Zum 475jährigen Bestehen der Sächsischen Staatskapelle gabs eine ganze Festwoche, zum 80. Geburtstag des Dresdner Schlagzeugers Günter Baby Sommer ein dreitägiges Sommerfest.
Dresden feiert und hat allen Grund dazu! Die Sächsische Staatskapelle blickt auf ihre 475 Jahre zurückliegende Gründung zurück und hat dies mit einer kompletten Festwoche zelebriert. Im festlich ausgeleuchteten Konzertzimmer der Semperoper gab es das schon traditionelle Sonderkonzert am Gründungstag, während zeitgleich auf der Bühne Semper Zwei der 80. Geburtstag von Schlagzeug-Legende Günter Baby Sommer begangen worden ist. So launisch wie passend der Titel dieser an drei aufeinanderfolgenden Abenden ausgerichteten Party: »Sommerfest! – Unser Baby wird 80!«
Ein Sommer-Fest, das Thomas Brückner eloquent moderierte, während nebenan in der Semperoper Hobbyhistoriker Michael Kretschmer (ebenjener, der gemeinsam mit seiner dem Sachsen-Tourismus verpflichteten Ministerin maßgeblich den nun baldigen Abschied von Chefdirigent Christian Thielemann vorantrieb) warm gestelzte Worte fand. Der Dirigent revanchierte sich mit einer frei gehaltenen Replik, die von den nach Athen getragenen Eulen in Sachen Orchesterklang bis hin zu einer gezielt „an alle Verantwortlichen“ adressierten Forderung reichte: „Behandelt mir das Orchester so, wie ihr die Meissner Porzellanmanufaktur behandelt und eure Kunstsammlungen!“
Während die Kapelle Kompositionen ihrer Hausgötter Weber, Wagner und Strauss nach Noten spielte, galt es auf Semper Zwei der hohen Kunst des Improvisierens. Die Autorin Nora Gomringer eröffnete den Sommer-Abend mit anspielungsreichen Texten in mitreißend humoriger Diktion. Ihre Zusammenarbeit mit Baby Sommer, der bereits vor vielen Jahren als wundersamer Blechtrommler mit Günter Grass ausgewählte Literatur rhythmisierte, was später mit Christa Wolf, Christoph Hein und nicht zuletzt mit Volker Braun fortgesetzt wurde, fügte eine ganz besondere Nuance in dessen vielfältigem, über Genregrenzen hinweg betriebenem Schaffen ein.
Diese Freiheit in Worten und Klängen bot den willkommenen Auftakt zur Freejazz-Performance des String Trio um die Sängerin Xu Fengxia, die Geigerin Gunda Gottschalk und den Pianisten Fabrizio Puglisi. Krönender Abschluss dieses ersten Abendprogramms war ein Konzert von Baby Sommer’s Brother & Sisterhood of Breath, nur eines von so vielen Projekten des energiegeladenen Jubilars, der mit nie nachlassender Spielfreude auch dieses Ensemble in Takt hielt. Widerständiger Jazz in Reinkultur, er gipfelte in einer nachdenklich stimmenden Interpretation des 1917 entstandenen Dada-Gedichtes »Karawane«. Was würde dessen Autor Hugo Ball wohl heute zu einer Welt sagen, die sich ungestraft mit verlogenen Wortungetümen wie »Spezialoperation« und »Sondervermögen« besudeln lassen muss?
Und wie hätte Liedermacher Wolf Biermann wohl mit seinem Biss von vor dreißig, vierzig Jahren auf derartige Rückschrittsgeschichte der Menschheit reagiert? Am zweiten Abend des Sommer-Jubels, betrieb der in Ehren gealterte Weggefährte des Musikers ein Stück eigener Denkmalpflege, erinnerte an Berufsverbot und frühe Begegnungen mit dem Jazzer, die im Rücken von Stasi-Tölpeln zu legendären Schallplattenaufnahmen geführt haben.
Nach einer trefflichen Auswahl seiner Lieder, die der inzwischen 86jährige Biermann immer noch fingerfertig zur Gitarre vortrug, führten drei Klarinetten einmal mehr ins musikalisch Freie. Clarinet Summit (Julius Gawlik, Joris Roelofs und Gianluigi Trovesi) sorgte als energetisches Gebläse für weit offene Augen und Ohren und bereitete damit quasi den Boden für die nächste Stufe der Energiebilanz: Als Formation Günter Baby Sommer & die Brüder Lucaciu agierte das Trommelwunder gemeinsam mit Antonio (Saxofon), Simon (Klavier) und Robert Lucaciu (Kontrabass) geradezu als Gleicher unter Gleichen. Dabei bringt er allein fast ebenso viele Jahre zur Geltung wie das brüderliche Trio. Das musikalische Miteinander jedoch macht jedes Lebensalter wieder wett.
Da dieses durch diverse Partner unterstützte Sommer-Fest eine Kooperation von Semper Zwei (der Austragungsstätte des »Fenster aus Jazz«) und Dresdens Jazzclub Tonne (vielleicht der eigentlichen Heimat Günter Baby Sommers) gewesen ist, fand der dritte Feier-Abend in diesen historischen Kellerräumen statt. Mit einem verbalen Trommelwirbel würdigte Jazzexperte Bert Noglik den Jubilar in wohlgesetzten Worten, nachdem er bereits an einer nachmittäglichen Podiumsdiskussion zum »Künstlerischen und kulturpolitischen Stellenwert von Jazz und freier Improvisation in der alten DDR und der heutigen Bundesrepublik« teilgenommen hatte. Diese knappe Stunde war für eine umfassende »Positionsbestimmung«, so der Anspruch, deutlich zu kurz und unterschlug zudem den Jazz der »alten« Bundesrepublik. (Was aber gar nichts war im Vergleich zur unsäglichen Filmdokumentation »Jazzfieber« von Reinhard Kungel und Andreas Heinrich, in der es vor allem um einst massentauglich unterhaltsame Swing-Legenden à la Hugo Strasser, Max Greger und Paul Kuhn ging, deren Anspruch laut Untertitel aber »The Story of German Jazz« gewesen ist!).
Zurück nach Dresden und zu Günter Baby Sommer, der in seiner bis jetzt 65(!)jährigen Bühnenlaufbahn tatsächlich deutschen und europäischen Jazz mitprägen konnte. Wo und mit wem hat er nicht alles musiziert, seine ungebrochene Vitalität und die offenbar nie versiegende Ideenfülle eingebracht! Davon wurde auch zum krönenden Finale dieses Sommerfests Zeugnis abgelegt – in einer All Star Band mit Till Brönner (Trompete), Nils Wogram (Posaune), Daniel Erdmann (Saxofon) und Robert Lucaciu (Bass). Hinreißend, mitreißend, nahezu umwerfend!
Pünktlich zum 80. Geburtstag des Musikers erschien im Radebeuler Notschriften-Verlag der Bild- und Textband »Günter Baby Sommer – Ein Leben für den Jazz«.