffany Poon, wenn wir einmal herauszoomen aus Ihrem Konzertalltag und quasi von oben auf Ihre bisherige Solistenkarriere schauen – wen sehen wir da eigentlich?
Zuerst mal ist da viel Dankbarkeit für die Menschen, die mich bisher unterstützt haben. Meine Karriere ist ein ‚work in progress‘, ich habe viele Pläne: mehr Konzerte zu geben, mehr Musik zu machen. Eine wichtige Einspielung kommt demnächst heraus. Also, wir könnten sagen: Full house, aber ich würde nicht sagen, dass ich es schon geschafft habe.
Ja, wie erreicht man heutzutage, sich in der wahnsinnigen Konkurrenz von Pianisten aus aller Welt in das Gedächtnis des Publikums einzuschreiben? Bekannt zu werden?
Es hat mir geholfen, dass ich um mich herum viel von dem Wahnsinn ausblende. Ich habe nicht rund um die Uhr in der Musikhochschule verbracht, habe an der Columbia University Philosophie studiert. Ich möchte mehr vom Leben haben und verstehen als nur über meine Karriere nachzudenken und Musik als Ware anzusehen.
Womit haben Sie sich in Ihrem Philosophiestudium beschäftigt?
Ich habe mich mit allen möglichen Philosophen beschäftigt, vor allem mit der Frankfurter Schule, mit Adorno, über den ich zufällig in meinem dritten Jahr auf dem College stolperte. Das brachte mich dazu, über die Beziehung zwischen Kunst, Medien und entmenschlichtem Leben im Zeitalter der Industrialisierung und Maschinen nachzudenken. Wie Kunst und Medien das Potenzial haben, Menschen dabei zu helfen, ihre eigene Menschlichkeit wiederzuentdecken. Wenn wir menschlichere Aspekte in die klassische Musik einbeziehen, fühlen sich die Hörer vielleicht stärker mit der Kunst verbunden?
Als Betreiberin eines Youtube-Kanals haben Sie hunderttausende Follower. Fließen da solche Themen ein?
Natürlich. Als Kind war ich meinen Altersgenossen entfremdet, weil ich der Einzige in meiner Generation war, der klassische Musik mochte. Möglicherweise fühlen sich auch andere junge Menschen so, weil sie klassische Musik genießen? Wenn ich Videos über meine Erfahrungen als Konzertpianistin mache, hilft das anderen Musikliebhabern vielleicht, sich weniger allein zu fühlen. Das ist mehr, als Stufe für Stufe eine Karriere aufzubauen. Musik ist doch ein Klang, irgendjemand muss ihn hören, damit das Ganze Sinn ergibt.
Wenn ich allerdings einige der mehreren hundert Kommentare unter Ihren Videos oder in den Live-Chats während Ihrer Konzerte lese, bekomme ich fast etwas Angst ob der Nähe zu diesen Followern. Ich frage mich, ob manchen von ihnen die musikalische Interpretation überhaupt etwas bedeutet, bedeuten kann. Ob es für den Genuss eines Musikstücks überhaupt wichtig ist zu wissen, was der Solist vorher zum Frühstück gegessen hat. Und ob einige Ihrer Follower es mit der Nähe nicht fast etwas übertreiben.
Ich denke, diese Art Kommunikation ist eine Möglichkeit, um klassische Musik wieder etwas menschlicher zu machen. Ich filme, während ich Kaffee trinke oder spazierengehe, und sage, hey, klassische Musik, das ist etwas, das mich die ganze Zeit im Kopf begleitet. Ich würde sagen, 90% meiner Wachzeit. Ich habe dabei nicht das Gefühl, dass mir die Leute zu nahe auf den Pelz rücken. Klar, Stalker gibt es überall, aber ich habe das Glück, prinzipiell eine sehr freundliche Followerschaft zu haben.
Wie haben Sie eigentlich zu dieser Art der Interaktion mit Ihrem Publikum gefunden? Es sind ja auch erstaunlich viele ältere Leute darunter, denen man solches Groupietum gar nicht zugetraut hätte.
