Vom Dresdner Stadtfest war noch bis an die Tore der Lukaskirche ein Grummeln zu hören. Im Inneren dieses akustisch großartigen Raumes breiteten sich erst einmal Stille und dann ein prächtiger barocker Instrumentalklang aus, überwölbt von jungen virtuosen Stimmen.
Selbst der herzliche Beifall der leider sehr sehr wenigen Zuhörer gewann in dieser Akustik an Kraft und Stärke. Er galt einem jungen, unerschrockenen Helden, dem einfachen Hirten David, der Musik und Poesie liebt – bis eine himmlische Stimme ihn, den gewöhnlichen jungen Mann, zum Retter seiner Nation auswählt. Die innere Entscheidung fällt nicht leicht: Vater, Familie und Heimat zu verlassen und dem scheinbar unüberwindlich starken Goliath gegenüberzutreten. David besiegt den Riesen dank seiner Tapferkeit, seiner Geschicklichkeit und seinem tiefen Glauben an die gerechte Sache und wird schließlich zum König von Israel gekrönt. Nachzulesen ist das im Alten Testament, Buch Samuel.
Darüber hat Carl Ditters von Dittersdorf 1771, nach seinem Amtsantritt als Kapellmeister des Fürstbischofs von Breslau, Philipp Gotthard von Schaffgotsch, das Oratorium »Davide nella valle de Terebintho« komponiert. Der Bischof residierte auf Schloss Johannesberg (Jarsky Vrch) in Jauernig (Javornik) und betraute Ditters mit dem Aufbau der Hofmusik. Pater Pintus, ein italienischer Geistlicher, schrieb das Libretto für das neue Oratorium. In seiner Autobiografie, die 1801, kurz nach seinem Tod 1799 erschien, erwähnt Ditters nur den Werktitel und die italienische Sängerin des Davide.
Heute kennen nur noch wenige den Komponisten, der alle klassischen Formen von Oper über Sinfonien, Solokonzerte bis zur Kammermusik bediente. Allenfalls ist das Singspiel »Doktor und Apotheker« (1786) bekannt. Und wir wissen von einem berühmten Quartettabend 1784 in Mozarts Wohnung mit Joseph Haydn (1. Violine), Ditters (2. Violine), Mozart (Viola) und Ditters‘ Schüler Johann Baptist Vanhal (Violoncello). Ditters wurde als Violinist ausgebildet, war als Einundzwanzigjähriger 1761 Mitglied des Wiener Hofopernorchesters und begleitete Christoph Willibald Gluck 1763 auf einer Konzertreise. Nach 1770 blieb er in Schlesien und war Kapellmeister des Herzogs Carl Christian Erdmann von Württemberg-Oels (1716-1792) in Oels (Olesnica). Er galt als ‚Opernkomponist Schlesiens‘ und hat viele Werke an dem für Schlesien historisch wichtigen Ort Johannesberg (seit der Renaissance eine Hochburg der Kultur) und dann in Oels aufgeführt. Viele Partituren aus dieser Tradition werden heute in der Musikabteilung der SLUB aufbewahrt. Offensichtlich hat Glucks Musik Ditters tief beeindruckt, denn das Klangbild des Oratoriums entspricht durchaus dem klassischen Standard jener Zeit, besonders in dramatischen Situationen.
Unter den Händen des temperamentvollen Dirigent Marek Čermák, der die Aufführung vom Cembalo aus leitete, gewann die vielgestaltige Musik eine eindrucksvolle Größe, den wechselnden
Affekten in Arien, Ariosi oder Accompagnati in immer wieder überraschenden Tempowechseln nachspürend. Es bedurfte eines sicheren, vertrauten Zusammenwirkens von Solisten und Orchester, da die halbszenische Aufführung die Solisten vielfach auf Positionen stellte, die vom Dirigenten oft ziemlich entfernt und nicht wie auf der Bühne voll ausgeleuchtet waren.
Der slowenische Regisseur Rocc (Rok Rappl) hatte auf der Website des Görlitzer Vereins Ars Augusta im September 2022 im Projekt »Der schlesische Apollo: Martin Opitz und die Musik« das Bild einer Kirchenruine entdeckt und wollte dort unbedingt ein Projekt veranstalten. Die Fundacja Twoje Dziedzictwo aus Zielonka, Polen, betreut diese ‚Perle von Żeliszów‘ als Erbestiftung. Sie ist eine evangelische Rundkirche, erbaut von Carl Gotthard Langhans, bekannt als Erbauer der nach dem Brand der Knobelsdorff-Oper unter den Linden 1844 wieder errichteten Berliner Hofoper. Am 19. August fand hier die erste der beiden »Davide«-Aufführungen statt.
