Mit Interesse – und vielleicht etwas Neid – schaut das musikalische Dresden gerade nach Berlin, wo Joana Mallwitz gerade stürmisch als neue Chefin des Konzerthausorchesters begrüßt wird. In Dresden heißen die Philharmoniker zum Spielzeitauftakt mit Kahchun Wong nun erst einmal ihren neu designierten Ersten Gastdirigenten willkommen, bevor Intendantin Frauke Roth später in der Saison auch den Namen des neuen Chefs bekanntgeben will.
Die Neu-Berlinerin Malwitz und der aus Singapur stammende Dirigent sind nicht nur zufällig ein Jahrgang, sondern haben auch beide ihre internationale Karriere in Nürnberg gestartet. Sie als Generalmusikdirektorin der Oper, er als Chef der Nürnberger Symphoniker. Beiden eilt der Ruf ihrer Begabung voraus. Der Neid bezieht sich also nicht auf die Person, sondern auf die institutionellen Umstände. Denn: Das Konzerthaus listet in dieser Spielzeit nicht weniger als 36 (!) Veranstaltungen mit seiner neuen Chefin auf, darunter viele neue Konzertformate und innovative Programmfolgen. In Dresden ist Wong bei den Philharmonikern mit nur drei Programmen dennoch der fixe Punkt der gerade beginnenden Saison. Bei der Philharmonie geben sich in den kommenden Monaten erst einmal die jungen, nicht mehr ganz so geheimen Geheimtipps der Klassikwelt die Klinke in die Hand. Das Dresdner Publikum bekommt so die seltene Gelegenheit, eine neue Generation von Dirigenten und glücklicherweise auch immer mehr Dirigentinnen hautnah zu erleben.
Zum Auftakt mit Kahchun Wong knistert es ein wenig, hier und da zaubert er auch. Im Ganzen gelingt ihm ein grundsolider Einstand. Das Konzert beginnt mit einem Auftragswerk von Narong Prangchon, einem von Wong geschätzten thailändischen Komponisten. Das vornehmlich tonale und stark durchrhythmisierte Werk »Reflection of Shadow« lässt gerade in seiner Orchesterbehandlung immer wieder an Strauss denken, dessen Tondichtung nach der Pause auf dem Programm steht. »Also sprach Zarathustra« gelingt Wong vor allem in dessen Ländler-Reminiszenzen. Mit faustdicker Ironie arbeitet er die Süße eines Wiener Schmähs heraus, ohne ins Kitschige abzugleiten. Man versteht sofort, warum er 2016 als Karriereauftakt den Gustav Mahler Competition geradezu gewinnen musste. Mit Strauss geht er klug um, erlaubt den Philharmonikern solistisch immer wieder hervorzutreten, meistert auch die Tücken des Saales bei den oberen Dezibelzahlen. Und doch fehlt seinem Zarathustra trotz großartiger Momente eine überzeugende Gesamtdeutung.
So richtig nah kam man sich an diesem Abend bei Elgars Cellokonzert. Mit Gautier Capuçon gab der diesjährige Artist in Residence als Solist seinen erstaunlichen Einstand. Sein französisch geprägter, vor allem in der Höhe leicht nasaler Celloton gewinnt dem Konzert in E-Moll einen überraschend nachdenklich emotionalen Ton ab. Gerne als Publikumsliebling programmiert, klingt Elgar bei Capuçon weder süßlich pathetisch noch nostalgisch melancholisch. Vielmehr arbeiten Wong und Capuçon Hand in Hand, jenseits des gewohnt spätromantischen Tons, an einem farbenreichen Klangexperiment. Sie lassen Elgar französisch impressionistisch flirren und schillern. Dabei verblüfft, wie nuancenreich Orchester und Solist aufeinander eingehen, sich ans Idiom des jeweils anderen anpassen. Die Philharmoniker, besonders die Streicher, klingen betörend ungewohnt: als wäre ein britischer Badegast auf Frankreichurlaub…