Am Staatsschauspiel Dresden wird wieder getanzt und gesungen – Laura Linnenbaum hat einen »Piaf«-Abend inszeniert
Wer gute Stimmen hören will, besucht die Semperoper. Wer eine tolle Show liebt, wählt die Staatsoperette. Wer beides zusammen bevorzugt, sollte ins Theater gehen. Das Staatsschauspiel Dresden hat jetzt einen »Piaf«-Abend auf die Bühne gebracht, der bemerkenswerte Gesangskunst mit einer ebenso mitreißenden wie berührenden Performance verbindet.
Regisseurin Laura Linnenbaum wollte sich Mythos, Rausch und Wirklichkeit der vor fünfzig Jahren verstorbenen Sängerin Édith Piaf zuwenden. Großes Publikumsinteresse war ihr bei der ausverkauften Premiere und vielversprechendem Vorverkauf für die Folgevorstellungen sicher. Schließlich sind die Chansons der Piaf, genannt der Spatz von Paris (a môme piaf), nicht weniger emotional als deren tatsächliche Vita. Ein Leben voller Schmerz und Entsagung, gespickt mit biografischen Höhepunkten und Tiefen, mit sensationellen Erfolgen und Abstürzen. Die kleine Frau mit der großen Stimme ist nur 47 Jahre alt geworden.
Spätestens nach Olivier Dahans gelungenem Spielfilm »La vie en rose« von 2007 ist eine inszenierte Annäherung an Leben und Werk der Piaf zu einem gewaltigen Risiko geworden. Versuche gibt es nichts desto trotz immer wieder, sowieso im Gesang als auch im Theater. Der Laura-Linnenbaum-Abend am Dresdner Staatsschauspiel wagt diese Herausforderung erstaunlich couragiert – und gewinnt auf ganzer Linie.
Das liegt am konsequenten Ansatz, eine Collage aus dem Leben dieser Frau zu zeigen und es nicht strikt biografisch nachzeichnen zu wollen. Die sehr aktiv genutzte Drehbühne (Bettina Meyer) öffnet mal intimen Einblick in die Abgründe der kranken, verzweifelten Diseuse, gibt mal den Blick frei auf die Welt bedeutenden Bretter und mal den ins (stark verrauchte) Künstlerdasein. Die Kostüme von David Gonter zeichnen die Phalanx von Divenhaftigkeit bis ins nahezu Nackte und charakterisieren so ebenfalls den Spagat eines unberechenbar waghalsigen Lebens. Vor allem aber sind es die von Laura Linnebaum gekonnt eingesetzten fünf Sänger-Darstellerinnen, denen das enorme Spektrum dieser Karriere abzubilden gelingt.
Allen voran Betty Freudenberg als ältere, gezeichnete Piaf, die den »permanenten Flirt mit dem Tod«, wie es heißt, in großer Bandbreite auskostet. Wenn sie kurz vor Schluss eher hinhaucht denn zelebriert, »ich bin doch nur eine verwirrte Marionette«, steckt der gesamte Glanz und aller Unrat dieses Lebens in ihrem Ausdruck. Nicht minder überraschend ihre Gesangskunst in den für diese Produktion ausgewählten Chansons, bis sie zum Schluss – rein dramaturgisch kein grandioses Finale, emotional jedoch umso packender und realer – geradezu still und von lebenslanger Verausgabung gezeichnet die Bühne verlässt. Die Handreichung eines kleinen, ganz in jenseitigem Weiß gekleideten Mädchens.
Dieser Abgang macht die Energetik dieses Abends nicht vergessen, sondern setzt einen nachhaltigen Kontrast. Denn was Henriette Hölzel bis dahin an Tanz und Gesang zelebriert, an Raserei und Liebessehnsucht, ist so waghalsig wie ergreifend. Und auch die Herren Jannik Hinsch, David Kosel sowie Raiko Küster als drei weitere Piaf-Farbgebungen setzen sich hingebungsvoll ein, sogar akrobatisch, wenn auch vokal differenziert.
Adäquat unterstützt wurde dieser gut zweistündige und vom Premierenpublikum heftig bejubelte Abend von einem Ensemble um den Pianisten Christoph Iacono und den Akkordeonisten Ruslan Kratschkowski. Den Kopf voller Ohrwürmer und die Gedanken an eine Ausnahmesängerin, die sich nach Liebe verzehrt hat und unter Einsamkeit litt, durfte man dankbar für diese Neuproduktion sein. »Ein schreckliches Leben, aber herrlich!«
Wieder am 30.11., 9.12., 25.12., 8.1., 17.1., 1.2., 18.2., 5.3., 22.3., 23.5.
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