Musikwissenschaftler Jörn Peter Hiekel schrieb „Buch des Jahres“ – und bekommt ein Geburtstagskonzert.
Manchmal kann einem diese zeitgenössische Musik schon ganz schöne Brocken hinlegen. Natürlich ist das beste Rezept immer das unvoreingenommene Hören, aber wenn der Komponist Helmut Lachenmann schon im dritten Takt eines Stückes einem durch die Blume sagt, na, hör doch nochmal genauer hin, dann ist klar, dass die Beschäftigung mit seiner Musik einen größeren Umfang haben darf, und er diesen in gewisser Weise auch freundlich einfordert. Insofern ist man hier glücklich, wenn man aus kundiger Hand ein „Mehr“ in Worten erhält.
In Buchform liegen diese Betrachtungen nun mit „Helmut Lachenmann und seine Zeit“ von Jörn Peter Hiekel vor. Hiekel ist nicht nur ein jahrzehntelanger Begleiter der Musik von Helmut Lachenmann , sondern auch ein des Wortes mächtiger Gesprächspartner in dieser Hinsicht, was manchmal bei dieser Musik, die aus vielen Richtungen kommt und in ebensoviele strebt, gar nicht so einfach ist. „Lachenmanns Werke haben etwas Verlockendes, Inspirierendes, zum Denken Anregendes. Das sind Qualitäten, die auf die jahrhundertealte Musiktradition verweisen und sie fortsetzen. In dem Buch versuche ich neben Lachenmanns oft gespielten Werken gerade auch solche historischen Bezüge zu erläutern“, so Hiekel. Dass der 547 Seiten umfassende Band von der Kritikerrunde der Zeitschrift Opernwelt gerade die Auszeichnung „Buch des Jahres“ bekam, darf natürlich als Einschätzung der Fachwelt für eine Fachwelt nicht überbewertet werden, und doch: „Es freut mich, dass meine Monographie „Helmut Lachenmann und seine Zeit“ durch die Auszeichnung eine Resonanz erhält, die über enge Fachkreise hinausreicht – vor allem, weil die Musik von Lachenmann diese Resonanz verdient“, so Hiekel, der an der Hochschule für Musik Professor für Musikwissenschaft und zugleich Leiter des Instituts für Neue Musik ist.
Warum also nicht gleich dieses Buch, von dessen Titel Lachenmann selbst freundlich-gewiss lächelt, dieses Jahr mit auf den weihnachtlichen Gabentisch legen? Sein Orchesterstück „Marche fatale“ würde sogar Opa Hoppenstedt begeistern! Der Vergleich sei mir gleich doppelt verziehen, denn zum einen ist heute Vicco von Bülows 100. Geburtstag, zum anderen ließe sich über das Marsch-Idiom bei Lachenmann gleich die nächste Studie verfassen (und selbstverständlich Hiekel dafür heranziehen).
Wenn sich dann mit dem Buch und unbedingt hinzuziehbaren Aufnahmen – im Buch werden 17 Schlüsselwerke eingehend besprochen – der erste Lachenmann-Genuss eingestellt hat, gilt es natürlich baldmöglichst einer Aufführung beizuwohnen. Die nächste Gelegenheit (mehr Termine listet die Verlagsseite von Breitkopf & Härtel auf) dazu bietet sich in Dresden, wo Lachenmann seit 2010 Ehrendoktor an der HfM Dresden und regelmäßig für Workshops, Einstudierungen und Gespräche zu Gast ist, am Donnerstag, den 16. November mit „Pression“ für Violoncello Solo. Bei der Aufführung (oder besser danach) kann man dem Autor des Buches zudem herzlich gratulieren, es handelt sich nämlich um das Geburtstagskonzert zum 60. für Jörn Peter Hiekel. Ob Lachenmann selbst anwesend sein wird, war bei Redaktionsschluss noch nicht zu erfahren, die Gratulation der kompletten Musik-in-Dresden-Mannschaft ist Hiekel aber gewiss! Und jetzt lese ich weiter.