Das Hong Kong Philharmonic Orchestra sollte auf den anstehenden Jahrgang der Dresdner Musikfestspiele einstimmen. Unter Jaap van Zweden gab es ein mehrfaches Dresden-Debüt.
Womöglich werden sie ja bald ganzjährig stattfinden: Die Dresdner Musikfestspiele bieten jede Menge Vor- und Sonderkonzerte, um die eigentliche Festspielzeit merkantil aufzuheizen, sodass die Zeiten davor und danach schon bald kaum mehr voneinander zu trennen sind. Merke: Nach den Festspielen ist vor den Festspielen!
Das Sonderkonzert am 24. Februar bot ein klangvolles Beispiel für diese Omnipräsenz. Nicht ohne Hintersinn. War doch just dieses Datum 2022 mit dem mörderischen Überfall von Putins Militärapparat auf die einer europäischen Freiheit zustrebenden Ukraine verbunden! Genau zwei Jahre danach wurde in vielen Städten daran erinnert, auch und vor allem in Deutschland. Doch die Elbtaler beließen es mal wieder mit der traditionellen Nabelschau des 13. Februar und zelebrierten – unglaublich! – just in der Nacht zum 24. Februar einen Opernball. Mit krachendem Feuerwerk, natürlich, denn ohne krachendes Feuerwerk geht in Dresden ja beinahe gar nichts.
Menschenmengen vor und in der Semperoper, peinlichste Versuche, das Ganze flott zu moderieren; da war also mal wieder gewaltiges Fremdschämen angesagt. Fortgesetzt wurde es gleich am Sonntag danach, verbunden mit einem Ortswechsel ins Schauspielhaus. Dort sprach zum Auftakt der diesjährigen Dresdner Reden die Politikwissenschaftlerin Sarah Pagung über das Thema »Russlands Krieg und Europas Verantwortung«. Eine klug analysierende Rede, vielleicht ein klein wenig zu langatmig, auf jeden Fall aber mit deutlicher Positionierung. Das hat nicht allen im Saal gefallen, und schon wurde geblökt. Infantil war das nicht, sondern nur peinlich tief unter jedweder geistigen Gürtellinie. Schnauz-Rufe mal hin und mal her, als hätten sich die Brüller vorab schon verständigt, die Matinee niveaulos zu stören. Sarah Pagung blieb souverän und gelassen. Fremdschämen blieb uns auch hier nicht erspart.
Doch zurück zu den Musikfestspielen und dem Gastspiel des Hong Kong Philharmonic Orchestra. Der seit 1957 unter diesem Namen firmierende Klangkörper, zehn Jahre zuvor als Amateurorchester ins Leben gerufen, soll tatsächlich noch nie zuvor in Dresden gewesen sein! Ebensowenig sein aktueller Chefdirigent Jaap van Zweden. Dafür hatten sie nun gleich eine Europäische Erstaufführung im Reisegepäck. Das rund sechs Minuten kurze Orchesterstück »Asterismal Dance«, uraufgeführt erst wenige Tage zuvor in der Hong Kong Cultural Centre Concert Hall, verriet viel über die Liebe des 1986 geborenen Komponisten Daniel Lo Ting-cheung zum großen Meister Leonard Bernstein. Prasselndes Schlagwerk gesellte sich da zu flirrenden Streicher- und druckvollen Bläsersounds. Astral große Opulenz steckt in diesem Opus, dem es dann aber wohl doch an kosmischer Vollendungskraft mangelte, denn sonst hätte der darin erhobene Anspruch zumindest ein Stundenwerk erfordert.
Einem Großgeist wie Ludwig van Beethoven genügte die Hälfte dieser Zeit, um sein 4. Klavierkonzert mit anhaltend geltender Größe zu würzen. Spannungsbögen voller Innerlichkeit, gepaart mit hoher Virtuosität sowohl in den Instrumentengruppen als auch beim Solisten – hier der famose junge französische Pianist Alexandre Kantorow -, um zum Schluss fast schon die Tür zur Romantik aufzustoßen; all das kam vor mehr als zweihundert Jahren schon ähnlich gut an wie heute.
Dmitri Schostakowitsch hatte mit seiner 9. Sinfonie anfangs nicht ganz so viel Glück. Einerseits schwebte seit Beethoven der Ruch der »Neunten« über jedwedem sinfonischem Schaffen (spätestens seit Hans Werner Henze ist dieser Nimbus endlich gebrochen), andererseits und vor allem lastete eine stalinistisch unverständige Erwartungshaltung über diesem 1945 vollendeten Werk. Ein triumphaler Siegeshymnus hätte anders geklungen, wäre ausgedehnter gewesen und hätte nicht so voller Anspielungen stecken müssen. Van Zweden ließ es sich nicht nehmen, die Sinfonie als Solistenkonzert zu gestalten, betörende Fagott-Soli ebenso zu aufblühender Entfaltung bringen zu lassen wie trompetetes Schmettern, um nur diese zwei Beispiele zu nennen. Im Tutti-Sound kommt Schostakowitschs Harlekinade prächtig zum Glänzen, ein Demaskieren aller tumben Militärmarsch-Seligkeit.