Ein kalter Sonntagnachmittag vor der Oper. Zehntausende haben sich versammelt, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren, wild und laut. Warum ich denn jetzt schon gehe, werde ich gefragt. Oper, Wagner, Thielemann! Aha.
Wenige Minuten später in einer Bar vor der Oper. Es ist leise, schwarz-weiß, ernst und riecht abgestanden. Ein Opernfan, aus Berlin angereist, erhebt sich und sieht aufgrund seiner stattlichen Größe die Demonstration über den Rand der Milchglasscheibe. „Verzeihen Sie, ist das da draußen Pegida?“ Nein, eine Demo gegen Rassismus. „Was steht da auf dem Plakat?“ OMAS GEGEN RECHTS. Einwurf vom Nachbartisch: „Nichts für meine Oma!“
Damit ist alles gesagt über Berlins und Dresdens Echokammern. Und es ist auch mehr erzählt als in den kommenden fünf Stunden passieren wird. »Tristan und Isolde« nimmt in der Opernliteratur in dem Verhältnis von gesungenen Stunden zu Bühnenhandlung einen einsamen ersten Platz ein. Wie eine Autofahrt von Dresden nach Berlin ist die Oper immer mindestens eine halbe Stunde zu lang. Die Geschichte ist nämlich schnell erzählt: Der junge Ritter Tristan soll dem König Marke Isolde als Braut zuführen. Isolde versucht dies durch einen Mord an Tristan und sich selbst zu verhindern. Durch eine Verkettung von Missverständnissen trinken beide einen Liebestrank anstatt ein Gift. Was folgt, ist ein vierstündiger Liebes- und Drogenrausch mit blutigem Ende.
Unpassender könnte ein Stoff für eine Oper nicht sein. Und doch gelang hier Wagner ein kompositorischer Geniestreich, ein fünfstündiger orchestraler Coitus interruptus und ganz nebenbei mit ‚dem Akkord‘ auch noch der erste Schritt in die Atonalität.
Für 45 Euro gibt es an diesem Abend noch Stehplätze. Der Thielemann-Zuschlag hat den vierten Rang erreicht. Doch bereits nach den ersten zwei Takten ist klar – es hätte sich auch für das Dreifache gelohnt. Christian Thielemann und die Staatskapelle schweben durch diesen Abend filigran, grazil, kammermusikalisch und umhüllend. Das Blech der Staatskapelle umarmt die Zuhörer mit einer Wärme, wie es sie nur in Dresden gibt. Dieser Klang entrückt von allem Irdischen. Das Publikum tat gut daran, die Augen während der Vorstellung fest geschlossen zu halten um sich von Marco Arturo Marellis knapp dreißig Jahre alten und leider schlecht gealterten Inszenierung nicht ablenken zu lassen.
Klaus Florian Vogts Rollendebüt als Tristan – seine letzte große Wagner-Hürde – ist geglückt. Mit seiner gewohnt markanten Stimme fand er den Weg vom stolzen überheblichen Ritter über den flammend liebenden Mann zur gebrochenen, gefallenen Trauerfigur. Überhaupt konnte das Gefühl entstehen, dass er in diesen fünf Stunden eine Wandlung von Stolzing über Tannhäuser zum Amfortas durchmachte. Die Staatskapelle trug ihn auf Händen und half ihm zu absoluter Textverständlichkeit. An seiner Seite als Isolde Camilla Nylund, die diese unsingbare Partie mit einer beneidenswerten Leichtigkeit meisterte. Auch die als Brangäne eingesprungene Tanja Baumgartner war ein Gewinn und keine Notlösung. Georg Zeppenfeld als König Marke adelt einen jeden noch so schlechten Tristan mit schönen Momenten; hier sorgte er für für eine Bravo-Eskalation beim Applaus.
Viel Rausch durchzog die fünf Stunden, die an keiner Stelle langweilig und keine Sekunde zu lang waren. Etwas enttäuschend nur, dass diese Sternstunde nicht als Aufnahme vorliegt. Sie könnte der sagenumwobenen Carlos-Kleiber-Aufnahme aus der Lukaskirche den Status als Referenz streitig machen.