Ich habe mich gefragt, was wäre eigentlich, wenn ich von meinem Musikeralltag menschliche Aspekte zeigen würde? Und das kommt einfach an. Viele kommen dann zu meinen Konzerten. Tatsächlich sind 20 bis 25 Prozent meiner Online-Follower 65+. Das Beste ist aber: Es gibt eben nicht nur eine bestimmte Zielgruppe, sondern viele verschiedene. Gestern (im Palais im Großen Garten, d.R. – von diesem Konzert stammen auch die Fotos) hatte ich ein mittel-altes Publikum. Einige Fans waren sogar aus Zürich angereist, um mich zu hören (das Dresdner Festivalteam sagte mir, dass ich ungewöhnlich viele nicht-Dresdner Publikum hatte). Aber ich versuche, diese Beziehung nicht verflachen zu lassen, um online interessanter zu erscheinen. Das ist ein Spiel mit der Sensation, an dem ich nicht interessiert bin, und das sich schäbig anfühlt. Meine Hoffnung ist einfach, dass die Musik nicht nur wahrgenommen wird als etwas, das zu mir und nur zu mir gehört. Sondern dass es ein Weg ist, den auch mein Publikum gehen kann.
Das sogenannte „Tiffany Vlog“, ein Titel für einhundert Videos von mir, habe ich 2021 bewusst gestoppt, um auch einmal andere Wege auszuprobieren. Nicht alles nur „über mich“ zu machen, sondern über Musik generell. In der heutigen Tiktok-Ära ist viel Sensationsgier zu spüren. Den möchte ich mit meinen Videos nicht bedienen. Ich versuche, konzeptueller zu arbeiten.
Kommen über diese Online-Kanäle eigentlich auch Einladungen zu Konzerten zustande?
Ja, tatsächlich. Ich habe Einladungen nach Italien oder nach Finnland erhalten, die kamen von Leuten, die Youtube-Aufnahmen von mir gesehen hatten. Das ist nie der Plan gewesen. Es ist wunderbar, dass so viele Leute Interesse an mir zeigen. Aber eigentlich bräuchte es eine App, wo jeder dieses Gefühl teilen kann.
Also wo man sein eigenes musikalisches Puzzlestück im Austausch präsentieren kann?
Genau, das ist mein geheimer Plan. Ich arbeite da bereits an etwas.
Aber gegen den Begriff „Videoblogger“ oder „Vlogger“ sperren Sie sich. So sehen Sie sich nicht? Könnte das nicht ein wesentlicher Aspekt einer neuen Art von Musikerpersönlichkeit sein, dass man seine Reichweite auf diese Art und Weise erhöht und so auch knallhart Publikum für seine Konzerte schafft?
Vlogger, das sind echte Online-Persönlichkeiten. Das ist ihr ganzer Job. Für mich steht immer die Musik im Mittelpunkt. Und ich versuche, mein Publikum dafür zu begeistern. Ob die Online-Aktivitäten in Zukunft wirklich wichtig sein werden, um Publikum zu gewinnen, weiß ich nicht. Hoffentlich haben wir keine weiteren Pandemien, wo wir alle wieder aufs Internet zurückgeworfen werden. Jetzt konzentriere ich mich erst mal auf mein nächstes Konzert und auf die Aufnahme, die Anfang 2024 herauskommen soll.
Etwas wichtiges interessiert mich noch zum Schluss. Ich weiß von vielen Sängern und auch von einigen Instrumentalisten, dass sie sich bis zum Ende ihrer Karriere immer wieder Rat bei Kollegen oder ehemaligen Lehrern holen. Wie ist das bei Ihnen, haben Sie so jemanden, mit dem Sie interpretatorische Fragen diskutieren oder auch mal was vorspielen und sich austauschen?
Nein. Ich war schon immer recht hartnäckig und selbstkritisch. Ich höre viele Aufnahmen und genieße auch den Luxus, selbst in Konzerte zu gehen. Selbst wenn ich mit der Interpretation nicht übereinstimme, finde ich positive Aspekte, mit denen ich mich dann im „Forschungsmodus“ beschäftige. Viele meiner ehemaligen Lehrer sind leider schon gestorben. Bei mir ist vieles Intuition. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass mir beim Abwasch, während ich verschiedene Spielarten einer Phrase durchdachte, eine wichtige Idee kam, wie die Stelle zu spielen wäre. Es ist unvorhersehbar. Oft habe ich eine Vorstellung davon, wie etwas klingen müsste, und dann versuche ich das umzusetzen. Vielleicht müsste man sogar eher Freunde fragen, die selbst keine Musiker sind?
Vielen Dank für das Gespräch!
19. August 2023, 19.30 Uhr
ORCHESTERKONZERT »MORITZBURG FÜR ALLE«
Kulturpalast Dresden
Carl Maria von Weber: Ouvertüre zur Oper »Oberon«
Max Bruch: Konzert für zwei Klaviere & Orchester as-Moll op. 88a
Antonin Dvořák: Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70
Louis Lortie & Tiffany Poon, Klavier
Moritzburg Festival Orchester
Josep Caballé Domenech, Dirigent
Tickets (35 € | 25 € | 15 €) können hier bestellt werden.