Zwei Stipendiatinnen in Graupa – ein szenisches Konzert mit ukrainischen Stimmen
Nachrichten aus der Ukraine stimmen traurig. Denn sie künden von Krieg, von Verbrechen und Leid. Sie berichten über das Grauen, das seit dem kriegerischen Überfall russischen Militärs, Wladimir Putins sogenannter Spezialoperation, im Land herrscht. Aber wie klingt die Ukraine selbst? Welche Töne, welche Musik, neben Schmerz, Wut und Trauer vielleicht sogar Zuversicht und Lebensfreude sind in der Ukraine zu hören?
All diesen Fragen widmete sich am zweiten Oktober-Sonntag ein Konzert der Sächsischen Akademie der Künste in einem Saal der Dresdner Musikhochschule. Eine Performance mit selbstbewusstem Titel: »So klingt mein Zuhause« / »This is what my home sounds like«. Die Ukraine ist ihr Zuhause, auch wenn die junge Dramaturgin und Regisseurin Maryna Ryzhova in den vergangenen Monaten dank des Artist-in-Residence-Programms von der Sächsischen Akademie der Künste und den Richard-Wagner-Stätten Graupa im sogenannten Lohengrin-Haus leben durfte.
»Das ist ein sehr eigenartiges Gefühl«, sagt sie, »in einem Museum zu leben. Das ist wie im Film. Ich habe die Gegend sehr geliebt, denn die Natur dort ist so ähnlich wie in der Ukraine. Das ist wie zu Hause, wenn man aus dem Fenster schaut und auf die Felder blickt, ganz heimisch.«
Maryna Ryzhova ist die zweite Stipendiatin dieses spontan kreierten Programms, mit dem ukrainische Künstlerinnen und Künstler unterstützt werden sollen. Ihre Vorgängerin war die Dirigentin Nataliia Stets, die nun die musikalische Leitung des gemeinsamen Projekts innegehabt hat.
»Ich bin sehr froh, Teil dieses Projektes zu sein. Maryna hat mich eingeladen, es zu dirigieren. Wir arbeiten schon lange zusammen, nun sind wir gemeinsam in Dresden, um an Stücken junger ukrainischer Komponisten zu arbeiten. Das ist für mich ein großes Vergnügen, wieder hier zu sein und an diesem kreativen Vorhaben beteiligt zu sein.«
Dieses kreative Vorhaben, von dem Nataliia Stets spricht, ist ein Konzert mit Musik von sieben Komponisten gewesen, die entweder in der Ukraine geboren wurden oder ukrainische Eltern haben. Maryna Ryzhova verfasste eine Reihe von Texte über die Situation in ihrer Heimat, die zwischen den einzelnen Stücken vorgetragen worden sind. »Das ganze Leben passt jetzt in einen Koffer«, hieß es da, man sei ständig unterwegs und müsse fluchtbereit sein. Aber nie ohne die Zuversicht: »Mein Zuhause klingt nach Sieg.«
Das szenisch-musikalische Projekt sollte eine Reaktion auf den Krieg sein, wurde betont, keine Illustration dieses Krieges. Die ausführenden Musikerinnen und Musiker haben dennoch über ihre Erfahrungen berichtet, einige sind direkt aus der Ukraine angereist und haben zu erklären versucht, wie sich dort jetzt alles entwickelt hat, wie das Leben am Theater derzeit funktioniert. Man wolle dem Krieg auch mit Kunst und Kultur die Stirn bieten.
»Zuhause klingt nach Sieg«
Maryna Ryzhova blickt freilich viel lieber nach vorn: »Ich denke, es ist sehr wichtig, unser derzeitiges Leben in der Ukraine zu erklären. Denn da geht es nicht nur um den Krieg, wir haben auch unser Leben, wir haben Projekte und wir haben Pläne für die Zukunft.«
Es klingt also durchaus vielfältig, das Zuhause von Nataliia Stets und Maryna Ryzhova, auch wenn die aktuellen Nachrichten sich vorrangig auf den Krieg beziehen. In erster Linie aber klingt alles, was sie gemeinsam mit den Interpreten zum Klingen gebracht haben, nach einem vehementen Überlebens- und Siegeswillen. Der hat sich auch in der Musik gezeigt, die von den jungen Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine zu hören gewesen ist. Da gab es ein Stück von Dmytro Pashynskyi, dessen Klarinetten-Solo den freien Flug eines Vogels beschrieb, ganz simpel von einer friedensweißen Feder umtanzt. In verschiedensten Besetzungen wurde musiziert, gesungen, kamen szenische Arrangements zur Geltung.
Im Zentrum stand die dreiteilige »Sonate für Ensemble« von Mykhailo Chedryk, von Nataliia Stets mit großer Umsicht dirigiert und gegen Schluss auch betrommelt. Ein Werk, das Widerstand in Sprache und Kultur manifestiert, ebenso jedoch auch Verzweiflung anklingen lässt.
Als Fragment einer Oper mit dem Kurztitel »E« sang Nataliia Chepchenko (Ensemblemitglied der Oper Kyiv) mit stimmgewaltiger Wirkmacht »Memory Nr.4 – Church« von Karel Vik. »Dieses Lied bringt Schmerzen« hieß es zu Taras Zdaniuks mit beziehungsreichen Videos versehenem Stück »07:12. Der Erste Fliegeralarm«.
Während des von keinerlei Beifall unterbrochenen Konzertes, das mit größter Spannung verfolgt und abschließend mit enormer Zustimmung gefeiert worden ist, dürften sich alle Menschen im Saal ihre Gedanken gemacht haben, was vielleicht zeitgleich in der Ukraine geschehen mag. »Kunst ist, wenn zu Hause Explosionen erklingen«; ein erschütternder Satz, der umgehend wieder aufgefangen wurde durch die Aussage, die Ukraine im Herzen zu haben.