Die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch werden in diesem Juni zum 15. Mal stattfinden. Kann es da überhaupt noch eine Uraufführung geben?
Tatsächlich – die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch werden in diesem Jahr schon zum 15. Mal stattfinden. 2010 wurden sie ins Leben gerufen, fünfzig Jahre nach dem ersten Besuch des Komponisten in diesem Kurort in der Sächsischen Schweiz. Dass er damals binnen dreier Tage sein 8. Streichquartett c-Moll op. 110 komponiert hat, war Anlass zur Gründung dieses Festivals – bis heute ist es das einzige weltweit, das sich dezidiert mit der Musik von Dmitri Schostakowitsch befasst. Sieben Konzerte und eine Filmvorführung stehen für Ende Juni 2024 auf dem Programm, das gestern zum Vorverkaufsstart präsentiert worden ist.
Hingewiesen wurde bei der Gelegenheit natürlich auch auf das inzwischen schon traditionellen Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle am Vorabend des Festivals, diesmal also am 26. Juni im Konzertsaal des Dresdner Kulturpalasts. Unter der musikalischen Leitung von Tugan Sokhiev wird dort mit Schostakowitschs 7. Sinfonie, der sogenannten »Leningrader«, ein aktuell gebliebener und wieder furchtbar brisant gewordener Appell gegen die Unmenschlichkeit und den Wahnsinn jeglicher Kriege erklingen. Komponiert wurde dieses nach wie vor unter die Haut gehende Werk bekanntlich unter dem Eindruck der brutalen Belagerung von Schostakowitschs Heimatstadt durch die deutsche Wehrmacht. Während dieser fast 900 Tage währenden Blockade starben mehr als eine Million Menschen an Hunger, Tausende weitere kamen bei Gefechten ums Leben.
Sowohl Tobias Niederschlag, Initiator und Künstlerischer Leiter der Schostakowitsch-Tage, als auch Friedwart Christian Dittmann vom Orchestervorstand der Staatskapelle, die von Anfang an eine Patenschaft mit dem Festival verbindet, haben einmal mehr den Bezug von Schostakowitschs Werk zum Zeitgeschehen hergestellt. „Wenn man die Biografie Schostakowitschs anschaut und die Hintergründe vieler seiner Werke kennt“, so Tobias Niederschlag, „muss ich denken, dass es doch erschreckend ist, wie die Dinge sich ähneln und wie viele Parallelen es gibt.“ Umso wichtiger sei es, das musikalische Werk von Dmitri Schostakowitsch auch und gerade in diesem Kontext aufzuführen. Dennoch weist er darauf hin, „dass diese Musik wieder so aktuell sein wird, hätte man vor zwei Jahren wahrscheinlich gar nicht absehen können.“
Ähnlich sieht es der Cellist Friedwart Christian Dittmann: „Wir erleben aber auch, wie sehr die in der heutigen Zeit brandaktuell gebliebene Botschaft, die diese Musik ausstrahlt, uns hilft, künstlerisch damit umzugehen.“ Er sei allerdings sehr froh, mit dem Schostakowitsch-Festival ein Kleinod zu haben, das auf allerhöchste künstlerische Ansprüche trifft und das Werk eines so bedeutenden Komponisten nachhaltig pflegt. Die Patenschaft des Orchesters mit den Schostakowitsch-Tagen solle unbedingt fortgesetzt werden, ebenso wie das Interesse zahlloser weiterer Künstlerinnen und Künstler ungebrochen sei, lediglich für ein sogenanntes Frackgeld, also ohne Gage nach Gohrisch zu kommen.
Tobias Niederschlag freut sich insbesondere über die Zusage von Bariton Matthias Goerne, der erstmals beim Festival gastiert. Gemeinsam mit dem Pianisten Alexander Schmalcz wird er neben ausgewählten Liedern von Gustav Mahler, in dessen Musik Schostakowitsch stets bedeutende Anregungen sah, auch zwei Werke des Namensgebers aufführen. So erklingt dessen Suite op. 145 nach Gedichten von Michelangelo Buonarroti und zudem eine von Schostakowitsch nachgelassene Romanze auf ein Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko, mithin eine weitere Uraufführung in der Geschichte des Gohrischer Festivals. Bei diesem Fundstück musste es allerdings eine Vervollständigung geben, die wurde von Alexander Raskatov realisiert, der im anstehenden Jahrgang neben Modest Mussorgsky einen Bezugspunkt setzen zur Musik Schostakowitschs setzen wird.
Raskatov, Jahrgang 1953, wird nicht nur mit mehreren seiner Kompositionen, sondern auch als Solist in Gohrisch zu erleben sein und dort beispielsweise sein »Dolce far niente« (gemeinsam mit Norbert Anger, Violoncello) vorstellen. Als Uraufführung ist Raskatovs »Black Sun« nach Gedichten von Ossip Mandelstam und als Europäische Erstaufführung sein »Bel canto« angekündigt. Von Mussorgsky werden unter anderem »Bilder einer Ausstellung« vom Pianisten Martin Helmchen (auch erstmals in Gohrisch präsent) sowie »Lieder und Tänze des Todes« vorgetragen. Letzteres ebenfalls als Uraufführung in einer Fassung für Bass, Streichorchester und Schlagzeug, die Dmitri Jurowski vorgenommen hat, der das Werk in der sonntäglichen Aufführungsmatinee der Staatskapelle dirigieren wird. Als weitere Uraufführung gibt es in diesem Konzert eine von diesem Dirigenten erstellte Konzertfassung mit Musik zu Schostakowitschs Theaterstück »Die Wanze« (nach Wladimir Majakowski).
Erstmals zu Gast bei den Internationalen Schostakowitsch-Tagen Gohrisch sind auch die Cellistin Marie-Elisabeth Hecker sowie die Mezzosopranistin Ema Nikolovska. Das belgische Quatuor Danel hingegen zählt bereits zu den Stammgästen des Festivals und wird gemeinsam mit dem aus Musikern der Staatskapelle bestehenden Fritz Busch Quartett das Eröffnungskonzert gestalten sowie in einem weiteren Kammerkonzert mitwirken. Ein ebenso gern gesehener Gast ist der Geiger Gidon Kremer, der diesmal zusammen mit Musikerinnen und Musikern der Kremerata Baltica einen ganzen Kammerabend osteuropäischen Komponistinnen und Komponisten widmen wird.
Zum schon vierten Mal will Irina Antonowna Schostakowitsch nach Gohrisch kommen, die Witwe des Komponisten. Sie begleitete ihren Mann bereits 1972 bei dessen zweitem Aufenthalt in diesem Kurort und besuchte die Schostakowitsch-Tage 2010 und 2018 als Ehrengast. Wegen ihrer unschätzbaren Verdienste um Werk und Nachlass des Komponisten, dem sie bis zuletzt eine enorm wichtige Stütze gewesen ist, erhält Irina Schostakowitsch, die im November ihren 90. Geburtstag begehen wird, in diesem Jahr den Internationalen Schostakowitsch-Preis Gohrisch. Auch die erstmals in Europa erfolgende Vorführung von Elena Yakovichs Dokumentarfilm »Two. The Story of Shostakovich’s Wife« ist ihr gewidmet.
Zusätzlich zu den beim Publikum beliebten Konzerteinführungen wird es im neuen Festspieljahrgang erstmals Schostakowitsch-Podcasts geben, ein Angebot, dass vor und zwischen den einzelnen Konzerten auch informative Spaziergänge ermöglicht.