Rocc hat bisher über sechzig Opern in einer modernen und dennoch klassischen Ästhetik inszeniert und erarbeitet momentan im Bayreuther markgräflichen Opernhaus Mozarts »Clemenza di Tito«. Durch einen Kontakt zu dem Studio Volantes in Olomouc, dessen Vorstand Karel Valenta das dortige Barockfestival leitet und als Hornist das Volantes Orchestra mit Musikern aus Tschechien und Polen gegründet hat, wurde die Projektidee »Davide« geboren. 2021 wurde das Oratorium in Brno aufgeführt, nach einer Partitur, die die Konzertmeisterin Veronika Manová erarbeitet hat.
Das Volantes Orchestra, das „Fliegende, bewegliche Orchester“, macht seinem Namen alle Ehre, da es mit allen Erfordernissen der historisch informierten Aufführungspraxis von Barock bis Frühromatik vertraut ist. 2020 gegründet, ist es das Residenzorchester des seit zehn Jahren existierenden Barockfestivals im böhmischen Olomouc. Ein solch aufwendiges Werk zum Klingen und zum Anschauen zu bringen, bedarf der Kooperation verschiedener Institutionen. Ars Augusta e.V. hat mit dem Verein Kulturni Morava in Olomouc über den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds für tschechisch-sächsische Zusammenarbeit Unterstützung für das Projekt erhalten. Zu den Partnern gehören weiterhin das Studio Volantes, Ars Augusta e.V., Fundacja Twoje Dziedzictwo, Art Revolution und Gaudium Production. Die Produzentin des Projekts war Kateřina Zahradníčková.
Die Aufführungen hat die unermüdliche Eleni Ioannidou, Vorsitzende des Vereins Ars Augusta aus Görlitz vermittelt. Die in Breslau geborene griechisch-polnische Opernsängerin hat für verschiedene Programme verschiedene Ensembles zusammengestellt und ist jeweils für die Auswahl der Künstler und die Koordination der Projekte verantwortlich, die sich alle der Idee der Verständigung im Dreiländereck über kulturelle Projekte verpflichtet fühlen. Ihr verdanken wir unter anderem die Organisation und Realisierung der einzigen Opernaufführung zur Fürstenhochzeit 2019 in Dresden, eine der Festopern von 1719, »Giove in Argo« von Antonio Lotti, die am 22. September 2019 im Palais im Großen Garten stattfand. Außerdem ist Ioannidou Herausgeberin der »10 Lieder aus der Aelbinaischen Musenlust« von Constantin Christian Dedekind auf Texte von Martin Opitz, 1657 (Denkmäler der Tonkunst in Dresden, Nr. 58). Weitere Werke aus dem reichen Fundus der Überlieferung von Carl Ditters von Dittersdorf werden für die nächsten Jahre auf ihre Realisierung überprüft.
Entsprechend dem multinationalen Anspruch wurde ein internationales Ensemble verpflichtet. Der Regisseur hat die Vorlage als aktuelle Geschichte von Entschlossenheit und innerem Mut angesichts der scheinbar unüberwindlichen Gefahren angesichts allgegenwärtiger kriegerischer Auseinandersetzungen inszeniert. »David« ist ein interdisziplinäres Projekt, in dem neben der historischen Aufführungspraxis der Musik auch Schauspiel, Ausdruckstanz und Videoprojektionen (Live-Aufnahmen der Darsteller während der Aufführung) einbezogen werden. Neben dem Chor (Chor: Societas Incognitorum, Chordirigent: Eduard Tomaštík) und dem Sängerensemble mit Doubravka Součková als David, Aco Bišćević als Saul, Helena Hozová als dessen Sohn, Jiří Miroslav Procházka als General und Aneta Petrasová als Eliab, Davids Bruder, agierten vier Tänzerinnen und Tänzer als Inspiration für David: Andrea Miltner (CZ) sowie als treue Begleiter Fides/Glaube: Sanja Nešković Peršin (SVN), Spes/Hoffnung: Alberto Pagani (IT) und Caritas/Liebe: Ivana Percan Kodarin (SVN).
Sehr eindrucksvoll waren die Videoprojektionen des Gesichts von Andrea Miltner, auf der alle Emotionen des Kampfes, der Unentschlossenheit, der Angst und des Sieges ablesbar waren.
Angesichts des großen Ensembles, der Qualität des völlig unbekannten Stückes und der Ausführung hätte man sich ein größeres Interesse gewünscht. Ob es über die wenigen Plakate hinaus eine Werbung seitens der Lukaskirche gegeben hat, lässt sich nicht sagen. Aber wie wäre es gewesen, wenn beispielsweise die Mitarbeiter des Landeskirchenamtes von nebenan die Aufführung besucht hätten?