»Akribie und Leidenschaft. Wilfried Krätzschmar im Porträt« – mit diesem Titel war kurz vor dem 80. Geburtstag des Dresdner Komponisten Wilfried Krätzschmar ein von Ekkehard Klemm moderiertes Gespräch in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek überschrieben. Ein treffender Titel, denn Akribie zeichnet die Arbeitsweise des am 23. März 1944 in Dresden geborenen Musikers aus, nicht nur beim Komponieren, dem er sich voller Leidenschaft widmet.
„Ich bin Komponist geworden, und ich lebe, indem ich komponiere“, sagt Wilfried Krätzschmar, denn er kann nicht anders, will nicht anders – er schreibt Musik. Er muss komponieren. Auch mit nunmehr bereits 80 Jahren. „Ich mach’s auch gern. Die Vorstellung, ich schreibe jetzt nicht mehr, das gehört zu meinem Leben gar nicht dazu.“
Der Komponist blickt schon längst auf ein höchst umfangreiches Œuvre zurück, er hat Kammermusik, Chormusik, eine Oper, sechs Sinfonien sowie jede Menge weiterer Orchesterstücke verfasst. Neben dem ganz persönlichen Drang, Musik zu erschaffen, führt er einen weiteren Grund für sein kreatives Sein an: „Ich denke, zu einer Gesellschaft mit einem würdigen Gesicht gehört, dass es Künstler gibt, die sich mit ihr auseinandersetzen. Das galt in der Vergangenheit und das gilt nach wie vor.“
Krätzschmar sieht dies wohl auch als eine Lehre aus der Geschichte, er deutschen Geschichte zumal. Kulturlosigkeit bringe Abstumpfung hervor, Gewalt und Verfall. In seinen jüngsten Werken hat er sich ganz bewusst mit der Geschichte auseinandergesetzt, obwohl ihm bewusst ist: „Man soll sich keinen Illusionen hingeben, dass da direkte Wirkungen entstehen. Das klingt vielleicht resignativ, ist so aber gar nicht gemeint.“ Nein, resignativ kann man sich diesen Mann gar nicht vorstellen. In seinen mehrteiligen »Gesängen für Bariton und Orchester – Wir sind Teil der Erde« zum Beispiel, da hat er sich ganz betont eingemischt und aufmerksam gemacht auf den Zustand der Welt.
„Das ist für mich erschreckend, als ich diese Musik geschrieben habe, da gab es Fragen, die keineswegs neu gewesen sind. Ausschlaggebend waren für mich die Schönheit und die Wucht des zugrundeliegenden Textes, sodass ich dachte, das muss ich in eine Form bringen. Aber das, was uns jetzt mit Weltfragen beschäftigt, war damals so akut noch nicht an der Tagesordnung.“
Im jüngsten dieser Gesänge ging es, frei nach Erich Kästner, um das Verbrennen von Büchern. Geistige Werte als Ausdruck für den Zustand einer Gesellschaft sind Krätzschmar immer schon wichtige Themen gewesen. Die Frage etwa, was die heutige Gesellschaft eigentlich mit ihrer Gegenwartskunst oder, in seinem Falle, mit der Musik mache, die treibt ihn um und hat ihn bereits seit seinem Kompositionsstudium zu DDR-Zeiten beschäftigt. „Ich hatte damals diese Vorstellung, mit einem Musikstudium bin ich aus dem allen raus. Da bin ich auf der Insel der Seligen, da sind Musik und Kunst, spielen allein diese Dinge eine Rolle.“
Eine Illusion, die nicht lang angehalten hat, die er einräumt. „Das hat nur kurz vorgehalten, denn schon nach dem ersten Stück, das von mir aufgeführt wurde, wurde ich nachträglich einbestellt, warum ich so schreibe.“ Seine Musik habe nicht optimistisch genug geklungen und sei, schlimmer noch unter den seinerzeitigen Gegebenheiten, mit dem Anklang von Zwölftönigkeit verbunden gewesen. Das habe sich durch sein ganzes Studium gezogen.
Zur sogenannten Wende war Wilfried Krätzschmar dennoch ein arrivierter Künstler, heute zählt er zu den wichtigsten Komponisten im Land. Den kritischen Blick und eine widerständige Haltung hat er jedoch nie aufgegeben. „Kunst ist widerständig an sich. Egal in welcher Gesellschaft. Aber mit dem Komponieren selbst ist damals eigentlich das Gegenteil eingetreten. Plötzlich war alles möglich und war allen ziemlich egal, was man machte.“
Überhaupt nicht egal war und ist das langjährige Engagement des Künstlers als Rektor der Dresdner Musikhochschule sowie als Präsident der Sächsischen Akademie der Künste. Sehr zum Leidwesen der kompositorischen Arbeit, für die keine Zeit mehr blieb, auf die er sich nun aber wieder voll konzentriert. „Ich schreibe gerade an einem Oratorium für das Musikfest Erzgebirge. Eine relativ große Arbeit, die mich sehr einspannt, sowohl kräfte- als auch zeitmäßig. Ich will sie zum Sommer fertig haben, das Stück soll 2025 in Chemnitz zur Kulturhauptstadt uraufgeführt werden.“